
„Was war Ihre größte Niederlage? Eine, die richtig wehgetan hat?“ Die Frage macht mich nervös. Augenblicklich atme ich so schnell und flach wie ein Zwerghamster. Da sitzen wir nun, sieben Seminarteilnehmer auf blauen Polsterstühlen – na ja, eigentlich hocken wir eher da und machen einen etwas unglücklichen Eindruck. In diesem Moment wäre es mir lieber, ich hätte mich zum Lachyoga oder zu einem Schweigeseminar angemeldet – das wäre weniger schmerzhaft gewesen.
Jetzt soll ich lernen, wie man klug scheitert und dafür mein schönes Make-up und den glatt geschliffenen Lebenslauf gleich an der Garderobe abgeben. Unsere Trainerin und Expertin für Resilienz (der Fachbegriff für innere Widerstandsfähigkeit), Monika Gruhl, hat sich darauf spezialisiert, Menschen den Weg zu zeigen, wie sie gestärkt aus Krisen hervorgehen. Sie weiß, wie sich in scheinbar noch so ausweglosen Situationen ein nützlicher Wink des Schicksals oder eine längst überfällige Kursänderung erkennen lässt. Wie man sich wappnen kann gegen künftige Rückschläge.
Dabei ist Misserfolg erst mal nicht besonders sexy
Lieben wir nicht Erfolgsgeschichten, am meisten unsere eigenen? Wer möchte schon über sein persönliches Scheitern sprechen? Diese bösen

Momente im Leben, in denen der Absatz mitten im Lauf abbricht und wir statt auf dem Siegerpodest auf der harten Bordsteinkante landen. In denen man, eben noch auf Erfolgskurs, Schiffbruch erleidet. Darüber schweigt man doch lieber und zimmert sich im Zweifel seine eigene, abgemilderte Version zurecht und verdreht ein paar Tatsachen, was einen vor dem Loser- Status bewahrt. („Ich habe mich getrennt.“ Nein er. „Ich wollte die Stelle sowieso nicht wirklich.“ Die andere Bewerberin war besser.)
Ich sehe den Gesichtern der anderen an: Jeder hier hat genug solcher Storys im Gepäck, aber will man damit rausrücken, die fiesen Schrammen auf der Seele auch noch anleuchten? Was soll daran gut sein? Scheitern frustriert, macht traurig, ist oft peinlich und mitunter schmerzvoll. Eine andere Wahrheit besagt: An Niederlagen wächst man. Vom „Glück des Scheiterns“ oder vom „Scheitern als Chance“ handeln neuerdings stapelweise Bücher. „Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird“, hat der kluge britische Staatsmann Winston Churchill einmal gesagt. Dann muss da etwas dran sein. Zumal: Menschen ohne Ecken und Kanten sind doch die, die man auf einer Party mit der Ausrede stehen lässt, man müsse sich dringend die Nase pudern. Filme oder Bücher ohne jedes Drama haben bei mir einen narkotischen Effekt. Und wie sexy sind dagegen bitte Menschen, die nie aufgeben, egal wie eisig ihnen der Wind des Scheiterns ins Gesicht weht? Na bitte.
Wir lernen an diesem Nachmittag, uns die richtigen Fragen zu stellen: Wie fühlte sich die Bauchlandung an? Welche Gedanken gingen einem in der Folgezeit durch den Kopf? Welche Schlüsse hat man aus der Misere gezogen?
Alle machen Fehler
An diesem Nachmittag wird mir klar: Manchmal fühlt sich unser Leben an wie ein IKEA-Småland für Große – und jeder Ball steht für ein

