
Freundschaft ist laut Wikipedia "ein auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander, die sich durch Sympathie und Vertrauen auszeichnet". Unter uns: Man könnte es auch Liebe nennen.
Wo ein Topf Spaghetti auf dem Tisch steht, ist das Glück ganz nah – es sei denn, wir befinden uns in meinem Freundeskreis. Denn schon bei der Soße ist es mit dem lieben Frieden vorbei: „Bloß nicht so scharf“, „Ich esse kein Fleisch“, „… hasse Gorgonzola“, höre ich dann. Ich träume davon, dass alle mal bei Kerzenschein an meinem Esstisch sitzen. Ich hole den riesigen Topf aus der Küche und stelle die dampfenden Nudeln in die Mitte. Aber: Es wird ein Traum bleiben, denn meine besten Freunde sind so verschieden wie die Nudelsoßen, die sie lieben: Eine isst nach 18 Uhr gar keine Kohlenhydrate mehr. Zwei leben in einer anderen Stadt. Und von denen, die bei mir um die Ecke wohnen, sehe ich manchmal drei Wochen lang nicht mehr als den albernen Passbildstreifen an meinem Kühlschrank. Für den sind wir mal nach einer wilden Nacht irgendwo abseits der Reeperbahn in einen Automaten gekrochen. Nun hängt er da für schlechte Zeiten. All das tut unserer Freundschaft gar nichts. Es macht sie nicht besser oder schlechter. Denn unsere Freundschaft zieht immer den Kopf aus der Schlinge und überlebt das.

Für viele sind Freunde wichtiger als die Familie
Und darauf passe ich auch gut auf, so wie die meisten von uns es inzwischen tun: Laut einer Allensbach-Studie waren Ende der 90er Freunde noch hinter der Familie die Nummer zwei auf der Prioritätenskala der Deutschen. Heute werden Freunde und Familie als gleich wichtig eingestuft. Bei den unter 25-Jährigen steht die Clique sogar auf Platz eins – so eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Happiness-Instituts von Coca-Cola. Es braucht die Familie und ein Dorf zum Glücklichsein, sagte man früher. Und heute? Im Dorf leben die meisten von uns nicht mehr. Und die Familienmitglieder, zu denen wir näheren Kontakt haben, passen in ein Zugabteil. Kleiner ist unser soziales Netz geworden, aber auch flexibler. Wir kommen aus Patchwork-Strukturen, ziehen einmal um, dann wieder und wieder. Mal für den Job, die Liebe, die Selbstverwirklichung. Mama und Papa kommen gern zu Besuch, aber kommen sie noch mit unserem Leben mit?

Wie viele Freunde können wir haben?
Unsere Burg, das sind unsere Freunde. Im Schnitt hat jede von uns fünf ganz nahe Seelenverwandte. Das errechnete der britische Evolutionsanthropologe und Psychologe Robin Dunbar. Er zeichnet vier Zirkel der Intimität. Drei bis sechs Menschen bilden den ersten Kreis unserer engsten Vertrauten. Dunbar: „Da mischen sich Freunde und Familie. Klar finden sich oft Eltern oder Geschwister darunter.“ An diese Menschen wenden wir uns, wenn die Welt wackelt und man die Lösung für unser Problem nicht googeln kann. Kreis zwei besteht aus zehn bis 15 Menschen, deren plötzliches Verschwinden ein Loch in unser Netz reißen würde. Im Schnitt entlassen wir aus diesem Kreis im Laufe von zehn Jahren drei bis fünf Menschen, und es kommen drei bis fünf neue hinein. Es folgen bis 120 Menschen in den Kreisen drei und vier. Bei 150 Freunden ist unser Gehirn dann auch an der Kapazitätsgrenze. Wir haben nicht unendlich viel Freundschaftsliebe zu verteilen.

"Urban Tribes"
Wer schafft es in die Top Five? Bei den meisten Frauen sind die Strukturen ähnlich. Ein oder zwei Freunde kennen noch unseren rosa Lieblings-Frotteeschlafanzug, weil sie schon als Kinder an unserer Seite waren. Sie bleiben, wenn wir eine Familie gründen, erwachsen werden. Bis dahin spinnen wir ein neues soziales Netz, manche gehen, andere kommen hinzu. Es sind die Jahre dieser Sonntags-Frühstücks-Runden, zu denen die einen geduscht und gut duftend erscheinen und die anderen mit der verschmierten Mascara vom Vorabend, weil die Nacht zum Schlafen zu schade war. Und alle lieben sich irgendwie. So entstehen Cliquen aus Paaren und Singles, aus Juristen mit Karriereaussichten und Kreativen ohne festen Job. Freunde, die füreinander da sind, egal, was kommt. „Das kann uns keiner nehmen, lass uns die Gläser heben! Die Stadt wird hell, und wir trinken aufs Leben“, singt die Band „Revolverheld“ über diese Zeit und diese Freunde. Viele dieser Verbindungen halten über Jahre. „Urban Tribes“ nennt der US-Autor des gleichnamigen Bestsellers, Ethan Watters, diese noch jungen sozialen Einheiten. „Der Generation vor uns wäre eine so nahe Freundschaft sicher zu intim gewesen. Wir aber können uns nichts Besseres vorstellen. Freundschaft ist das letzte romantische Konzept, das uns geblieben ist“, sagt Watters.

