Hilfe, wir sind schizophren - die Rollen der Frau

Hilfe, wir sind schizophren - die Rollen der Frau

Wer bin ich wirklich? Die moderne Gesellschaft fordert von uns Frauen so viele Rollen ab, wie noch nie. Warum das so ist und wie wir davon profitieren können, erfahren Sie hier.

Frau wählt zwischen verschiedenen Masken© Tatiana Gladskikh/ iStock / Thinkstock
Frau wählt zwischen verschiedenen Masken

Prinzessin, Piratenbraut, Superheldin. Was war Ihr größtes Kindheitsidol? Die Entscheidung fiel uns schon bei der jährlichen Faschings-Kostümwahl schwer. Aber jetzt wissen wir, dass wir uns gar nicht entscheiden müssen. Denn in uns steckt nicht nur eine Rolle, wir haben viele. Mithilfe von Elite-Partner-Psychologin Lisa Fischbach sind wir diesem Phänomen auf den Grund gegangen. Autorin Tatjana Raphael wagte den Selbstversuch: Sie befragte Kollegen, Verwandte, Freunde und Partner, was sie wirklich von ihr denken...

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Verhalten wir uns am Arbeitsplatz anders als privat?

Wer kennt es nicht? Fünf Minuten vor Feierabend platzt der Chef gestresst und unangekündigt ins Büro. Ob man nicht noch mal eben schnell eine Kostenübersicht der letzten drei Monate erstellen könne. Die obligatorische Antwort einer fleißigen Mitarbeiterin: „Natürlich, hätten Sie es lieber in Excel oder Word?“ Und das obwohl man schon letzte Woche den Bauch-Beine-Po-Kurs wegen der Arbeit sausen lassen musste. Würde der eigene Partner so etwas verlangen, läge uns die zynische Antwort schon auf der Zunge. Nicht verwunderlich also, dass 99% der befragten Frauen in einer von Baileys durchgeführten Studie angaben, am Arbeitsplatz nicht sie selbst zu sein. „Diese Zahl halte ich für überzogen“, sagt Expertin Lisa Fischbach, „natürlich stellt sich auf dem Arbeitsplatz die Frage, welchen Anteil der eigenen Persönlichkeit man preisgeben möchte.“ Überstunden zu machen, kann nur einem waschechten Workaholic Freude machen. Aber immer sagen, was man denkt? Keine gute Idee. „Im beruflichen Umfeld ist jede Frau in eine bestimmte Rolle gedrängt“, sagt die Expertin. „Verhält man sich nicht ihr entsprechend, muss man mit Konsequenzen rechnen.“ Wer keinen Einsatz auf der Arbeit zeigt und sich wenig diplomatisch verhält, sollte sich nicht wundern, wenn der Chef nach einer neuen Assistentin sucht.

Wieviel von mir selbst sollte ich preisgeben?

Ob wir die eigene Meinung sagen oder nicht, entscheiden wir je nachdem, ob wir ernsthafte Folgen vom Gegenüber zu erwarten haben. In unserem Selbstversuch kamen wir mit Expertin Lisa Fischbach zu einem ähnlichen Ergebnis. Während Arbeitskollegen und Freunde Tatjana als zurückhaltend empfinden, behaupten ihr Partner und die Familie das Gegenteil. Verstellt sie sich deshalb? „Nein“, sagt die Expertin, „das Umfeld aktiviert in uns bestimmte Seiten der Persönlichkeit.“ Jetzt könnte man vermuten, dass Tatjana bei ihren Freunden sie selbst sein kann. „Wie viel wir von uns zeigen, hängt zusätzlich davon ab, wie belastbar die Beziehung zu der jeweiligen Person ist“, erklärt Lisa Fischbach. Tatjana sagt ihre Meinung daher nicht, wenn sie befürchtet, dass ihre Freunde sich von ihr abwenden könnten. Das ist einer der Gründe, warum sich die Einschätzungen unterscheiden können.

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Wie die Einschätzung von eigenen Werten abhängt

Temperamentvoll, harmoniebedürftig und ehrgeizig. Das sind die drei Worte, mit denen Tatjana sich selbst beschreibt. „Dementsprechend schockiert war ich natürlich, als meine langjährige Freundin Caro mich als faul betitelte“, sagt sie. Psychologin Lisa Fischbach erklärt uns jedoch, wie es zu einer so abweichenden Charakterisierung kommen kann. „Die Einschätzung, ob Tatjana faul ist oder nicht, hängt auch davon ab, was für persönliche Werte ihre Freundin hat“, erklärt sie, „man zieht automatisch den Vergleich zu sich selbst“. Da Freundin Caro extrem ehrgeizig ist, fällt Tatjanas Zielstrebigkeit dagegen ab. Dieselbe Freundin sieht es als Tatjanas größte Schwäche an, dass sie sich abhängig von ihrem Freund mache. „Damit hätte ich definitiv nicht gerechnet und es haute mich dann erst recht aus den Socken“, sagt Tatjana. Expertin Lisa Fischbach erklärt, wie es dazu kommen kann: „Wir haben eine Alltags-, Berufs- und Beziehungspersönlichkeit, daher verhalten wir uns manchmal widersprüchlich.“ Ist die Freundin gerade Single, nimmt sie die Beziehungspersönlichkeit unter Umständen auch kritischer wahr. „Zeigt Tatjana ihrem Partner gegenüber ein Bedürfnis nach Nähe, kann das nach außen hin so wirken, als mache sie sich abhängig“, sagt Fischbach.

