
Gestern Abend tat ich das, was bei diesem fiesen nasskalten Wetter das Logischste ist: Ich setzte mich mit einem Berg Schokolade vor den Fernseher und schob einen Film in den DVD-Player, der genauso schön traurig ist wie der Winterhimmel: „Love Story“. Schniefend sah ich Ali MacGraw und Ryan O’Neal bei ihrer aussichtslosen Liebesgeschichte zu, bis gegen Ende dieser Satz fiel: „Liebe heißt, niemals um Verzeihung bitten zu müssen.“ Wie bitte? Was für ein Unsinn! Vor lauter Empörung fiel mir ein Stück Schokolade aus der Hand. Denn meiner Meinung nach hat niemand einen Freischein dafür, sich im Leben alles zu erlauben. Ob Mutter, beste Freundin oder der Mann unseres Herzens.
Entschuldigungen immer annehmen?
Mit den Entschuldigungen ist es so eine Sache in unserer Gesellschaft. Viele nuscheln ein lapidares „Sorry“ dahin und meinen, so jegliche Schuld beglichen zu haben – egal, worum es sich handelt. Manchmal bekommt man ein „Sorry“ zu hören, wenn einem der Einkaufswagen in die Hacken geschoben wurde, mal hört man es, nachdem die Kollegin unsere Idee als die ihre verkauft hat – und man stinksauer ist. Aber eine Entschuldigung nicht annehmen, das gehört sich nicht. Vielleicht weil Vergebung ein christlicher Wert ist, den wir von unseren Eltern bewusst oder unbewusst mit auf den Weg bekommen haben. Vielleicht weil es als uncool gilt, viel Wind zu machen. Es ist doch viel lässiger, auf die Fehler anderer verständnisvoll zu reagieren, nachsichtig und großzügig zu sein. Und: Oft sind wir nicht mutig genug für die Konfrontation. Bloß keinen Streit vom Zaun brechen, bloß die Harmonie wahren! Dazu gehört, eine Entschuldigung ohne Zaudern anzunehmen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit geht, aber mich nervt es.
Vorwürfe oder Verständnis - Wie gehe ich mit Ärger um?
„Verzeihen ist keine Pflicht“, findet auch Gitte Härter, Kommunikationstrainerin und Autorin von „Sorry! Entschuldigungen aussprechen, annehmen, ablehnen“ (Gabal, 160 S., 17,90 Euro). „Es gibt viele Gründe, eine Entschuldigung abzulehnen.“ Diesen Satz hätte ich persönlich etwas früher gebraucht. Und zwar, als mich meine ehemals beste Freundin mit einer endlosen Kette von gebrochenen Versprechen kränkte. Sie wohnte in Berlin, drei Jahre lang sicherte sie mir immer wieder zu, mich in Hamburg zu besuchen. Einmal stand ich sogar schon am Gleis, als sie anrief, dass sie verschlafen habe. Natürlich entschuldigte sie sich. Wie immer. Nur klangen ihre Worte mit jedem Mal banaler – ich hatte immer weniger Lust, darauf einzugehen, und quittierte ihre ewigen Ausreden mit konsequentem Schweigen. Zugegeben, das war kein besonders guter Weg, um die Situation zu klären. „Mund halten und schmollen ist leider nie eine gute Strategie“, so Gitte Härter. „Sie sollten nicht davon ausgehen, dass der andere Ihre Verärgerung erspüren kann. Telepathie gibt es nämlich nicht.“ Jeder hat unterschiedlich lange Antennen für die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen. Versuchen Sie, Klartext zu reden, Ihre Gefühle deutlich zu formulieren und dabei so sachlich wie möglich zu bleiben. Dazu sollten Sie den anderen nicht mit Schuldzuweisungen überschütten, so schwer das auch fällt. Denn Vorwürfe (und seien sie noch so berechtigt) drängen den anderen in die Defensive, und anstatt Verständnis für Sie zu entwickeln, wird der andere nur versuchen, sich zu rechtfertigen – was selten zu einer Einigung führt.

