
Was haben wir den kleinen Zauberdrops nicht alles zu verdanken: sexuelle Freiheit, schöne Haut und stabile Stimmungslagen. Eine unabhängige Karriereplanung. Badeurlaub ohne blaues Bändchen. No more Bauchweh, Kopfschmerz, Heulattacken.
Die Pille ist das meistverschriebene Medikament der Welt, über 60 Millionen Frauen regeln ihr Leben mit ihr, und in Deutschland hat sie mehr als jede zweite auf dem Nachttisch liegen.
Pragmatische Sicherheit auf Rezept
Den Schrieb vom Frauenarzt holen sich hierzulande 90 Prozent der 14- bis 20-Jährigen, und kaum haben sie den Zyklus zum ersten Mal erlebt, ist er auch schon wieder passé. Auch wenn wir uns Studien zufolge gar nicht viel mit unseren „Tagen“ auseinandersetzen: Dass die Pille und andere hormonelle Verhütungsmethoden unseren Körper gehörig auf den Kopf stellen und einen natürlichen Rhythmus höchstens vorgaukeln, wissen wir natürlich schon.
Auswirkungen der Pille auf den Körper
Was weitaus weniger Frauen bewusst ist: wie stark die Auswirkungen wirklich sind. Von unseren Müttern wurde uns die Pille noch allzu euphorisch verkauft. Schließlich gehörten sie zur ersten Generation, die von der bahnbrechenden Erfindung Carl Djerassis profitieren konnten. „Die Pille stand für einen neuen Lebensstil, der nichts mehr zu tun haben wollte mit der Prüderie der 50er-Jahre“, sagt Sabeth Ohl, die gemeinsam mit Eva Dignös das Buch „Die Zyklusstrategie“ veröffentlicht hat. Hinzu kam, dass die Pharmaindustrie nicht mehr als nötig über die Nebenwirkungen forschte, als einmal klar wurde, welch riesige Zielgruppe man mit den Dragees erreichen kann. Sicher, ein paar Begleiterscheinungen sind auf der Packungsbeilage natürlich notiert: leichte Müdigkeit, spannende Brüste, gesteigerter Appetit. Seit einiger Zeit werden aber weitaus größere Gesundheitsrisiken mit der Einnahme in Verbindung gebracht: Migräneanfälle, Thrombosen, Lungenembolien. Hoher Blutdruck soll bei hormoneller Verhütung doppelt so häufig vorkommen wie bei Frauen, die die Pille nicht einnehmen. Die aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag von PETRA ergab, dass 57 Prozent der Frauen zwischen 25 und 40 Jahren der Meinung sind, die Einnahme der Antibabypille sei langfristig gesundheitsschädlich. Je älter die Befragten waren, desto mehr verfestigt sich diese Annahme. Gesicherte Erkenntnisse gibt es hierzu noch nicht. Dafür sind Hirnforscher, Gynäkologen und Neurobiologen in jüngster Zeit aber mit ganz anderen Begleiterscheinungen der Pille beschäftigt: oftmals zwar noch in klein angelegten Studien, dafür aber mit relevanten Ergebnissen, die uns doch ins Grübeln bringen. „Ich habe im Zusammenhang mit meinen Studien viele Rückmeldungen von Frauen bekommen, die den Eindruck hatten, dass sie komplett andere Menschen wurden, als sie mit der Pille anfingen oder sie absetzten“, sagt die Gehirnforscherin Belinda Pletzer aus Salzburg. Ist auch kein Wunder, dass uns die Einnahme verändert, meint Sabeth Ohl, denn „Hormone bestimmen all die Dinge mit, für die wir uns im Alltag entscheiden: was wir essen, wem wir vertrauen, wie wir einkaufen, mit welchem Partner wir zusammen sein wollen“. Sie steuern die Denkfähigkeit, die Gedächtnisprozesse, Bewegungen und Gefühle. Kommen die Hormone künstlich zum Einsatz, würfeln sie alles durcheinander.

Macht die Pille sexuell unattraktiver?
