
Ende Februar war Oscar-Zeit. Hollywood kürte die besten Leistungen vor und hinter der Kamera. Eine Kategorie aber wurde auch 2011 nicht verliehen: der beste Schönheitseingriff männlich/weiblich. Das ist schade. Die Auszeichnung wäre hochspannend, schließlich wäre der halbe Saal des „Kodak Theater“ in Los Angeles für den OP-Oscar nominiert, ach, vielleicht sogar der ganze. Der Gang über den roten Teppich müsste natürlich in die Entscheidung der Jury aufgenommen werden, an diesem Tag sehen Hollywoods Größen so jung und frisch aus wie nie im Jahr. Wochen, Tage und Stunden vor der großen Feier herrscht bei Schönheitsexperten in L.A. Hochbetrieb. „Wenn ich bei der Grammy- oder Oscarverleihung gearbeitet habe, kam es vor, dass ich einen Star noch frisiert habe und ihm währenddessen Botox gespritzt wurde“, erinnert sich Armin Mohrbach, einer der erfolgreichsten Stylisten Deutschlands.

Sogar der Oscar fürs Lebenswerk wäre in der Sparte „Künstlicher Eingriff“ möglich – Cher hätte ihn längst verdient. Oder Nicole Kidman, Goldie Hawn, Melanie Griffith, Meg Ryan. Leider könnte man den Preis mittlerweile auch für Nachwuchsschauspieler vergeben. Carey Mulligan, zuletzt auf der Leinwand mit „Wall Street 2“, klagte im Dezember, dass ihr ein Arzt nahegelegt hätte, Fältchen an den Augen wegspritzen zu lassen. „Nur in Los Angeles bietet dir jemand Botox an, wenn du gerade mal 25 Jahre alt bist“, ärgert sich Mulligan, „damit kann ich mein Gesicht nicht mehr bewegen. Ist das nicht genau das Gegenteil von dem, was ich als Schauspielerin eigentlich machen sollte? Wenn dein Körper nicht normal aussieht, wie kann man dann ganz normale Leute darstellen?“ Dass Mulligan Britin ist und offen über den Botox-Wahn klagt, passt: Beim US-Fernsehsender Fox werden immer öfter Schauspieler aus Australien oder England für TV-Serien ausgewählt, weil es so schwer geworden ist, natürlich aussehende einheimische Darsteller zu finden.
„Jeder sieht aus wie ein Stripper oder eine Drag Queen“, spottete Marcia Shulman, Castingagentin bei Fox in der „New York Times“. Oliver Hirschbiegel, einer der wenigen deutschen Regisseure, die große Hollywood-Filme drehen, kennt das Problem: „In den USA beginnt die Operationswelle in ganz jungen Jahren: Es gibt drei, vier Frauentypen, die sich immer ähnlicher sehen“, sagt er. „Das zwingt Regisseure, sich zu beschränken auf: die Brünette, die Blonde, die Schwarzhaarige.“
Kann man Botox nehmen und noch schauspielern?“, fragte jüngst die britische Zeitung „The Guardian“ und spottete über eine Darstellerin der TV-Serie „Desperate Housewives“. Die war vor lauter Nervengift in ihrem Gesicht nicht mehr in der Lage, vor der Kamera überrascht zu wirken – also gab man ihr eine Kaffeetasse, die sie im fraglichen Moment fallen lassen sollte. Die Vereinigten Staaten, Mutterland des Kinofilms, haben ein Problem, das nur auf den ersten Blick lustig ist: Es hat Hollywood Jahrzehnte gekostet, die perfekte Frau zu kreieren, jetzt wünschen sich alle die alte zurück. „Ich will wieder echte Gesichter sehen“, klagt Mindy Marin, Castingagentin des George-Clooney-Films „Up in the air“. Bei der Rollenausschreibung zu „Fluch der Karibik 4“ stand gar: „Sprechen Sie nicht vor, wenn Sie Brustimplantate haben“. Es formiert sich also eine Anti-Botox-Bewegung. Der sich immer mehr Schauspielerinnen anschließen: Die Französin Julie Delpy („Before Sunrise“) vergleicht den gesellschaftlichen Druck, schön und jung sein zu müssen, mit Sklaverei; Julia Roberts verzichtet auf Botox, weil „ich will, dass meine Kinder es mir ansehen, ob ich sauer oder glücklich bin“. Das „Ich finde Botox unmöglich“-Geständnis ist sehr en vogue, selbst Nicole Kidman hat schon behauptet, eine natürliche Schönheit zu sein. Also ist der Kampf gewonnen?
