Der neue Beziehungs-Trend: unverbindliche Halbbeziehungen, kurz: Mingels

Der neue Beziehungs-Trend: unverbindliche Halbbeziehungen, kurz: Mingels

Beziehungsstatus? Nicht Single, nicht in einer Beziehung – eben Mingle! In der heutigen Zeit leben und lieben immer mehr Menschen auf der Welt in einer unverbindlichen Halb-Beziehung. PETRA-Autor Christoph Koch über die Frage, ob das gut gehen kann - und woran man erkennt, dass man ein Mingle ist.

Offene Beziehung führen© iStock/Thinkstock/Alena Ozerova
Offene Beziehung führen

Mingle – Kann das funktionieren?

Wer bei Facebook seinen Beziehungsstatus angeben will, muss sich entscheiden: Es gibt „verheiratet“, „geschieden“ und das gute alte „in einer Beziehung“. Singles dürfen auch mitmachen, und wer sich nicht ganz sicher ist, klickt „es ist kompliziert“ an. Doch das muss es gar nicht sein. Vielleicht muss Facebook bald eine neue Option zur Auswahl stellen: „Ich bin Mingle.“

Irgendwo zwischen Affäre und Beziehung

Denn zwischen der klassischen Affäre, bei der es um möglichst unverbindlichen Sex geht, und der treuen Zweierbeziehung, die die Menschheit seit Jahrtausenden am Leben erhält, hat sich eine neue Beziehungsform entwickelt. Im Begriff „Mingles“, so der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann, verschmelzen „Mixed“ und „Singles“. Rhetorisch weniger gelenkige Menschen nennen es vielleicht „Wir sind irgendwie so halb zusammen“.

Mingles sind mehr als nur Bettgenossen. Sie deponieren beim anderen auch mal dauerhaft ein Fläschchen Kontaktlinsenflüssigkeit und ein Buch für den gemütlichen Sonntagnachmittag – aber wirklich verbindlich werden? Eine gemeinsame Zukunft planen? Die Eltern kennenlernen? Bitte nicht. Mingles haben kein Problem damit, eine gemeinsam besuchte Party auch gemeinsam wieder zu verlassen. Also etwas, das für eine klassische Affäre undenkbar wäre, deren Reiz sich oft teilweise aus der Heimlichkeit und dem Täuschen des Freundeskreises oder der gemeinsamen Kollegen speist. Im Vergleich zu den Mingles wirkt aber genau diese Heimlichkeit ein wenig gestrig und unmodern.

Fremdgehen© Brand X Pictures/Thinkstock
Partnerschaft: Das neue Treueverständnis 

Die Beziehungsform, die eine angenehme Balance aus Freiheit und Beständigkeit bietet, ist beliebter denn je. Das bezeugen nicht nur die im Dienste diverser Dating- Webseiten agierenden Psychologinnen, sondern auch Statistiken: Ein Viertel der 20- bis 35-Jährigen lebt heute allein (quasi Grundvoraussetzung, denn wer zusammenwohnt, ist kein Mingle mehr) – vor 20 Jahren war es lediglich jeder Sechste. Und warum auch nicht fröhlich minglen?

Wir leben schließlich in einer Zeit, in der auf der einen Seite der Beruf immer mehr räumliche und zeitliche Flexibilität verlangt und auf der anderen Seite der Wunsch nach individueller Selbstverwirklichung und eigener Genussmaximierung so groß ist wie nie zuvor. Eine feste Beziehung eingehen, das heißt Kompromisse machen, in manchen Dingen zurückstecken, sich festlegen. Eine Affäre heißt, zwar jemanden zum Vögeln zu haben, aber niemanden für den „Tatort“ – oder um mal Schlittschuh laufen zu gehen. Warum also nicht ein Beziehungsmodell, das sich dazwischen ansiedelt?

Mögliche Gründe für das Mingle-Dasein

Die Gründe für die gewählte Zwischenstufe der Zweisamkeit sind dabei natürlich höchst individuell: Manche wollen nach einer schmerzhaften Trennung erst mal nichts überstürzen. Andere genießen die beschriebene Dialektik aus Freiheit und Romantik, die das Modell bietet. Wieder andere glauben, dass da draußen in der weiten Welt des Onlinedatings noch jemand Besseres wartet, und sind deshalb unwillig, sich fester zu binden. Denn je größer die Auswahl, so der Psychologe Barry Schwartz in seinem Buch „Paradox of Choice“, umso schwerer fällt die Entscheidung – oft so sehr, dass sie gänzlich vertagt wird.

