Bin ich schon psycho?

Bin ich schon psycho?

Wir sortieren zwar keine Suppennudeln, dafür unsere Bücher nach Farben oder können an keinem schief hängenden Bild vorbeigehen. Irgendeine Macke hat doch jeder. Aber wann handelt es sich um einen Spleen, wann um einen echten Psycho-Tick? Autorin Friederike Schön findet es heraus.

spleen-oder-schon-psycho-tick© Julenochek/iStock
spleen-oder-schon-psycho-tick

Den ersten handfesten Hinweis bekam ich von einem Mann, den ich noch nicht sehr lange kannte. Abends saßen wir gemütlich auf meiner Couch und tranken Wein, als er mich plötzlich komisch ansah und sagte: „Deine Bücher machen mir Angst.“ Wie er das meine, wollte ich wissen. Sie seien so akkurat nach Größe und Farbe geordnet, das komme ihm irgendwie neurotisch vor. Ob das ein Tick von mir sei und ob ich noch mehr davon hätte. Hatte ich. Der Mann war bald abserviert – meine Bücherordnung behielt ich bei. Inzwischen weiß ich es genau. Ich brauche das: Ordnung. Auf meinem Teller, im Regal, im Büro. Anscheinend gehören ein paar Ticks und Schrulligkeiten genauso zu mir wie mein Lieblingskleid und mein Faible für scharfe Gerichte. Und bis dato fand ich das auch ganz normal. Schließlich kenne ich es gar nicht anders: Meine Vorliebe für Symmetrie begleitet mich, seit ich mich erinnern kann. Wenn mir jemand als Kind ein Bonbon anbot, fragte ich immer nach zwei, das andere für die Jackentasche. In „Schönschreiben“ trieb ich meiner Lehrerin Tränen in die Augen. Einmal verprügelte ich den Bruder einer Freundin. Er hatte die feinsäuberlich sortierte Auslage meines Kaufmannsladens verwüstet. Mein Zimmer durfte er danach nie mehr betreten. Zumindest bin ich mit meinen Ticks nicht allein.

Bei einer Umfrage im Kollegen- und Bekanntenkreis kam eine beachtliche Liste mitunter skurriler Spleens zusammen: Da wird der Wäscheständer so akkurat behängt, als ginge es um die Teilnahme an der nächsten Biennale; werden Tropfen auf dem Spülbecken (wegen der hässlichen Wasserflecken) und lose Haare auf dem Fußboden mit Argusaugen erspäht und eliminiert. Auch außerhalb unserer vier Wände frönen wir den Ticks: Der eine checkt nur auf dem Flugzeugsitz F ein, weil A nach Absturz und B nach Bruchlandung klingt. Andere werden von Panik befallen, während sie sich immer wieder fragen, ob Reisepass und Ticket trotz mehrfacher Kontrolle noch zu Hause in der Schublade liegen. Vieles läuft im Geheimen ab: Meine Freundin Caro ertappte ich neulich, als wir beim Durchwischen ihrer neuesten Handy-Schnappschüsse auf ein Bild von ihrem Küchenherd stießen. „Äh“, stammelte sie, „sonst muss ich immer dreimal in den vierten Stock zurücklaufen, um zu kontrollieren, ob alle Platten auf null stehen.“ Alles klar. Wenigstens hat sie einen Weg gefunden, ihrer kleinen Zwangsneurose ein Schnippchen zu schlagen.

Kleine Zwänge im Büroalltag

Das bringt mich zu einem wichtigen Punkt. Was ist der Unterschied zwischen einer harmlosen Macke und einem ernsthaften Zwang oder einer krankhaften Phobie? "Wenn die Marotte beginnt, unser Leben zu bestimme, und sie anfängt, uns zu kontrollieren - und nicht umgekehrt -, kann die anfänglich harmlose Macke durchaus gefährlich werden. Die meisten aber sind gut behandelbar", sagt der Psychiater und Neurobiologe Josef Aldenhoff ("Bin ich psycho oder geht das von alleine weg?", C. Bertelsmann, 386 Seiten, 19,99 Euro). "Viele Absonderlichkeiten sind aber harmlose, automatisierte Gewohnheiten, deshalb stellen wir sie meist gar nicht infrage", sagt Aldenhoff. Und viele Spinnereien haben durchaus eine sinnvolle Funktion. Beobachten Sie mal, was Kollegen so alles in Meetings tun, wenn sie aufgeregt sind: Manche zwirbeln ihr Haar unablässig oder streichen imaginäre Strähnen aus dem Gesicht, andere lachen zu laut, schmatzen in jeder Redepause oder wackeln wild mit dem Fuß auf und ab. „Bei Nervosität oder Ratlosigkeit herumzuzappeln oder komische Geräusche von sich zu geben baut Spannung ab, es entlastet“, so Josef Aldenhoff.

Und noch eine gute Nachricht: Eine Studie des schottischen Psychiaters David Weeks zeigte, dass es Exzentrikern, die ja bekanntlich ein ganzes Arsenal an Marotten um sich versammeln, ziemlich gut damit geht – sie besitzen ein starkes Immunsystem und neigen weniger zu Depressionen. David Weeks erklärt das so: Diese Menschen leben weniger angepasst, pfeifen auf die Meinung anderer und stehen deshalb weniger unter Druck. Ein paar wohlkultivierte Spleens scheinen der Seele richtig gutzutun. Es ist also völlig okay, wenn ich auf meinem Schreibtisch gern alles parallel lege, weil ich so besser denken kann, wenn mich schiefe Bilder nervös machen oder meine scheinbar achtlos drapierten Sofakissen in Wahrheit einem durchdachten Arrangement folgen. Gerade in den Großstädten fallen unsere kleinen Neurosen auf fruchtbaren Boden, das wusste schon Woody Allen. Da draußen ist es eben nicht nur hip und aufregend und cool – sondern auch dreckig, verwirrend chaotisch und furchtbar hektisch. Unsere Marotten geben der Seele ein sicheres Gerüst, um sich daran festzuhalten. Orientierung, um nicht unterzugehen. Früher pressten wir in solchen Fällen das Schnuffeltuch an die Nase oder drückten den Teddy fest an die Brust, später tröstet sich die Seele mit bestimmten, manchmal eben seltsamen Angewohnheiten. Na und? Ach, und auch dieser Sache bin ich mir inzwischen sicher: Ein Typ, der Angst vor meinen Büchern hat, hat definitiv ein größeres Problem als ich.

Lade weitere Inhalte ...