Fältchen zum drauffreuen
Zugegeben, wir können nicht garantieren, dass diese Frauen nie eine Beauty-Klinik von innen sahen. Aber: Es spricht viel dafür, dass sie lieber das Leben machen lassen. Danke für jede Lachfalte in diesen Gesichtern ...
MERYL STREEP, 61
Seit „Out of Africa“ hat sie sich kaum verändert. Wer von innen schön ist, ist eben immer schön
JULIE DELPY, 41
Man sagt ja, die Französinnen altern besser: Hier wäre ein bildhübscher Beweis
JULIA ROBERTS, 43
Mein Herz, meine Kinder und mein Mann“, sagt sie, wenn man sie nach ihren Beauty-Tricks fragt. Offensichtlich reicht das!
HELEN MIRREN, 65
Alter schützt vor Schönheit nicht: Liebe Helen, deine Linien sind einfach toll!
Leider leider nein! „In immer mehr Verträgen steht, dass wir Botox nicht benutzen dürfen – aber das machen trotzdem viele“, sagt eine bekannte deutsche Schauspielerin, die Mitte 40 ist, aber wie Mitte 30 aussieht und nicht genannt werden möchte. Ihr hatte ein Arzt beim ersten Mal zu viel Botox gespritzt – als sie direkt danach drehen sollte, rief der Regisseur: „Schau nicht so böse!“ Aber sie hatte nur noch zwei Blicke drauf – sexy oder eben böse. „Die Regisseure wollen keine Schönheitseingriffe. Aber viele Rollen für Frauen, die aussehen wie 50, gibt es auch nicht.“ Cornelia von Braun, Vorsitzende des deutschen Castingverbandes, kennt das Problem: „Denken Sie an den Kinofilm ,Wolke 9‘ über Sex im Alter. Den fanden alle mutig, die Kritiken waren toll, aber an den Kinokassen ist er untergegangen“, sagt sie. „Es geht ja nicht um die drei, vier Charakterrollen – sie werden immer einen Film für Hannelore Elsner oder Meryl Streep haben“, sagt Cornelia von Braun, „aber was ist mit den Schauspielern, die über 50 sind, gut, aber nie richtig bekannt wurden?“
Sie versteht, warum Schauspieler Tausende von Euros zahlen, Schmerzen und ihre Ausdruckskraft riskieren: „Mein Problem ist, dass ich Rollen von 60-Jährigen mit 40-Jährigen besetzen muss.“ Das gilt für Deutschland wie für die USA und vermutlich auch für den Rest der Welt. Schauspielerinnen werden besetzt als junge hübsche Frau bis 30, dann als die Ehefrau bis 40. Und dann? Wenn man Cornelia von Braun bittet zu schätzen, wie viele der hiesigen Schauspielerinnen über 40 in irgendeiner Form ihrer Schönheit künstlich nachhelfen, antwortet sie: „Alle“. Ältere Schauspielerinnen haben die Wahl zwischen dem Verzicht auf Schönheitseingriffe, nur gibt es dann keine Rollen mehr für sie. Oder sie legen sich unters Messer und werden schlimmstenfalls zum Spott der Klatschmagazine, die gut bezahlen für Promifotos mit Lifting-Narben.
Es gibt wohl nur zwei Auswege. Der erste: Wir verabschieden uns allesamt – Stars und Publikum gleichermaßen – von unserem unerfüllbaren Schönheitsideal. Oder: Die plastische Chirurgie und Pharmaindustrie werden immer bessere Methoden finden, um Spuren des Alters zu verwischen. Hoffen wir also ganz stark, dass der Zuschauer nicht vergisst, wie wunderbar ein faltiges Gesicht vor der Kamera Trauer und Freude zeigen kann. Tja, vielleicht sollte man sich erst einmal „Wolke 9“ ausleihen.