Sich alle Türen offen halten

„Viele wollen sich in der gelebten Beziehung alle Wahlmöglichkeiten offenhalten“, sagte Paartherapeut Klaus Herr in einem Interview mit einer Schweizer Tageszeitung. „Wir haben tendenziell immer Angst, zu kurz zu kommen, und wollen dafür sorgen, dass wir das bekommen, was uns zusteht.“ Mingles halten, so der Psychologe, einerseits an der „heiligen Freiheit“ fest, wollen aber jederzeit für die große Liebe bereit sein, die plötzlich auftauchen könnte. Solange beide mit der angezogenen Handbremse einverstanden sind, ist gegen das Minglen nichts einzuwenden. Denn Phasen, in denen man kurz innehält und überlegt, ob man den nächsten Schritt gehen will, gibt es schließlich immer wieder: vor der Hochzeit, vor dem Kinderkriegen und so weiter. Und niemand außer den beiden Beteiligten sollte sich anmaßen, darüber zu entscheiden, welche Definition von Liebe und Partnerschaft für die beiden die richtige ist.

Frau mit schlimmen Liebeskummer© iStock/Thinkstock/kiatipo
Partnerschaft: Selbsttest: Wege aus dem Liebeskummer

Wenn eine Seite allerdings insgeheim und dauerhaft doch mehr will und es nicht zugibt – aus Angst, die andere Seite zu vergraulen –, dann gibt’s Kummer. Oft wird Männern unterstellt, sie seien die Bindungsunwilligen und auf Unverbindlichkeit Pochenden, die arme anhängliche Frauen am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Dabei ist dieses Klischee so frisch wie eine Doppelfolge „Musikantenstadl“. Schon längst kann es genau andersherum der Fall sein. Und je weniger gesellschaftliche Zwänge unseren Fahrplan der Liebe bestimmen, umso wichtiger ist es, zumindest dann und wann darüber zu reden, ob beide auch wirklich mit dem Modell „friends with benefits“ glücklich sind.

So ein Gespräch hilft natürlich nur, wenn beide Seiten ehrlich sind – miteinander, aber vor allem sich selbst gegenüber. Wenn beide Stein und Bein schwören, dass sie das Mingle-Dasein lieben, der eine dem anderen aber regelmäßig Anzeigen für Vier-Zimmer-Wohnungen weiterleitet – dann ist es Zeit, über die Konstellation zu sprechen. Dabei gilt ein ungeschriebenes Gesetz der Mingle- Fairness: Derjenige, der emotional weniger involviert ist und nicht heimlich auf das große Technicolorfinale mit weißen Tauben und gemeinsamem Immobilienkredit hofft, muss die Reißleine ziehen.

Mingeln als Lebensphase

Das heißt jetzt aber nicht, dass die Mingle- Lösung zwingend scheitern oder immer ein fauler Kompromiss sein muss. Sie kann eine Bereicherung sein, eine ideale Form der Gemeinschaft. Vielleicht in einer bestimmten Konstellation und Lebensphase – und für bestimmte Menschen. Die Zeiten ändern sich nun mal, und damit unsere Vorstellungen von Liebe und sozialen Standards:
Vor noch nicht einmal 50 Jahren hatten es Unverheiratete in Deutschland schwer, eine Wohnung oder auch nur ein Hotelzimmer zu mieten. Ebenso wie irgendwann der „Kuppelparagraf“ gestrichen wurde, der derlei verbot, wird vielleicht irgendwann die Vorstellung in unseren Köpfen weichen, ein Mingle-Paar müsste doch jetzt endlich mal „den nächsten Schritt“ machen. Das sei doch sonst nicht „normal“. Der Sozialpsychologe und Philosoph Erich Fromm hat das Wort vom Paradox der Liebe geprägt. Von „zwei Wesen, die eins werden und doch zwei bleiben“. Das Schöne ist, dass es viele unterschiedliche Wege gibt, dieses Paradox aufzulösen. Das Leben als Mingle ist einer davon – und wenn man es richtig anstellt und ehrlich miteinander umgeht, muss am Ende auch niemand „es ist kompliziert“ anklicken.

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