
Manche Fragen piksen so hartnäckig wie Krümel im Bett. Hin- und herwälzen, Augen verschließen und ignorieren, damit lässt sich Zeit schinden, aber besser wird’s nicht. Meist sind die Quälgeister ja auch gleich zu mehreren und geben keine Ruhe, bis wir uns aufrappeln. "Ist es das jetzt?", sticht die erste Frage. "Wo will ich hin?" bohrt die zweite. "Was fehlt noch in meinem Leben?" Dabei ist es nichts weniger als das Glück, das da anklopft. Denn wir alle wollen uns nicht irgendwann fragen, welchen Zug wir verpasst haben, an welcher Stelle wir hätten umsteigen sollen. Jeden Tag entscheiden wir uns, das Leben bewusst auszurichten. Zweifeln an unserem Lebensentwurf, gleichen Träume mit dem Istzustand ab. Gut so! Wer sich nicht zufriedengibt, ist auf dem besten Weg, dem Glück auf die Spur zu kommen. Wie die Teile eines Puzzles ergeben sie zusammen das, was wir sein wollen. Willkommen im Spiel des Lebens, hier sind unsere Fragen...
Führe ich das Leben, das ich will?
Da haben wir schon viel gelebt, viel geliebt und viel gestrampelt. Der Job ist da, ein Mann vielleicht auch. Trotzdem scheint noch alles offen zu sein. Zeit, die Weichen zu stellen: steile Karriere oder Teilzeit mit mehr Freiraum? Viel Geld oder eher soziales Engagement? Mobil bleiben oder sesshaft werden? Jetzt bloß keine Fehler machen und nichts verpassen. Wo sich viele Optionen bieten, lauern Fehlgriffe. Oder nicht? "Es gibt keine Fehlentscheidungen", sagt Maja Storch, Psychologin und Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich. "Ich habe ständig mit Menschen zu tun, die sagen: Ich habe die Fehlentscheidung meines Lebens getroffen." Ein Beispiel: Eine Frau, die einen festen Partner hat, aber unsicher ist, ob sie Kinder will, nimmt die Chance wahr, für ein halbes Jahr im Ausland zu arbeiten – und als sie zurückkommt und sich für eine Familie entschieden hat, hat er eine Neue. "Das ist keine Fehlentscheidung", so Storch. "Wir sollten uns nicht Tag für Tag an den Pranger stellen für Dinge, deren Ausgang wir nicht vorhersagen können. Wer weiß denn schon, ob die Liebe überhaupt tragfähig war." Eine verblüffende Aussage, die Erleichterung verschafft, weil sie Schuldgefühle nimmt. "Ich habe Pech gehabt‘ ist psychologisch etwas völlig anderes, als sich einzureden: ,Ich habe Schuld‘", erklärt Psychologin Storch. Denn, hey, so oder so war es die Gelegenheit, den Mann auf den Prüfstand zu stellen, und bei dieser Prüfung ist der vermeintliche Musterschüler eben durchgefallen.

Oft denken wir, wir bräuchten einen ausgeklügelten Plan, dann würde alles gut. Allerdings fragt sich, ob wir nicht die Folgen unserer Entscheidungen überschätzen. "In den meisten Fällen ist das so", sagt Storch. "Wir haben Angst, die falschen Weichen zu stellen, und vergessen dabei, wie viele Zufälle unser Leben bestimmen." Die sind mal unglücklich, mal glücklich – und schon ist der Plan dahin. Tja, den einen richtigen Weg zum Ziel gibt es häufig nicht. Doch das ist kein Grund zur Beunruhigung, sondern eine Einladung, findet die Expertin. So wird die Last der Verantwortung genommen – und sollte zum Experimentieren anregen. "Ich plädiere nicht dafür, sich wie eine Flaschenpost treiben zu lassen, bis man strandet", betont Maja Storch. Wir müssen aber auch nicht jede Welle kontrollieren wollen. Vielmehr braucht es einen Leuchtturm, eine Ausrichtung des eigenen Lebens im Meer der scheinbar unendlichen Möglichkeiten. Da hilft es, hin und wieder einen prüfenden Blick auf den Weg zu werfen, der hinter einem liegt. Und dann: ausprobieren, auf die Nase fallen, aufstehen. Und Spaß haben! Dabei treffen wir keine richtigen oder falschen, sondern im Idealfall kluge Entscheidungen. Solche, die sich gut anfühlen, selbst wenn der Ausgang noch so ungewiss (aber dafür spannend) bleibt.