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Frauen in der Beziehung

Auch, dass Frauen sich bei dem Geliebten (bewusst!) anders verhalten als sonst, fand die Baileys-Studie heraus. Weniger als die Hälfte der befragten Frauen gab an, bei ihrem Partner sie selbst zu sein. „Kontakt mit einer bestimmten Person bringt in uns – im wahrsten Sinne des Wortes – bestimmte Saiten zum Klingen“, sagt Fischbach. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn wir telefonieren. Ist der Liebste am anderen Ende der Leitung, beginnen wir zu säuseln. Am gedämpften, ernsten Tonfall ist zu erkennen, dass der Chef dran ist. Werden die Augen gerollt und der Hörer schnaubend ans Ohr geführt, meldet sich der nervende Ex. Und beginnen wir plötzlich zu kichern und doppelt so schnell und laut zu reden wie sonst, ist es sicher die beste Freundin. Auch das: ganz normal. Wir passen uns an das Gegenüber an, erklärt die Expertin.

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Männer gehen damit anders um

Anpassen, das haben vor allem wir Frauen drauf. Männer stellen sich vergleichsweise nicht so leicht auf jemanden ein. „Das liegt daran, dass Frauen stärker auf die Erwartungshaltung der anderen reagieren“, sagt die Psychologin. In Sachen Facettenreichtum kann das andere Geschlecht uns also nichts vormachen! Bedingt durch die Emanzipation der Frau haben wir gelernt, in extrem viele unterschiedliche Rollen zu schlüpfen. Neben der klassischen Hausfrau, Partnerin, Mutter und Tochter sind Frauen inzwischen berufstätig und anderweitig engagiert. „Je mehr Hobbies wir uns widmen, desto größer ist die Vielfalt“, sagt Lisa Fischbach. In durchschnittlich elf Rollen schlüpft die deutsche Frau am Tag, wie die Baileys-Studie herausfand. Männer hingegen haben ihre Rollenvielfalt nicht erweitert. Berufstätig waren sie schon immer, jedoch haben sich nicht alle den klassisch weiblichen Pflichten einer Hausfrau angenommen.

Hilfe, wir sind schizophren

Wenn wir Frauen uns so viele Identitäten zulegen – sind wir dann nicht beinahe schizophren? „Wir sind nicht eine Person, wir sind viele und tragen mehrere Sub-Ichs in uns“, sagt die Psychologin. Was jetzt erstmal sehr befremdlich klingt, muss uns nicht in Panik versetzen. „Es heißt nicht, dass wir eine gespaltene Persönlichkeit haben“, beruhigt Lisa Fischbach. Jeder hat unterschiedliche Facetten, bleibt jedoch eine Gesamtpersönlichkeit. „Unser Kern bleibt stabil, aber in manchen Situationen muss man sich zurückhalten“, sagt sie. Daher kann es auch sein, dass das Gesamtbild manchmal so unstimmig wirkt, dass Außenstehende den Eindruck haben, wir verstellen uns. „Ein kommunikativer Mensch ist immer kommunikativ“, erklärt Lisa Fischbach. Im Vergleich zu einem noch gesprächigeren Menschen kann es aber sein, dass er still wirkt. Auch auf das Gegenüber kommt es also an!

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Rollen zum eigenen Vorteil nutzen

Die von Baileys in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, dass fast alle Frauen sich gern inspirieren lassen. Unter den Top Drei der Attribute mit Vorbildfunktion sind Intelligenz, Selbstsicherheit und Humor. Auch die eigene Freundin kann Quelle des Ansporns sein. „Wenn jemand einem sympathisch ist, kann es sein, dass man Eigenarten internalisiert“, sagt die Elite-Partner-Psychologin. Bei der (unbewussten) Wahl des Vorbildes suchen wir uns oft jemanden, der etwas ausdrückt, was wir selbst noch nicht verinnerlicht haben. Deshalb beginnt man, sein Vorbild zu imitieren. Über die Hälfte der von Baileys befragten Frauen gab an, dass für sie die eigene Mutter eine Vorbildrolle übernimmt. Um Vorbildern nachzueifern, entdecken wir neue Seiten an uns und beginnen, uns zu verändern. Manchmal kann es aber auch durchaus Sinn machen, sich absichtlich zu verstellen. „Nämlich dann, wenn es einem einen persönlichen Vorteil bringt oder man Konflikte vermeiden möchte “, sagt Lisa Fischbach. Unsere Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit können wir uns daher getrost zunutze machen!

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