Das hätte ich jetzt nicht sagen sollen, oder?

Das hätte ich jetzt nicht sagen sollen, oder?

Zugegeben, wir tratschen gerne. Weil es (fast) nichts Schöneres gibt, als mit der besten Freundin die neuesten Klatschgeschichten zu teilen. Aber – wo ist die Grenze? Und wann ist schweigen klüger? Ein Talkabout über den richtigen Umgang mit Geheimnissen.

Frau ist schüchtern © iStockphoto/Thinkstock
Frau ist schüchtern

Mein letzter "Hätte ich bloß den Mund gehalten"-Moment begann recht harmlos. "Und? Wie alt schätzen Sie mich?", fragte die Friseurin, während sie meine Haarspitzen schnitt. Ich antwortete spontan: "So um die 40." Tatsächlich war sie gerade 30 geworden. Der Rest meines Friseurtermins verlief in eisigem Schweigen und mündete in einem zu kurz geratenen Pony, der zum Glück schnell wieder nachwuchs. Wesentlich dramatischer endete der Moment der Ehrlichkeit für meinen alten Schulfreund Ecki. Ich traf ihn auf einem Klassentreffen, wo er mir nach dem dritten Bier verriet, warum er plötzlich wieder Single war: "Ein Seitensprung, der mir überhaupt nichts bedeutete." Weil ihn aber sein schlechtes Gewissen nicht schlafen ließ, beichtete er die Affäre seiner Langzeit-Freundin. "Die ging erst ziemlich lässig damit um", so Ecki. "Aber kurze Zeit später trennte sie sich, weil sie mir nicht mehr vertrauen konnte. Und das, obwohl ich ihr neun Jahre lang treu war." Hätte er bloß den Mund gehalten.

Psychologie:

Dabei lieben wir es doch zu reden! Vor allem montags, in der ersten Kaffeepause im Büro, wenn die Ereignisse vom Wochenende besprochen werden müssen: "Schon gehört? Die Susi aus dem Vertrieb hat auf dem Sommerfest mit dem Controller geknutscht!" – "Nein!" – "Jahaa doch!" Das gibt so ein kuscheliges Gefühl der Zusammengehörigkeit. Wenn man sich dann noch darauf geeinigt hat, dass Kollegin XY zu alt für ihren Minirock und der Mann von Jenny Elvers ein Arsch ist, gehen alle glücklich und beschwingt zurück an den Schreibtisch. "Klatsch und Tratsch sind ein menschliches Grundbedürfnis", erklärt die Psychologin und Buchautorin Ursula Nuber („Lass mir mein Geheimnis! Warum es guttut, nicht alles preiszugeben“, Campus Verlag, 239 S.) "Es gibt Studien, die belegen, dass zwischen Menschen, die negative Geschichten über andere teilen, so etwas wie Nähe und Freundschaft entsteht."

Der Klatsch und die Moral

Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: "Wir fühlen uns besser und moralisch überlegen, wenn wir ein Geheimnis entdecken, das unsere eigenen Vergehen nicht mehr so schlimm aussehen lässt." Ein Herr Hoeneß, der Millionen Euro am Fiskus vorbeigeschmuggelt hat? Unmöglich! Dagegen ist die Nummer mit dem polnischen Handwerker, der uns mal eben schwarz die neue Küche eingebaut hat, ja ein Witz. Tratsch ist toll. Wären da nur nicht immer wieder diese "Hätte ich bloß nichts gesagt"-Momente, die einen selbst in der Kaffeeküche ereilen können ("Der Controller? Äh, das ist doch mein Schwager …"). Wann ist es schlauer, zu schweigen oder gar zu lügen? Warum können wir einige Geheimnisse gut für uns behalten und andere gar nicht? Und wie hat sich unser Mitteilungsdrang in Zeiten von Facebook, Twitter & Co geändert?

In unserer aktuellen PETRA Umfrage erklärten 79 Prozent der Frauen, dass Geheimnisse bei ihnen sicher sind. Nur, wenn es um die beste Freundin geht, machen die Befragten eine Ausnahme: 34 Prozent würden es weitererzählen, wenn sie zum Beispiel den Partner der Freundin beim Fremdgehen erwischen würden. Aber, hey, haben uns nicht die Erfahrung und unzählige Folgen "Desperate Housewives" gelehrt, dass es besser ist, sich nicht in fremde Beziehungsprobleme einzumischen?

Psychologie:

"Man sollte sich fragen: Wird durch das Geheimnis das Selbstbestimmungsrecht eines anderen Menschen verletzt?", gibt Ursula Nuber zu bedenken. Das bedeutet: Ein One-Night-Stand wird einer stabilen Beziehung nichts anhaben können. Wenn aber der Ehemann eine langjährige Geliebte und sich vielleicht schon ein zweites Leben aufgebaut hat, dann wird das Recht der Ehefrau verletzt. Denn, so Nuber: "Sie kann ja nicht entscheiden: Will ich gehen, oder will ich bleiben?" In so einem Fall sollte man alles tun, damit die Ehefrau, die unsere beste Freundin ist, nicht eines Tages unvorbereitet eine solche Holzhammer-Nachricht vor den Kopf geknallt bekommt.

Frau auf Sofa© Digital Vision/Thinkstock
Ehrlichkeit in der Beziehung: Ist wirklich jede Wahrheit eine Enthüllung wert?