Missgeschick. Ein buntes Meer kleiner und größerer Katastrophen, und wir schwimmen mittendrin. Mal greifen wir nach einer roten Kugel: Die PowerPoint- Präsentation stürzt ab, und die notgedrungene Improvisation gerät zur Slapstick-Nummer. Nach der gelben: Er kommt zum ersten Dinner vorbei, und das Risotto schmeckt nach aufgeweichter Pappe. Oder wir erwischen eine schwarze: Seminar-Teilnehmerin Martina berichtet, wie anstelle von Bugaboo-schiebenden Müttern am Ende die Gläubiger ihr Kindercafé bevölkerten. Der 26-jährige BWL-Student Stephan lässt uns nachfühlen, wie es ihm den Boden unter den Füßen wegriss, als ihn seine Freundin sitzen ließ, „um sich selbst zu verwirklichen“ und er daraufhin sein Examen verschieben wollte. Ich selbst gestehe, wie ich mal nach mehreren Vorstellungsrunden für einen Traumjob kläglich gescheitert bin.
Eine erleichternde Erkenntnis stellt sich bald ein: Alle, die wir hier sind, haben es überlebt, sich den aufrechten Gang bewahrt, weitergemacht. Und: Wenn es gelingt, eine bittere Enttäuschungirgendwann in eine lehrreiche Erfahrung umzuwandeln, macht sie unser Leben reicher. Dann lässt sie uns reifen und mit jedem Mal ein kleines bisschen weiser werden. „Wenn man es schafft, nach dem Lecken der Wunden neuen Ideen Raum zu geben, wird aus der Schlappe ein Sieg“, sagt Monika Gruhl. Viele Nackenschläge möchte man im Rückblick ja auch gar nicht mehr missen, weil man später so herrlich darüber lachen kann. Aber es braucht seine Zeit.
Aufstehen Krone richten, weitergehen
„Scheitern trifft die meisten sehr hart in ihrem Selbstwertgefühl“, weiß die Psychologin Irmtraud Tarr. „Daher ist es ganz wichtig, sich klarzumachen, dass sich mein Wert als Person durch den Misserfolg nicht ändert.“ Dann lässt sich ein geplatztes Projekt oder eine Trennung aus der gesunden Distanz betrachten. Man kann die Ursachen analysieren und nach Lösungen suchen, ohne in Selbstvorwürfen und Scham zu versinken. Der größte Irrtum liegt vielleicht darin, Fehlermachen mit Versagen gleichzusetzen. „Außerdem ist es ein Zeichen von großer Stärke und Mut, nach einem herben Schlag das Ruder wieder in die Hand zu nehmen“, so Tarr.
Scheitern als Chance wahrnehmen
Ohne geht es sowieso nicht. Fehler sind der Motor unserer Entwicklung. Wer etwas versucht oder riskiert, kann Schiffbrucherleiden. Wer es

nicht probiert, bewegt sich keinen Millimeter. Ein Baby, das bei seinen Gehversuchen Hunderte Male hinplumpst, verfällt auch nicht in Selbstzweifel und Versagensängste. Laufen lernt man durch Hinfallen. Doch auf wundersame Weise geht uns die Toleranz für Fehlversuche irgendwann flöten. Wir verlernen, sie zu nutzen und an ihnen zu wachsen. Woran liegt das?
Unsere Gesellschaft liebt die Erfolgreichen – und sie liebt Gewinnergeschichten. Hinzu kommt: Noch nie waren die Möglichkeiten des Vergleichens so groß. Früher galt als Vergleichsgröße vielleicht noch der Nachbar mit der größeren Karre, wir dagegen wetteifern heute gefühlt mit der halben Welt. Natürlich greifen wir uns aus der Flut der Erfolgsgeschichten gerade die heraus, an die wir mit unserem klitzekleinen Leben auch in den höchsten High Heels nie heranreichen werden. Damit wächst der Druck, immer zu gewinnen. Wehe uns, wenn die Präsentation, das lang ersehnte Date oder die Geschäftsidee in die Binsen gehen. Doch während sich die einen nur mit Mühe wieder aufrappeln, scheinen andere aus jeder Not eine Tugend zu machen. Was unterscheidet Menschen, die besser scheitern? Was ist ihr Geheimnis? „Es ist die Art und Weise, wie sie über ihr Scheitern denken, sie nehmen Hürden und Hindernisse als das, was sie sind, und suchen sich ihren Weg um sie herum und über sie hinweg. Sie zeigen die Bereitschaft, sich selbst neu zu definieren. Eine wichtige menschliche Stärke.“ Anstatt zu zweifeln, fragen sie sich: Was kann ich in Zukunft anders machen? Und sie nehmen die Hilfe anderer an. „Die Voraussetzung für gelungenes Scheitern ist, dass man seine Niederlage akzeptiert und das ursprüngliche Ziel loslassen kann“, erklärt Monika Gruhl. Es ist besser, die Bauchlandung als Chance zu begreifen, etwas Neues auszuprobieren – und plötzlich festzustellen: Das ist es!
Fehltritte bringen uns weiter
Es liegt an uns, wie wir eine Erfahrung bewerten, ob wir ihr den Stempel der Niederlage aufdrücken und liegen bleiben oder mit einem trotzigen

