Wo kommen eigentlich Trends her?

Wo kommen eigentlich Trends her?

Animal-Prints, Asia-Looks, Dirndl … Wer denkt sich das aus? Haben Designer nachts plötzlich eine Eingebung – oder funktioniert das anders? Ein Report über modische Strömungen

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Wissen Sie schon, was Sie im übernächsten Sommer tragen? Nein? Wir aber: ein Dirndl. Darin werden Sie durch die bayerischen Alpen kraxeln, vor der Almhütte ausgehungert über eine Scheibe Roggenbrot herfallen, und am Abend zerren Sie Ihre Füße aus klobigen Wanderschuhen. Das wird Ihnen niemals passieren? Denken Sie. So wie Sie vor zwei Jahren dachten, dass Sie niemals goldbestickte Samtpantöffelchen tragen, nicht mal zu Hause im Dunkeln. Doch jetzt, wo It-Girls wie Alexa Chung sich mit diesen ultraflachen Slippern fotografieren lassen, müssen Sie sie auch haben. Unbedingt. Ein Trend setzt sich durch, und wir wollen dabei sein. Was auf den Modenschauen noch absurd bis gewöhnungsbedürftig aussieht, erscheint uns ein halbes Jahr später total begehrenswert. Wie kommt es zu diesem Sinneswandel? Wie werden aus kühnen Designer-Ideen am Ende Must-haves?

Am Anfang der Geschichte stehen oft Menschen wie Lidewij Edelkoort. Die niederländische Trendforscherin sagt seit 40 Jahren voraus, was wir künftig tragen wollen. Und welches Lebensgefühl hinter unseren Wünschen steckt. "Die Wanderlust kommt wieder", verkündet Edelkoort. Sie sieht uns an verlängerten Wochenenden in die Berge fahren, einfaches Essen genießen, handarbeiten und eben Dirndl tragen. Weil unser Denken sich verändert. Drei Wochen Urlaub an der Côte d’Azur? Zu teuer, zu weit weg, zu schick. Seit über 20 Jahren erleben wir nun Krisen, das Geld wird knapper, die Unsicherheit größer. Jetzt, da ist sich Edelkoort sicher, haben wir uns daran gewöhnt. Wir trauern der Unbeschwertheit nicht mehr hinterher, wir feiern stattdessen die kleinen Genüsse. Zeichen dafür sieht sie überall, "in der Kunst, in der Wissenschaft, auf der Straße". Intuitiv scannt sie Bilder, Technik, Haarfarben. Edelkoort nimmt nur mit den Augen auf, sie notiert nichts, fotografiert nichts. "Ich habe einen sechsten Sinn dafür", sagt sie. "Ein System, das unbewusst arbeitet. Eines Tages klopft es an mein Gehirn – es gibt Neuigkeiten!" Dann trommelt sie ihr Team zusammen, erklärt die Idee, erteilt Suchaufträge: Findet Fotos, die dazu passen, Stoffe, Materialien, Muster. Sie gibt Schnittentwürfe in Auftrag und macht aus der Sammlung ein Buch, jede Saison. Eine 1000 Euro teure Bibel für alle Designer und Stoffhersteller, die ihren Vorhersagen folgen.

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Mode-Trends:

Sind das Prophezeiungen, die sich selbst erfüllen? Edelkoort sagt einen Tiertrend voraus, und alle drucken Vögel auf Blusen und Tapeten? „Nein“, sagt sie entschieden. „Ich denke mir nichts aus, es ist alles schon da.“ Einmal hip, hält sich manches erstaunlich lange. Auch die Tiermotive. Marc Jacobs malt Hundegesichter auf iPhone-Hüllen, Kirsten Dunst trägt Katzendrucke auf der Hose, und Sarah Burton widmet ihre Sommerkollektion für Alexander McQueen den Bienen. Es kläfft und maunzt und summt im Kleiderschrank – aber wieso? "Wir lieben Tiere, aber eigentlich wollen wir selbst welche sein", sagt Edelkoort. "Wir haben uns durch die Technik zu weit von unseren Instinkten entfernt. Die wollen wir zurück." Zurück, das scheint ganz wichtig. Zurück zum einfacheren Leben, zur Sinnlichkeit. Doch nicht mehr zurück in die letzten Jahrzehnte. Retro erschöpft sich. Das große Dekor, die Drucke und Muster toben sich in diesem Sommer ein letztes Mal aus. Und dann?