Ein denkwürdiges Beispiel: Kurz vor und kurz nach dem Eisprung, in unserer fruchtbaren Zyklusphase, wird im Körper alles auf Partnersuche programmiert: Der Östrogenspiegel steigt, und wir neigen deutlich stärker dazu, sexy Kleider und Kosmetik zu kaufen. Das konnte die Psychologin Kristina Durante von der University of Texas mit Konsumtests nachweisen. Sogar mehr Geld für figurfreundliche Lebensmittel geben wir aus – nur, um die Männerwelt zu beeindrucken und etwaigen Konkurrentinnen den Rang abzulaufen.
Wissenschaftler aus Kanada fanden außerdem heraus, dass Frauen besonders gern rote und pinke Kleidungsstücke tragen, wenn sie empfängnisbereit sind – allein weil die Farben sexuell anziehend wirken. All das läuft natürlich unterbewusst ab. Und eben nur, wenn wir nicht hormonell verhüten. Nehmen wir hingegen die Pille, bleibt der Hormonlevel konstant, wir werden vorübergehend unfruchtbar, weil das Signal zur Reifung der Eizelle ausbleibt – und balzen nicht halb so viel herum. Wozu auch, denkt sich unser Körper. Und verzichtet auf sämtliche Signale, die ihm sonst noch zur Verfügung stünden, um die Männer heiß zu machen: auf eine spezielle Duftmischung etwa, die wir während der fruchtbaren Phase verströmen. Auch auf einen sexy Tanzstil: Verhaltensforscher der Uni Göttingen beobachteten, dass Frauen in ihrer fruchtbaren Phase stärker mit den Armen schwingen, ihre Hüften wiegen und die Bewegungen häufiger variieren. „Bei Pilleneinnahme ist die sexuelle Anziehung geringer“, bestätigt Karl Grammer, Evolutionsbiologe aus Wien. Sogar unser Gesicht finden Männer nur halb so schön, wenn wir uns und ihnen den Eisprung vorenthalten. Psychologen der Uni Bern entdeckten, dass ihre männlichen Probanden immer diejenigen Porträts präferierten, die Frauen in ihrer fruchtbaren Phase zeigten. „Weil die Haut in dieser Zeit gesünder aussieht, eine frischere Farbe hat und sehr rein wirkt, wenn sie unter dem Einfluss von Östrogen besser durchblutet wird und sich Wasser einlagert“, fasst Sabeth Ohl die Ergebnisse in ihrem Buch zusammen.
Die Pille beeinflusst unsere Männerwahl
Aber wir können im Jahr 2015 doch wohl kaum wieder auf die vielen Vorteile der Pille verzichten, nur um Männern zu gefallen, oder? Forscher haben aber noch eine ganz andere These aufgestellt, bei der es sehr wohl um Selbstbestimmung geht: nämlich, dass wir Frauen uns nicht selten für einen ganz anderen Partner entscheiden würden, stünden wir nicht unter dem Einfluss der Pille. Der schottische Psychologe Craig Roberts rät, vor der Hochzeit einen "Reality Check" zu machen: die Pille abzusetzen und zu testen, ob sich der Zukünftige noch immer nach Traummann anfühlt.
Autorin Sabeth Ohl hält den Tipp nach ihren Recherchen für durchaus berechtigt, denn: „Mit der Pille wählt Frau eher den Versorgertyp, den zuverlässigen, vertrauenswürdigen Mann, der eine gute Absicherung bietet – und seltener mit Seitensprüngen die Beziehung bedroht.“
Ohne den Einfluss künstlicher Hormone bevorzuge eine Frau tendenziell den kantig maskulinen Typen, den sexy Abenteurer. Dumm gelaufen also, wenn man seit ewigen Jahren die Pille nimmt, mit seinem Liebsten zusammenzieht, gar Familienpläne schmiedet und seine Marotten im Bett plötzlich abtörnend findet, wenn es gerade mit den Babys losgehen soll. „Es gibt bei Forschern die Annahme, dass die in den letzten Jahren stark gestiegenen Scheidungsraten durchaus mit den hormonellen Verhütungsmitteln in Zusammenhang stehen könnten“, sagt auch die Verhaltensbiologin Susanne Röder von der Universität Bamberg. Weil man nach dem Absetzen der Pille zu der Erkenntnis käme, dass man doch nicht zusammenpasst.