So sieht Freundschaft heute aus
Ja, unser Clan ist etwas Großes. Mit den meisten Freunden verbringen wir mehr wache Nächte und wilde Tage als mit dem Mann, den wir vielleicht mal heiraten. So viel Leben muss eine Liebe erst mal nachholen. Und wenn wir ehrlich sind, lassen wir eher einen Mann sausen als einen guten Freund. Oder wir haben so viel Glück wie die 33-jährige Helen (siehe unten): Sie behielt Sebastian, ihre erste große Liebe, als besten Freund. Und am Tag ihrer Hochzeit stand Sebastian neben ihr, genau wie ihr zukünftiger Ehemann – als Trauzeuge. „Für mich fühlte sich das innig und richtig an. Die beiden wichtigsten Männer waren an meiner Seite“, sagt sie. Solche Konstellationen sind neu und werden mehr. Weil wir heute alle, die uns lieb sind, zusammenbringen wollen. „Freunde gehören zur Familie, so eng und so nah wie möglich“, sagt der Bielefelder Soziologe Johannes Schmidt, der am Institut für Weltgesellschaft am Projekt „Freundschaft und Verwandtschaft“ arbeitet. Ex-Lieben bleiben Mitbewohner, Kolleginnen werden Paten, Cliquen kaufen Resthöfe (die vorsichtigeren Ferienhäuser), um Zeit miteinander zu verbringen. Wir sind happy damit, weil wir bei unseren Freunden ganz wir selbst sein können. Sie nehmen uns erwartungsfrei, so wie wir nun mal sind – ganz anders als die Eltern oder der Mann, den wir lieben. In Freundschaften teilen wir Erwartungen intuitiv auf. Wir wissen, dass die herzensgute Sandkastenfreundin uns keinen Rat für die anstehende Gehaltsverhandlung geben kann. Aber bei Liebeskummer tröstet keine besser. Wir können mit unserem Soulmate nächtelang am Flussufer philosophieren – aber würden wir einen gemeinsamen Urlaub überleben? In Freundschaften geht das in Ordnung. „Freunde dürfen sich Luft lassen, ohne dass die Freundschaft leiden muss. Und wenn sie wollen, können sie sogar den Alltag aussperren“, sagt Schmidt. Ja, der Montags-Macchiato mit dem Soulmate ist eine Oase. Um die Steuern kümmern wir uns morgen – mit Vater oder Ehemann.
Freunde geben uns Kraft
Freunde machen uns auch selbstbewusst und erfolgreich. Sie sind in hohem Maße dafür mitverantwortlich, dass wir uns etwas trauen. Wenn wir uns verändern wollen – wer rät uns was? „Meinst du, das ist der richtige Weg, Kind?“, fragt Mama. „Habe ich überhaupt genug Mut?“, fragt der eigene Bauch. Aber unsere Freunde sagen: „Das ist genau dein Ding. Wenn das eine schafft, dann du!“ Die Familie spiegelt unsere Zweifel, wir selbst unsere Ängste, Freunde unsere Kraft wider. Wie oft sind wir mutig, weil wir wissen, dass eine Handvoll Menschen bereitsteht und uns auffangen könnte, wenn wir stolpern? Dafür sind Freunde da. Wir würden für sie jederzeit das Gleiche tun. Die Familie ist unsere Wurzel, wir können sie nicht umtauschen, da kommen wir her. Wenn wir Glück haben, ist ein echter Freund dabei und bleibt es auch. Freunde sind die, mit denen wir uns entwickeln und in die Zukunft gehen. Diesen Clan suchen wir uns selber aus, ein exklusiver Kreis, ein freiwilliger Bund. Genau da liegt seine Qualität. Diese paar Menschen halten die Welt an für uns. Oder drehen sie weiter, wenn es nötig ist. Alles kein Ding, dafür sind Freunde doch da.
Die fünf Freundschafts-Typen
Die meisten Freundeskreise haben ähnliche Muster. Hier kommt das Who's who in unserem Clan und wer uns wann stark, erfolgreich und happy macht.
FREUND IN DER FAMILIE
"Mein Bruder wird heute noch hellhörig, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle." Familienfreunde geben uns Boden unter den Füßen. Schwester oder Mutter können uns fantastisch erden, schenken uns Sicherheit, Heimat, einfach das Gefühl, gut aufgehoben zu sein. In der Regel wechselt unser engster Vertrauter in der Familie nicht. Ein echter Freund in der Familie ist ein Geschenk, denn er weiß Antworten auf fast alle Fragen des Lebens…

