
Dieser Moment, wenn man über den Ex der Freundin gelästert hat – und die beiden werden wieder ein Paar.“ Täglich twittern Tausende Menschen unangenehme Momente wie diesen – und kassieren für ihre „That awkward moment, when“- Sätze millionenfache Likes. Weil fast jeder schon mal in einer ähnlichen Situation steckte und sich genau erinnert, was man dachte: „Hätte ich bloß den Mund gehalten.“ Es ist aber auch verzwackt mit der Einmischerei: Da sitzt die Freundin heulend bei uns auf dem Sofa, packt alles aus, was der Kerl ihr über die Jahre zugemutet hat. Wir reichen Taschentücher, fühlen mit – und empören uns natürlich ein bisschen: „Sei froh, dass du ihn los bist“ und „Jetzt kann ich es dir ja sagen“. Klar, dass wir eigenen Stoff beisteuern, schließlich wollen wir Partei für die Freundin ergreifen und wurden vielleicht auch schon mal ähnlich mies behandelt. Genau an diesem Punkt sollte man sich Therapeutin Siglinde Bender (besserebeziehungen.de) zufolge jedoch auf die Zunge beißen.

Die Expertin für zwischenmenschliche Beziehungen empfiehlt, sich immer erst nach dem eigenen Mandat zu fragen, bevor man sich einmischt: „Welche Verantwortung habe ich hier?“ Trösten und zuhören: ganz bestimmt. Kritisieren und bewerten: jedenfalls nicht ungefragt. Gedanken dazu, wie spießig man den Verflossenen immer schon fand oder wie machomäßig er sich bei Pärchenabenden aufgeführt hat, helfen der Verlassenen nicht über ihren Schmerz hinweg. Abgesehen davon, dass die spontanen Geständnisse zwischen den Freundinnen stehen würden, falls das Paar wieder zusammenfindet. „Wenn einem die Freundin am Herzen liegt, sollte man sich solidarisch zeigen, ohne zu urteilen.“ Stellung darf man trotzdem beziehen: „Indem man rein für sich spricht und sagt, wie man selbst damit umgehen würde“, so Siglinde Bender.
Komplizierter wird es, wenn man mitkriegt, dass eine Freundin betrogen wird. „Überlegen Sie auch in dieser Situation, welches Recht Sie haben, sich einzumischen“, rät die Expertin. Zwar darf man seine Meinung loswerden und den Untreuen ganz offen auf seine Lüge ansprechen: „Wenn du mein Mann wärst, ich würde dich rausschmeißen.“ Auch auf Pärchentreffen kann man vorübergehend verzichten, um sich nicht ins Lügengeflecht einspinnen zu lassen. Der Freundin von der Entdeckung zu erzählen, stünde einem dagegen schlicht nicht zu, meint die Therapeutin: „Fragen Sie sich, was Sie mit der Einmischung bewirken würden.“ Laut Bender folgt jedes Paar einem anderen Wertesystem. Vielleicht gibt es Absprachen zwischen den beiden, dass Affären in Ordnung sind, solange der Partner nichts davon mitkriegt. Oder die Frau ahnt etwas, möchte aber keinesfalls damit konfrontiert werden, weil sie in Zugzwang geraten würde und ihr Dulden vor sich selbst und anderen rechtfertigen müsste.
„Bei der Frage, ob man sich in die Belange anderer einmischen darf oder sollte, spielt auch die eigene Intention eine Rolle“, sagt Siglinde Bender. Warum ist es uns überhaupt so wichtig, unseren Senf dazuzugeben, wenn die Schwester sich von ihrem Sohn auf der Nase herumtanzen lässt? Vielleicht, weil wir selbst zwei lammfromme Exemplare besitzen, Vergleiche ziehen und uns insgeheim auf die Schulter klopfen. Dann gilt es allerdings, freundlich den Mund zu halten und nicht unnötig zu sticheln. Vielleicht tut es uns aber auch von Herzen leid, die Schwester so gestresst zu sehen, und wir würden ihr gern helfen. In diesem Fall darf man Bender zufolge durchaus etwas anmerken wie „Der hat dich ja gut im Griff“. Liebevoll, wohlgemerkt. „Lassen Sie den Satz erst mal im Raum stehen, um der anderen Person Zeit zum Nachdenken zu geben und nicht übergriffig zu erscheinen“, rät die Expertin. An der Reaktion wird man merken, ob Hilfsangebote und gute Ratschläge zu einem späteren Zeitpunkt erwünscht oder unange- bracht sind.