Woher weiss ich, was ich wirklich will?
Da meint man, sich richtig gut zu kennen, und dann das: Die eine innere Stimme flüstert hü, die andere sagt hott, zurück bleibt Verwirrung. Und nun? Das Geheimnis liegt in den "somatischen Markern", so Psychotherapeutin und Trainerin Storch. Ein Kribbeln in den Fußsohlen, ein Erröten, ein Grummeln im Magen, ein Kloß im Hals. Vereinfacht gesagt: das Bauchgefühl. "Diese somatischen Marker entstammen dem emotionalen Erfahrungsgedächtnis", erklärt die Expertin. Ein unbewusster Speicher mit Erlebnissen, denen unser Gehirn einen Stempel aufdrückt: angenehm, schlecht, erfolgreich, oder: danke, nie wieder! Dieses emotionale Gedächtnis bewertet blitzschnell, ob uns etwas gefällt oder nicht. Erst etwas später schaltet sich der Verstand ein. "Die Kunst besteht darin, beide Bewertungssysteme in Einklang zu bringen. Das lässt sich leicht trainieren", sagt Storch und empfiehlt bei wichtigen Entscheidungen eine "Affektbilanz". Aufs Land ziehen oder in der Stadt bleiben, den Job behalten oder gehen? So erkennt man, was man wirklich will: für beide Optionen jeweils eine Skala (einfach zwei senkrechte Striche) aufmalen, unten steht eine Null und oben an der Spitze eine 100. Jetzt heißt es das Gefühl sprechen lassen und auf beiden Skalen spontan ein Kreuzchen machen. Nimmt sich die Sache eindeutig aus, muss nur noch der Verstand sein Go geben. Ist das Ergebnis unklar, überlegt man sich: Weshalb ist der Verstand dagegen, warum das Bauchgefühl? Woran liegt es, dass die Option auf der Gefühlsebene so attraktiv oder so unattraktiv für mich ist? Und vor allem: An welcher Stelle kann ich schrauben und drehen, damit sich etwas verschiebt? Das Ergebnis ist dann eine gute Entscheidung. "Eine, bei der Verstand und Unbewusstes koordiniert sind (die Affektbilanz von Maja Storch gibt es übrigens auch als App: ismz.ch)."
Was sollte ich an meinem Leben verändern, um glücklich zu werden?
Manchmal plagt uns ein diffuses Gefühl. Schon zu oft haben wir auf die Frage "Wie geht’s?" mit "Alles okay!" geantwortet. Nicht großartig. Nur okay. So ging es auch der englischen Autorin Helen Wright – bis sie fand, dass sie mit 31 Jahren mehr vom Leben erwarten dürfe. Wright holte sich Rat bei der Psychologin Emma Kenny: "Der Trick besteht darin, erst mal kleine Veränderungen vorzunehmen. Denn eine einzige kann sich auf alles andere auswirken – auf Arbeit, Sex, Beziehungen. Dann geben wir auch nicht vorschnell etwas auf, das wir hinterher bereuen." Können wieder wertschätzen, was da ist. So kann es passieren, dass man endlich zum Spanischkurs oder zum Badminton geht und im Zuge dessen feststellt, dass der Job oder der Mann doch ziemlich toll sind. Helen Wright wagte einen kleinen – und am Ende einen großen – Schritt. "Während ich über einen ganz anderen Job nachdachte, ging ich in die Selbstständigkeit und verliebte mich wieder ins Schreiben. Und durch die Trennung von meinem Freund bin ich mir jetzt sicherer, was ich in einer Beziehung brauche."