Mehr Erfolg im Job ohne hormonelle Verhütung?
Wissenschaftler plädieren auch deshalb dafür, den natürlichen Zyklus neu zu entdecken, weil er unseren beruflichen Erfolg befördern könnte. Aber was kann es bitte für Vorteile bringen, wenn wir, gerade nah am Wasser gebaut, in Gehaltsverhandlungen einsteigen? Oder unseren Powerpoint-Vortrag mit PMS aufmischen? „Es geht nicht darum, im Job mit dem Weibchenschema zu punkten“, sagt Sabeth Ohl. Und auch nicht um die Tage, an denen uns der Zyklus nervt, nämlich unmittelbar vor und während der Menstruation. Ohl zufolge könnte es sich lohnen, verstärkt auf die anderen Tage zu achten. Und unseren Hormonhaushalt dann gewinnbringend einzusetzen.
Die Verhaltensbiologin Susanne Röter erforschte außerdem, dass Männer fruchtbaren Frauen im Job mehr zutrauen. Dass wir Konkurrenzsituationen in der Zeit des Eisprungs besser meistern und schneller und aufmerksamer agieren. Die Pille verringert hingegen den Testosteronspiegel der Frau um bis zu 70 Prozent: Darunter leiden Durchsetzungsvermögen, Entscheidungsfreude und Wettbewerbslust. „Es ist möglich, dass Frauen weniger konkurrierend und weniger hitzig in ihren Meinungen sind, wenn sie die Pille einnehmen“, sagt Kelly Cobey, Psychologin aus Schottland. Demgegenüber hätten wir ein positiveres Selbstbild, wenn wir um unsere Stärken und Schwächen im Zyklus wüssten und anfingen, auf monatliche Regelmäßigkeiten zu achten. Dann könnten wir unseren „Fruchtbarkeitsvorsprung“ Buchautorin Ohl zufolge gekonnt ausspielen – und wichtige Kundentermine, Zwiegespräche oder Verhandlungen bewusst auf starke Tage legen.
Im Übrigen beeinflusst ein erhöhter Östrogenwert auch unsere Gedächtnisleistung zum Guten: Wir konzentrieren uns besser und können komplizierte Sachverhalten leichter verinnerlichen. Sinkt der Hormonspiegel wieder, steigt unsere Empathie und Kooperationsbereitschaft. Auch nicht schlecht, wenn wir das auf dem Schirm haben – und in dieser Phase hin und wieder Teamtreffen oder Konferenzen anberaumen, bei denen Diplomatie gefragt ist. Zugegeben: So richtig praktikabel klingt das nicht, wenn wir künftig immer erst unseren Hormonstatus checken müssen, bevor wir eine Terminanfrage bestätigen. Gewöhnungsbedürftig wäre es allemal.
Fest steht aber, dass der Trend zur hormonellen Verhütung derzeit tatsächlich leicht rückläufig ist. Stattdessen verzeichnet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ein Plus bei Kondomen und Sterilisationen.
Individuelle Verhütungsmethoden für Frauen sind die Lösung
Wahrscheinlich wird die eine oder andere von uns also trotzdem weiterhin befinden, dass die Vorteile der Pille schlicht überwiegen, wenn es um eine flexible Karriere- und Lebensplanung geht. Die Forscherin Kelly Cobey wünscht sich allerdings, dass in den Frauenarztpraxen diesbezüglich zumindest mehr Aufklärung betrieben wird. Und dass nicht jeder Patientin, egal wie unterschiedlich ihr hormonelles Profil ist, das gleiche und erstbeste Präparat verschrieben wird, nur weil ein Pharmavertreter es irgendwann mal angepriesen hat. Die Wissenschaftlerin meint, es scheine willkürlich, welche Pille man am Ende erhalte. Und das sei nicht in Ordnung. „Ich bin auf keinen Fall gegen die Pille“, schließt Kelly Cobey. „Aber das zu erforschen, was sie wirklich mit uns macht, ist weiterhin sehr wichtig.“