Seine Hilfe offen anbieten sollte man auch, wenn ein Freund sich zurückzieht. Vielleicht wirkt er schon längere Zeit niedergeschlagen oder trinkt eindeutig zu viel Alkohol. Siglinde Bender: „Schildern Sie, was Ihnen aufgefallen ist und fragen Sie regelmäßig, ob derjenige Kummer hat, er reden möchte oder man irgendwie helfen kann.“ Allerdings ohne gleich von einem Krankheitsbild oder einer Suchtproblematik zu sprechen. Entscheidend ist, dass man seine Worte als Sorge formuliert und sich absolut vertrauens- würdig verhält – ihn also nicht gleich zusammen mit seinen Eltern oder anderen Freunden überfällt.
Und wie gehen wir damit um, wenn andere zwar wollen, dass wir Stellung beziehen, wir uns aber viel lieber heraushalten würden? Zum Beispiel, wenn zwei Familienmitglieder zerstritten sind oder zwei gemeinsame Freundinnen nach einer Auseinandersetzung nicht mehr miteinander reden? „Mischen Sie sich nicht ein, solange niemand darum bittet“, rät Siglinde Bender. Zwar ist es kein schönes Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen und den Unmut zweier Seiten abzubekommen. „Nachdem man beide angehört hat, kann man aber ganz klar äußern, dass die Zerstrittenen bitte miteinander, nicht mit einem Dritten darüber reden sollten“, sagt die Expertin. Von der Idee, Partei zu ergreifen oder für andere vorzusprechen, rät die Therapeutin klar ab. Das Konfliktpotenzial würde sich eher erhöhen, das eigene Verhältnis zu beiden belasten. Ähnliches gilt für den Job: Statt den Mittler zu mimen, wenn sich zwei Lager gebildet haben, oder sich von der Zickerei einer Kollegin anstecken zu lassen, spielt man lieber die neutrale Schweiz.
„Abgrenzen kann sich am besten, wer deutlich artikuliert, dass er Lästereien nicht hören möchte und lieber über etwas Nettes redet“, so Siglinde Bender. Geht es einem gegen den Strich, dass über die kranke Kollegin hergezogen wird, kann man aber Stellung beziehen und sagen, wie wenig man dieses Verhalten schätzt. Ist man dagegen einfach genervt, zum Beispiel, weil die Tischnachbarin dauernd privat telefoniert, hat man der Expertin zufolge nur dann das Recht, sich einzumischen, wenn man sich in seiner Konzentration gestört fühlt. Geht es dagegen rein ums Prinzip, ist es unangebracht, die Telefonate unterbinden zu wollen. Siglinde Bender: „Allein der Vorgesetzte hätte das Recht, seine Mitarbeiterin konkret darauf anzusprechen und gegebenenfalls zu maßregeln.“ Oftmals neigen wir dazu, das Verhalten anderer ungefragt zu kommentieren, weil wir ein eigenes Ding am Laufen haben: Vielleicht sind wir insgeheim neidisch darauf, dass die Kollegin drei Mal am Tag von Schatzi angeklingelt wird, während wir noch nicht mal abends „Wie war dein Tag?“ hören. Oder wir würden vom Chef gern öfter gelobt werden – und haben das Gefühl, andere können sich für das gleiche Feedback sonst etwas herausnehmen. „Dieser Moment, wenn man einmal tief eingeatmet und sich seinen Teil nur gedacht hat.“ Er scheint in vielen Fällen die bessere Option zu sein. Sollen die anderen doch streiten und lästern. Ändern werden wir sie nicht. Statt uns unnötig in Zickenkriege zu verstricken und uns unbeliebt zu machen, üben wir uns lieber in Gelassenheit. Und nutzen unsere Zeit für Dinge, die uns wirklich Freude bereiten. Den Kopf in Richtung Sonne zu strecken und den Sommeranfang zu genießen, zum Beispiel.
* Aus einer Allensbach-Umfrage im Auftrag von Vorwerk