„Jetzt erst recht“ wieder aufstehen. „Jedes Straucheln und Stolpern birgt die Möglichkeit, ehrlich zu sich selbst zu sein, sich besser kennenzulernen und weiterzuentwickeln. Stephan gestand sich ein, dass er sein Examen nur aus Rache verschieben wollte – und bestand mit Bravour. Für ihn war es an der Zeit, sein Glück in die eigenen Hände zu nehmen und sich weniger von anderen abhängig zu machen. Martina eröffnete ihr Café in einer größeren Stadt mit höherem Bugaboo-Verkehrs aufkommen. Und ich hatte im letzten Gespräch einfach Pech gehabt. Punkt. Beim nächsten Mal lief es besser.
Die meisten Dramen entstehen ja erst in unseren Köpfen. Sie sind hausgemacht. Der amerikanische Schrifsteller Mark Twain hat es mal wunderschön auf den Punkt gebracht: „Ich habe viele Katastrophen in meinem Leben erlebt, manche von ihnen sind wirklich passiert.“

ERSTE HILFE FÜR GESTRANDETE
Trennung. Kündigung. Absage. Und was macht man als Erstes? Sich heulend auf den Boden werfen ist eine Möglichkeit. Aber es gibt noch andere:
Starke Sätze sind wie Rückenstärker. Erinnern Sie sich an diese Sätze. Vielleicht war es Oma, die Sie schon immer ermutigte: „Scheitern ist nicht schlimm, schlimm ist, es nicht versucht zu haben.“ Oder: „Man fällt schneller, als man wieder aufsteht. Man muss aber immer einmal mehr aufstehen, als man fällt.“ Ja, Recht hat sie, die Oma!
Sie fühlen sich wie ein angeschossenes Reh? Haben Sie Geduld mit sich und machen Sie erst mal Trippelschritte. Stellen Sie sich jeden Tag nur kleine Aufgaben. Ein Gang um den See, zwei Telefonate erledigen.
Wissen Sie noch, wie Sie als Kind weinend in Mamas Arme gelaufen sind, weil Sie sich das Knie aufgeschürft hatten? Jetzt ist die Zeit für Umarmungen und Verwöhnmassagen. Seien Sie mal eine Weile klein und schwach – das geht schon in Ordnung.
„In der Krise halten uns negative Emotionen gefangen“, sagt Scheiter-Expertin Monika Gruhl. „Verlieren Sie nicht den Humor. Selbst in der schlimmsten Lebenslage finden sich Dinge, über die man lachen kann. Das wirkt Wunder.“
NIETE! NA UND? 7 Schritte für mehr Glück im Unglück
1. ES IST, WIE ES IST
Die Pleite ist passiert: Jetzt geht es darum, den Schiffbruch anzunehmen und nicht zu verleugnen.
2. LASS ES RAUS
Trauer, Wut und Schmerz sind okay! Trotzdem gilt es zu differenzieren zwischen der Sache, die schiefgegangen ist, und mir als Mensch.
3. VERZEIH DIR SELBST
„Gehen sie versöhnlich mit sich selbst um“, rät die Psychotherapeutin Irmtraud Tarr. Sich monatelang zu grämen, frisst nur Energie.
4. BLICK NACH VORN
Man scheitert besser, wenn man Niederlagen als Lernprozess betrachtet. Fragen Sie sich: Was ist die Chance? Gibt es Alternativen, wie muss ich meinen Kurs korrigieren?
5. NEUER ANFANG
Vielleicht bedeutet das Scheitern auch das Ende der falschen Anpassung? Manchmal macht so ein Irrtum einen klüger.
6. TABULA RASA
Zeit für eine Bilanz: Was brauche ich wirklich? Was ist mir wirklich wichtig im Leben?
7. JETZT ERST RECHT!
Aktivieren Sie die innere Widerstandskraft. Resiliente Menschen sagen nicht: „Alles ist aus“, sondern motivieren sich mit einem trotzigen: „Und dennoch!“