In der eigenen Partnerschaft ist es aber ratsam, sich nicht alles zu erzählen. Wer will schon in eines dieser "Wir"-Pärchen morphen, das nicht nur die Liebe zur gleichen Allwetterjacke, sondern gleich alles teilt: Hobbys, Gedanken, Kontoauszüge? "Jeder Mensch braucht Geheimnisse", sagt Ursula Nuber. "Bereiche, die nur einem selbst gehören." Die neuen Ankle-Boots haben so viel gekostet wie seine Fußballdauerkarte? Das muss er nicht wissen. Sie hören immer noch heimlich das Mixtape, das Ihnen Ihre erste Liebe aufgenommen hat? Wunderbar, weiter so! "Es ist wichtig, dass wir unseren eigenen Kern behalten und schützen", betont die Psychologin. "Das muss der Partner aushalten."

Psychologie:

Fast alle Teilnehmer der PETRA Umfrage geben zu, dass es Themen gibt, über die sie mit niemandem sprechen. Oder selten. Über schlechten Sex würden zum Beispiel nur fünf Prozent reden. Könnte ja passieren, dass unsere Freundin rot anläuft, sich die Hände auf die Ohren presst und "zu viel Information!" ruft. Obwohl unsere Gesellschaft schon lockerer geworden ist, findet der Tabuforscher Professor Dr. Hartmut Schröder: "Nicht zuletzt durch Serien wie ,Sex and The City‘, die dazu führen, dass wir denken: ,Ich muss auch so offen sein.‘" Auch im Bereich der neuen Medien sieht Schröder eine interessante Entwicklung: "Etwas direkt zu sagen ist viel stärker, als etwas zu schreiben. Beim Schreiben habe ich immer noch diese Distanz, kann zum Beispiel ein Wort in Anführungsstriche setzen. Wenn ich aber sehe, was in SMS-Nachrichten oder auf Facebook so getextet wird, staune ich. Diese Regel scheint nicht mehr zu gelten."

Die letzten Tabus

Heute muss man einfach in wenigen Zeichen zur Sache kommen, da ist kein Platz für blumige Umschreibungen. Fragt sich nur, wie viele Geheimnisse schon durch achtlos herumliegende Smartphones und – pling – verräterische Kurzmitteilungen ans Licht gekommen sind … Aber so modern und aufgeklärt wir uns auch geben, es gibt immer noch Tabu-Bereiche, die wir komplett aussparen, egal, ob beim Büro-Smalltalk oder beim Prosecco mit der besten Freundin. "Dinge, die bei uns Scham oder Ekel auslösen, Krankheiten und letztendlich auch Tod und Sterben“, fasst Schröder zusammen. „Eigentlich alles Themen, die auch zum Leben dazugehören, aber an die man – anders als im Mittelalter – heute nicht an jeder Straßenecke erinnert werden möchte."

Dazu zählen auch kleine Schönheits-Eingriffe – nur elf Prozent der PETRA-Befragten würden es weitererzählen, wenn sie beim Beauty-Doc waren. Da besteht die Gefahr, dass die Geschichte Stille-Post-mäßig die Runde macht – und aus einer kleinen Botox-Spritze plötzlich ein kompletter Facelift samt Brustvergrößerung wird. Geheimnisse bedeuten Macht. Und manche Menschen nutzen sie, um sich vor anderen zu profilieren. "Es geht um Aufmerksamkeit", erläutert Ursula Nuber. "Das ist quasi unsere neue Währung. Wenn ich das Gefühl habe, ich werde nicht genug beachtet, muss ich nur ein Geheimnis ausplaudern, und schon stehe ich im Mittelpunkt des Interesses."

Psychologie:

Kommt Ihnen bekannt vor? Das ist auch ein beliebter Schachzug von Prominenten, die wieder in die Schlagzeilen wollen. Achten Sie mal drauf: Kurz vor Veröffentlichung eines Buchs, einer CD oder vor Start einer neuen TV-Show kommen dann irgendwelche Drogenbeichten an den Tag, oder der Beziehungsstatus wird flugs geändert. "Wir leben in einer Welt, in der Klatsch und Tratsch der Maßstab für modernes Marketing sind", erklärt der Kommunikationstrainer und Coach Ed Rowland. "Es gibt inzwischen schon ganze Werbekampagnen, die darauf aufgebaut sind. Mund-zu-Mund-Propaganda ist ein Marketingkonzept, das immer mehr zum Tragen kommt. Egal, ob Amazon, Facebook oder Youtube, überall schreiben die Leute Bewertungen, die dann weitergegeben werden."

Was verrät unsere Körpersprache?

Was dabei allerdings völlig auf der Strecke bleibt, ist unsere Körpersprache. „Die Mimik der Menschen ist fast überall auf der Welt gleich. Freude, Angst, Empörung, Hass, da unterscheiden sich die Gesichtszüge nicht so sehr“, beschreibt Rowland. "Doch heute, wo wir mehr und mehr mit Computern oder Handys kommunizieren, verlieren wir dieses Körpersprache-Wissen." Erschreckend – denn damit geht auch unser Bauchgefühl flöten: "Instinkt bedeutet nichts anderes, als hundertprozentiges Wissen über Mimik und Gestik, das wir von unseren Vorfahren geerbt haben." Inzwischen werden sogar Kurse angeboten, in denen man lernt, Körpersprache zu lesen. "Das wird bei großen Firmen sehr oft gemacht", verrät Rowland. "Öfter, als man glaubt." Bislang konnten wir immer erkennen, wenn Schatzi uns anflunkerte. Und in Zukunft? Werden wir in Autos mit hässlichen Sportwagensitzen herumfahren, weil wir ihm einfach glauben müssen, "dass es nichts Besseres für den Rücken gibt"? Und wie kriegen wir raus, ob seine neue Taekwondo-Trainerin nur nett ist – oder nett und mega-attraktiv? Rowland gibt uns einen Tipp: "Schauen Sie auf seine Augen. Bleiben sie ruhig? Wenn ich über etwas rede, was ich kenne, schaue ich anders, als wenn ich etwas erfinde. Sobald ich überlegen muss, wandern die Augen nach oben links."

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