Streit im Job
Und was tut man, wenn es sich um eine Kollegin handelt, die einen bei einer Präsentation vor allen anderen bloßgestellt hat? Selbst wenn sie sich hinterher sofort entschuldigt, verraucht die Wut nicht in der gleichen Geschwindigkeit, in der die Worte fallen – und manchmal ist man schlicht zu wütend, um angemessen reagieren zu können. Dazu kommt, dass man mit der Kollegin weiter zusammenarbeiten muss. Ein „Das war es jetzt zwischen uns beiden“ wäre also kaum angebracht. „Erbitten Sie sich etwas Bedenkzeit“, rät die Expertin. „Das funktioniert, indem Sie Ihre Anerkennung für die Entschuldigung zeigen, gleichzeitig aber zu verstehen geben, dass Sie zu verletzt sind, um dem anderen so schnell verzeihen zu können.“ Zu Hause auf dem Sofa können Sie sich immer noch bei Ihrem Liebsten darüber auslassen, wie gemein Sie alles fanden und wie doof die Kollegin ist.
Richtig zuhören
Ein guter Zuhörer wird übrigens zum einen trösten – und zum anderen ein paar kritische Zwischenfragen stellen, die dabei helfen, etwas objektiver über den Vorfall nachzudenken. War der Kommentar Ihrer Kollegin wirklich so böse gemeint, wie Sie dachten? Mit den Augen eines Außenstehenden betrachtet, wird manches Vergehen sachlich relativiert – und vielleich sogar verzeihlich. Dies gilt insbesondere, wenn es um einen Streit in der Familie geht. Der Klassiker: Mutti sagt was Fieses („Na, du warst auch schon mal schlanker“), man ist verletzt und reagiert wie ein beleidigter Teenager. Und selbst wenn sich die Mutter eine Entschuldigung abpresst, kann man diese nicht annehmen. Weil sich die Rituale in der Kommunikation über Jahre eingeschliffen haben und es sehr schwierig ist, mit einem Mal anders zu reagieren als die letzten zwanzig Jahre. Allerdings wird man noch (und hoffentlich) eine sehr lange Zeit mit diesen typischen familiären Zwistigkeiten leben und umgehen müssen. Wer einmal einen anderen Weg probieren will: Es hilft immer, einen Außenstehenden die Situation bewerten zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich genauso schlecht benimmt wie die eigene Mutter, ist relativ groß. Aber es fällt nicht leicht, das auch zu erkennen, und noch schwieriger ist es, sein eigenes Fehlverhalten zuzugeben.

Wie lange darf man nachtragend sein?
Bei aller Sachlichkeit geraten wir im Leben das eine oder andere Mal an einen Punkt, an dem der Schmerz nicht vergehen will. „Nehmen Sie sich unbedingt die Zeit, die Sie brauchen“, so Gitte Härter. „Es bringt nichts, dem anderen zu verzeihen, wenn Sie eigentlich noch voller Groll gegen ihn sind.“ Dann kann es passieren, dass Sie dem anderen sein Fehlverhalten bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit wieder aufs Brot schmieren. Ich erinnere mich an eine Bekannte, deren Mann sie betrog. Die Sache flog auf, reumütig entschuldigte er sich und beteuerte, dass es ein einmaliger Ausrutscher gewesen sei. Aus Liebe und um die Beziehung nicht zu gefährden, nahm sie die Entschuldigung an. Aus ihrem Kopf verschwand der Vertrauensbruch damit aber noch lange nicht. Jede Überstunde, jede Betriebsfeier oder jedes flüchtige Lächeln nahm sie zum Anlass, ihrem Mann den Seitensprung vorzuhalten. So ein Verhalten schadet auf Dauer nicht nur der Beziehung, sondern auch einem selbst. Zum einen, weil uns irgendwann tatsächlich jeder für eine Zicke hält, die wir nicht sein wollen. Zum anderen, weil uns unverarbeitete Probleme auf Dauer emotional stark belasten. Manchmal ist es dann in der Tat gesünder, einen Schlussstrich zu ziehen.

Was, wenn ich partout nicht verzeihen kann?
Übrigens: Wenn Sie nicht vergeben können, kann das zwei Gründe haben. Entweder jemand hat sich etwas zuschulden kommen lassen, das schlicht und ergreifend nicht verzeihlich ist. Das kann der Partner sein, der betrogen hat – um Geld oder um die Liebe –, oder der Bruder, der Worte sprach, die sich wie Feuer einbrannten und nie mehr zurückgenommen werden können. Manches kann nicht gesühnt und verziehen werden, so hart es klingen mag. Wo genau diese Grenze liegt, von der es kein Zurück gibt – nun, die liegt bei jedem woanders. Im Falle meiner Freundin hätte ich damals schneller reagieren müssen. Ihr sofort sagen müssen, wie sehr sie mich verletzt. Stattdessen habe ich meinen Groll gehegt und gepflegt und darauf gelauert, dass sie wieder einen Fehler begeht. Heute weiß ich auch, dass nach einer ehrlich gemeinten Entschuldigung Taten folgen müssen. Wäre sie eine Woche später in den Zug gestiegen, ich hätte ihr alles verziehen. Vielleicht. In jedem Fall habe ich eine Lehre daraus gezogen: Vergebung ist keine einfache Sache, und mit einem flüchtig hingeworfenen „Sorry“ ist es selten getan. Und wenn man um den Wert einer echten Entschuldigung weiß, geht man in Zukunft ein bisschen sorgfältiger mit dem Begriff um. Und unter uns: Ich bin leider emotional nicht so großzügig wie Ryan O’Neal. Und werde es wahrscheinlich nie sein.
