Hilfe zur Selbsthilfe: Macht Einsamkeit krank?

Das Gefühl kann einen auffressen. Und Körper und Psyche schaden. Aber Schicksal? Muss es nicht sein...

Text: Gabriele Ricke

Traurige Frau mi geschlossenen Augen© Pexels/Karolina Gabrowska
Einsamkeit kann nicht nur psychische, sondern auch körperliche Folgen haben.

Es scheint ein Paradox. Die Zahl der Menschen wächst immer weiter und noch nie waren wir über soziale Netzwerke und Apps so miteinander verbunden wie heute. Nie schien es leichter, in Kontakt zu treten und sich auszutauschen, egal wo. Trotzdem breitet sich eine neue Epidemie aus: Einsamkeit. In Großbritannien kümmert sich bereits ein Ministerium darum, denn das Phänomen hat Folgen. Allein die körperlichen sind schwerwiegend: Das Fehlen von sozialen Beziehungen über einen längeren Zeitraum wird inzwischen als ähnlich gefährlich eingestuft wie übermäßiger Alkoholkonsum, Nikotin, schlechte Ernährung oder ständiger Bewegungsmangel. 

Aber auch die seelischen Folgen sind gravierend: Dass Einsamkeit seelischen Stress auslöst, ist lange bekannt. Insbesondere chronische Einsamkeit und die damit oft einhergehende soziale Isolation können das Risiko für verschiedene psychische Erkrankungen deutlich erhöhen, darunter Angst- und Zwangsstörungen sowie Depression

Menschen über fünfzig Jahren, die sich oft einsam fühlen, erkranken laut einer Langzeitstudie häufiger an Depressionen. Man vermutet sogar, dass Einsamkeit nicht nur ein Risikofaktor ist, sondern auch der alleinige Auslöser sein kann. Da fragt sich schon, warum wir in unserer globalen Welt, in der wir theoretisch so viele kommunikative Kanäle haben, einsamer sind denn je.

Unsere Welt wird immer digitaler

Einen elementaren Grund nennt Professor Gregor Hasler von der Uni Fribourg in der Schweiz: "Unsere Welt wird immer digitaler, dadurch gibt es immer weniger persönliche Kontakte und Begegnungsstätten wie den Dorfladen. Auch Vereine werden weniger."  Ein weiterer Faktor ist die Individualisierung in unserer Gesellschaft. Lebten die Menschen vor 50 Jahren noch überwiegend im Familienverband, so gibt es heute, gerade in Großstädten, mehr Single-Haushalte denn je. Viele leben weit entfernt von ihren Familien. Soziale Netzwerke täuschen zwar Nähe vor, ersetzen jedoch keine echte – ein Like ist eben kein Lächeln. 

Warum aber ist Einsamkeit so belastend? "Weil das Gefühl von Einsamkeit sehr schmerzhaft und schwer erträglich ist", so Professor Hasler. Bei chronischer Einsamkeit werden im Gehirn die selben Areale aktiviert wie bei Schmerz: "Die Anerkennung, Bestätigung, Wertschätzung und Zuneigung durch die Mitmenschen fehlen. Wer dauerhaft unter Einsamkeit und einer damit verbundenen Leere leidet, steht unter chronischem Stress. Einsamkeit und Stress sind eng verknüpft."

26,6 % der Menschen in Deutschland fühlten sich im Corona-Jahr 2020 einsam,
2019 waren es noch 10,8 Prozent.

Quelle: BARMER

Soziale Medien sind kein Ersatz

Doch was hilft, um aus der Einsamkeit herauszukommen? Was ganz klar guttut: Nähe zu anderen zu schaffen und zu wissen, dass man mit seinen Problemen nicht allein ist. Ob live vor Ort oder erst mal online – in Selbsthilfegruppen (nakos.de) oder über die neue Jumiwi-App (jumiwi.com) kann man sich, wenn man sich einsam fühlt, mit anderen Betroffenen oder mit Menschen, die es ebenfalls sind, austauschen. 

Kein Zweifel besteht darüber, dass soziale Beziehungen zentral sind. "Es müssen aber die richtigen sein. Kontakte über soziale Medien sind zwar inspirierend, können aber persönliche Beziehungen nicht ersetzen", betont der Arzt. Deshalb sollte man Freundschaften pflegen, etwa bei gemeinsamen Spaziergängen oder einem Kochabend. 

Emotionale Nähe schützt

Wer kaum Freunde hat oder neue Kontakte sucht, kann sich Gruppen, etwa zum Nordic Walking, anschließen oder einem Verein. Das kann anfangs zwar Überwindung kosten, aber auf lange Sicht sind zwischenmenschliche Kontakte wohltuend und stärkend. Gerade dann, wenn man selber etwas dafür getan hat. Und sie helfen in jedem Fall, Einsamkeit zu überwinden. 

Wie viele Kontakte man in seinem Leben braucht, ist allerdings individuell. Jemand, der gern allein ist, braucht weniger als jemand, der extrovertiert ist und die Gesellschaft anderer als Energiequelle empfindet. "Aber eine Freundin, einen Menschen, mit dem man sich über alles austauschen kann, sollte man schon haben, das ist das Minimum", sagt Professor Hasler. Wer erste kleine Erfolge erlebt hat, kann Schritt für Schritt weiter daran arbeiten, Kontakte und Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, die guttun. Denn eine verlässliche soziale Einbindung ist ein wichtiger und guter Gesundheitsschutz.

Verwendete Quelle: Text erschienen im Petra-Heft Januar 2024

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