DER EX
„Sebastian kennt meine Mutter, meine Macken, meine Gedanken. Er gehört noch immer dazu.“ Hat eine Liebe erst mal auf diese Ebene gewechselt, kann der entstandenen Freundschaft eigentlich nichts und niemand mehr was anhaben. Toll für Persönlichkeits- und Beziehungsfragen, weil man sich ja gerade da so gut kennt. Nicht selten findet ein Ex den Richtigen für uns!
DIE SANDKASTENFREUNDIN
„Jannah ist meine Schwester im Geiste: weil wir zusammen erwachsen wurden und alle Geheimnisse teilen.“ Sie ist unsere Lebenszeugin, ein Mensch, der weiß, wo wir herkommen, welche Geschichte wir mitbringen. Die perfekte Ratgeberin in Seelenfragen, weil sie uns in den unterschiedlichsten Phasen und Facetten kennt.
DER COACH
„Franzi und ich haben sofort gespürt, dass wir nicht nur im Job auf einer Wellenlänge sind.“ Es kann ein Kollege oder einfach ein Mensch mit viel Erfahrung sein. Für uns sind solche Freunde echte Entwicklungshelfer. Sie stellen die richtigen Fragen und lassen uns selbst die Antworten finden. Sie schenken Selbstvertrauen – und wenn wir selbst mal Coach sind, macht uns das auch ziemlich happy.

DER SOULMATE
„Caro und ich schöpfen beide Kraft daraus, dass wir uns auf das Gute konzentrieren.“ Wir brauchen diese eine, die in unserem Leben nahezu telepathisch spüren kann, was bei uns gerade abgeht. Ein Soulmate gibt uns Nähe und Geborgenheit, das Gefühl, so wie wir sind in Ordnung zu sein. Aber: Gerade weil wir uns verändern, können Soulmates wechseln – und das ist gut so!
Helen stellt vor: Das sind meine Freunde
Helen, 33, schwört auf ihre Sippe: fünf Vertraute, ganz verschieden, doch jeder für sich unbezahlbar
„Wir haben zusammen im Sandkasten gespielt, Barbies frisiert, für Jungs geschwärmt – und kennen uns heute noch in- und auswendig. Wenn Jannah und ich zusammen sind, braucht es keine Worte. Wir wissen sofort, was die andere bewegt, und fangen auf Knopfdruck an zu kichern, wenn wir uns an alte Zeiten erinnern. Obwohl wir uns nur ein- oder zweimal im Jahr sehen können, spürt jeder das starke Band zwischen uns. Von meinem Alltag kriegt sie nicht viel mit – dafür habe ich Sebastian. Er ist einen Tag älter als ich und war meine erste große Liebe. Wir gingen gemeinsam ins Internat und machten eine intensive, selbstbestimmte Zeit durch. Das schweißt zusammen. Mit Beginn der Studienzeit wurde aus der Liebe eine wunderschöne Freundschaft. Zwar gingen wir ab da eigene Wege, sehen uns heute aber wieder mindestens einmal in der Woche – obwohl wir beide in festen Händen sind. Mein Mann sagt manchmal, Sebastian und ich würden auf alles die gleichen Antworten geben, wenn man uns getrennt befragte. Weil wir ähnlich ticken, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben und extrem ehrlich sind. Der positivste und unbeschwerteste Mensch in meinem Leben ist Caro, die ich vor elf Jahren über ihren Mann kennenlernte. Sie bringt mich zum Lachen, findet in allem das Gute und motiviert mich ungemein. Ihr kann ich mein gesamtes Gefühlsleben anvertrauen. Seit wir auch noch fast zeitgleich ein Kind bekommen haben, ist unsere Beziehung noch vielschichtiger geworden. Und dann habe ich noch Franzi, meine ehemalige Kollegin, mit der ich gerade im Urlaub war. Ich sehe sie etwa einmal im Monat. Dann gehen wir essen oder kochen zusammen – und bringen uns auf den Stand der Dinge. Wir haben uns beide selbstständig gemacht: Allein dieses Thema füllt Abende. Franzi kennt auch Caro und Sebastian. Geburtstage und andere Anlässe feiern wir alle zusammen. Komplett macht die Sippe mein großer Bruder Christian: Er ist irgendwie immer noch mein Beschützer – und hilft mir nicht nur als Anwalt bei allem durch Schwierigkeiten hindurch.“