Die gute Nachricht ist: Wir können uns ständig neu erfinden! Und immer authentischer werden. Jede von uns, jeden Tag. Als Beispiel dafür wird ja immer gern Popikone Madonna herumgereicht, deren Stile und Images wechseln wie die Jahreszeiten. Irgendwann wandten Persönlichkeitsforscher ein: Moment mal, in ihrem Wesenskern bleibt sie immer gleich. Ihr Bedürfnis, eine – aufsehenerregende – öffentliche Rolle zu spielen, ist eine Art Markenzeichen ihrer Identität. Ein innerer Drang. Die geheimen Motive hinter unserem Verhalten nennen Psychologen daher "unbewusstes Selbst" oder "adaptives Unbewusstes". In dieser Seelenregion sind unsere unbewussten Antriebe zu Hause. Als Kind trainiert man sich durch Mamas Ermahnungen so manches an, was gar nicht der eigenen Wesensart entspricht. Gewiss ist nur: Jeder besitzt einen "motivationalen Fingerabdruck". Wir ahnen es – je besser wir es schaffen, bewusste und unbewusste Motive in Einklang zu bringen, desto besser geht es uns. Wir leben authentisch. Ein inneres Alarmsystem warnt uns, wenn das Gleichgewicht kippt – wir werden unzufrieden, Kopfschmerzen oder Bauchweh drohen. "Solche Alarmzeichen sollten wir nicht dramatisieren, aber immer ernst nehmen", so die Psychologin Isabel Bauer. "Denn sie können uns zeigen, dass wir nicht in Balance sind mit unseren Werten und Bedürfnissen."
Was ist mir besonders wichtig im Leben?
Wir sollten unseren inneren "Kern" erspüren und es ihm so recht wie möglich machen. Wem Harmonie wichtig ist, wird nicht glücklich, wenn er sich dazu drängen lässt, einen Chefposten anzunehmen, auf dem man sich gezwungenermaßen mal unbeliebt machen muss. Falls aber das implizite Machtmotiv stärker ausgeprägt ist – bingo! "Wenn wir das Bauchgefühl immer schön mitreden lassen und die Signale nicht wegdrängen, finden wir den für uns richtigen Weg", so Psychotherapeutin Bauer. Ganz bei sich sein, "ganz ich" sein, woran merke ich denn, dass ich das bin? Kaum einer schafft es ja, ständig gelassen und eine vollkommen in sich ruhende Persönlichkeit abzugeben. Tja, auch da hilft gesunde Selbstbeobachtung. Was passiert, wenn ich an einen Ort komme, der mir besonders gefällt? Oder wenn ich über einem spannenden Projekt und vor lauter Flow die Zeit vergesse? Oder mit jemandem Zeit verbringe, den ich mag...? Genau, ein glückseliges Grinsen breitet sich auf dem Gesicht aus. "Ein markantes Zeichen für einen Moment völliger Selbstkongruenz", erklärt Bauer. Diese Momente gilt es zu erkennen und zu kultivieren, so wie wir als kleine Mädchen winzige, in den Augen anderer völlig unsinnige Dinge in kleinen Kästchen gesammelt haben.

"Unsere Sehnsüchte sind unsere wertvollsten Schätze", erklärt Expertin Bauer. Und unsere Wegweiser. "Sie müssen sich gar nicht alle erfüllen, Kompromisse sind auch wunderbar. Aber nur wer sich sehnt, findet Glück." Aber wie kann ich in meinem emsigen Alltag, der ja oft wenig Traumhaftes an sich hat, meine Sehnsüchte wecken? Keine Angst, das erledigt sich ganz von allein, wir müssen nur hinsehen. Mehr als 50 Prozent seiner wachen Zeit hängt unser Gehirn Tagträumen nach. "Es verschafft sich ständig selbst Pausen, aber meist nehmen wir gar nicht bewusst wahr, dass wir geistig ganz woanders sind", sagt der Psychologe Heiko Ernst. "Man hat festgestellt, dass uns die kürzeren Sequenzen in erster Linie bei der unmittelbaren Realitätsbewältigung unterstützen, während die längeren eher Leitmotive für unser ganzes Leben sind. Die Sehnsucht nach dem idealen Job, gutem Sex oder einem Haus am Meer kehrt immer wieder und verschwindet meist erst, wenn ich die Realität entsprechend organisiere und mir den Wunsch erfüllen kann", sagt Ernst. Es sind unserem Leben übergeordnete Träume, die ihm eine Richtung geben. Viele Studien belegen, dass wir unsere Ziele am besten verwirklichen, wenn wir sie uns bildlich vor Augen führen, sie regelmäßig visualisieren und in möglichst vielen Details ausmalen. Das, was wir uns in unserer geistigen Parallelwelt ausmalen, hat höhere Chancen, tatsächlich einzutreffen. Seinen Träume hilft man übrigens auch auf die Sprünge, indem man verschiedene Bilder betrachtet und beobachtet, welche Sehnsüchte dabei hochkommen. "Träum um dein Leben!" lautet die Devise. Dass nicht alles klappen kann, haben wir im Blick. Jedenfalls stehen wir am Ende nicht vor der Frage: "Das soll schon alles gewesen sein?"