
Darf ich ehrlich sein? Ich hätte gern ein eigenes Zimmer. Obwohl ich glücklich verheiratet bin, würde ich einen Raum in unserer Wohnung ausschließlich nach meinen Bedürfnissen gestalten: an jeder Wand Regale voller Bücher. Ein dänischer Sessel, viele Kerzen – und ein Bett ganz für mich allein, in dem ich hin und wieder die Nacht zum Tag machen kann, ohne jemanden zu stören: lesen, Filme gucken, mit Freundinnen telefonieren – aber vor allem, in dem ich schlafen kann, ohne dass mich jemand stört.
Etwa durch Geschnarche, Herumgewälze und plötzliche Schläge gegen die Schulter oder in die Magengrube. Dieser jemand, also mein Mann, fängt immer genau dann an, einen Wald abzusägen oder sich unruhig zu drehen, wenn ich gerade eingeschlafen bin. Und dann liege ich da. Die Gedanken fangen an zu kreisen und ich schaffe es einfach nicht, wieder hinüber ins Land der Träume zu gleiten. Leider habe ich so einen Raum nicht, solange unsere Jungs noch zu Hause wohnen.
Ich bin nicht die Einzige, die sich nach "Einfach mal die Tür zumachen" und ruhigen Nächten sehnt. Laut Umfragen schlafen gut 40 Prozent der liierten Erwachsenen mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin nicht in einem Bett. Und: Fast immer sind es die Frauen, von denen der Wunsch nach dem Modell "Sleep Divorce" ausgeht. Warum das so ist?
Wie sich getrennte Betten auf die Beziehung auswirken können, erfährst du im Video:
Forschung zeigt: Frauen schlafen besser alleine
Frauen schlafen besser ohne Partner. Männer besser mit jemandem an ihrer Seite. Das ist keine steile These, sondern wissenschaftlich belegt. Bereits vor über einem Jahrzehnt nahm sich ein internationales Team aus Psychologen und Medizinern vor, den Paarschlaf zu ergründen, und kam nach umfangreichen Forschungen zu eben diesem Ergebnis. Und eine Erklärung lieferten sie auch gleich mit: Frauen reagieren sensitiver auf Stressfaktoren und Reize wie Unruhe und Lärm.
Gerade der ist in Form von Schnarchen ein nicht unerheblicher Schlaf und damit Gute-Laune-Killer. Laut DAK-Gesundheitsreport fühlt sich jede vierte Frau vom Schnarchen ihres Partners gestört. Was durch so eine nächtliche Beschallung auf der Strecke bleiben kann, ist nicht weniger als die eigene Gesundheit.
Schlechter Schlaf kann gesundheitsschädlich sein
Denn auch das belegt die Forschung: Schläft man länger als fünf Jahre zu kurz und schlecht, steigt die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Krebs. Schon nach einem Tag Schlafentzug sinkt die Körpertemperatur ab, man fühlt sich unterkühlt. Der Herzschlag wird schneller, das Immunsystem fährt seine Leistung auf Sparflamme herunter und das Kurzzeitgedächtnis funktioniert nur noch mit etwa 60 Prozent Leistung. Heftig, oder?
Das Ehebett ist kein Garant für eine glückliche Beziehung
Natürlich: Beieinander schlafen und zusammen aufwachen hat auch ganz viel Schönes. Es kann für Nähe und Intimität sorgen und so die Partnerschaft stärken. Gleichzeitig aber ist das Konzept "Ehebett" kein Garant für eine glückliche Beziehung, geschweige denn für regelmäßigen Sex. Mal ehrlich, wie viele Paare kennst du, die freudlos nebeneinander leben, obwohl sie die Nächte gemeinsam verbringen?
Eben. Meine Bekannte Lena, eine 47-jährige selbstständige Floristin, hat dank "Sleep Divorce" die Nähe ihres Partners sogar wieder mehr zu schätzen gelernt. Das Paar entschied sich für getrennte Schlafzimmer, weil SIE sich im Bett gern müde liest, ER bei Licht aber nicht einschlafen kann. "Wie das immer so ist", erzählt sie, "die ersten zwei Verliebtheitsjahre stört das niemanden, aber irgendwann wird’s zum Dauerthema."
Als ihr Mann Johannes dann mal auf einer Fortbildung war, machte es Klick: "Obwohl ich ihn vermisst habe, habe ich die Zeit fieserweise auch genossen. Einmal keine Rücksicht nehmen und bis in die Puppen schmökern – herrlich!"
Danach stand ihr Plan fest: "Ich ziehe aufs Schlafsofa im Arbeitszimmer, zumindest für ein paar Monate." Sie erinnert sich: "Johannes fand das gar nicht gut. Er meinte, das wäre der Anfang vom Ende. Aber ich konnte ihn überzeugen, dass mein Wunsch nach Schlaf-Distanz absolut nichts mit ihm zu tun hatte."
Sleep Divorce hat nichts mit Trennung zu tun
Aber nach ein paar Wochen im Kabuff fühlte sich Lena dann doch nicht mehr so happy. Die Nächte ohne Johannes fühlten sich irgendwie kälter an, sagt sie. Eine Lösung musste her! Das Paar setzte sich zusammen und fand einen Kompromiss. "Unter der Woche schlafen wir jetzt getrennt, am Wochenende zusammen. So sind wir beieinander, müssen dafür aber keine Schlafdefizite in Kauf nehmen", erzählt Lena.
"Und obwohl ich seit einiger Zeit einen E-Reader habe und auch ohne Licht lesen kann, bleiben wir dabei. Denn so haben wir beides, Geborgenheit und Freiheit." Kürzlich habe ihr Mann gesagt: "Das fühlt sich an wie eine Fernbeziehung." Und beide finden das – nach 17 Jahren Zusammenleben – ganz schön aufregend. Für mich ist klar: Eine "Sleep Divorce" hat mit Trennung nichts zu tun – im Gegenteil!
Quelle: Text ursprünglich erschienen im Grazia-Heft 26