Das wird nächstes Jahr Trend

Als Nächstes verblassen die Farben, es darf schlicht und weiß sein. Wie ein reines Laken, auf dem die Designer Neues entwerfen. "Etwas Zeitgemäßes", hofft Elisabeth Schwaiger. Die Chefdesignerin von Laurèl liest gern Trendvorhersagen. Doch ihre Themen sucht sie sich selbst, mal im Autobau, mal in der Kunst. Für ihre nächste Winterkollektion flog Schwaiger nach Singapur, sah sich Hochhäuser an und las Bücher der Architektin Zaha Hadid. Futuristische Fassaden wurden zum Vorbild für schwarz schimmernde Paillettenkleider, elliptische Bauten für Eggshape-Blusen und Oversize-Pullover. Solche Schnitte haben es schwer, zumindest bei Frauen mit konventionellem Geschmack. Avantgarde-Designer und ihre Fans lieben die weiten Formen – schon als Absage an alles Klassische –, Normalmodische aber neigen zum Körperbetonten. Erst recht Frauen, die ihre Figur zeigen wollen, egal, was angesagt ist. Schwaiger seufzt. "Ich versuche es schon seit sechs Saisons mit Oversized-Schnitten. Doch immer wurde nur daran genippt." Das hemmt eine Idee, die mal ein Trend werden will. Und auch den Einkäufer, der für seinen Laden ordert – am Ende zählt sein Umsatz, nicht sein Mut. Und die Designer? "Mich hemmt das ebenfalls", gesteht Schwaiger. "Doch ich entwerfe auch Teile", sagt sie, "die sind total outstanding und werden trotzdem zum Renner." Eine gelbe Jacke, doppelreihig, mit Gürtel und Dreiviertelarm – eigentlich Kassengift. Zaghaft wurde sie geordert, dann war sie ratzfatz abverkauft. Manchmal muss es nur die richtige Frau anziehen, dann läuft es wie von selbst. Ein It-Girl eben, eine Schauspielerin oder ein Model in einer oft gesehenen Fotostrecke. Der Zufall kann auch Trends machen.

Meist aber läuft es vorhersehbar. Die großen Label in Paris und Mailand zeigen ihre Kollektionen, und alle Welt schaut hin: Designer, Einkäufer, Blogger, Stylisten. Dort stecken die neuen Ideen, dort liegen die großen Linien für die nächsten Saisons. Designer wie Miuccia Prada, Isabel Marant, Phoebe Philo bei Céline oder Marc Jacobs bei Louis Vuitton haben ihren eigenen Kopf und eine eigene Handschrift – egal, was sie machen. Und sie beeinflussen alle anderen. "Die großen Kreativen brauchen keine Trendberater", meint Jörg Ehrlich. "Sie finden ihre Themen ganz allein." Ehrlich führt gemeinsam mit Otto Drögsler seit 2008 das Label Odeeh. Die beiden haben für Rena Lange und Escada gearbeitet und waren Designchefs von René Lezard. Rat von außen hätten sie sich nie geholt, betonen die beiden. Drögsler zieht sich zum Zeichnen eine Woche lang zurück und kommt mit 500 Entwürfen wieder. Ehrlich ist der Handwerker, sucht Materialien, beauftragt Stoffhersteller. Zu ihrer Sommerkollektion inspirierte sie Ikebana, die japanische Kunst des Blumenbindens. Das Asien-Thema haben sie nicht exklusiv. Prada, Haider Ackermann, Chanel, Etro – sie alle wickeln uns in diesem Sommer in Kimonos und zarte Blumenprints. Da gab es keinen Vorreiter. Sprechen sie sich ab? "Nein. Designer tauschen sich nicht über ihre Ideen aus", sagt Ehrlich. Stecken doch die Trendberater dahinter? "Ich arbeite für alle großen Designer", sagt Lidewij Edelkoort und fällt dann in diskretes Schweigen. Namen nennt sie nicht gern. Sicher ist, dass die Stoffanbieter auf die Propheten hören, und sie bringen auf ihren Messen viele Kunden auf ähnliche Ideen.

Mode-Trends:

So finden wir Gelb und Pastell auf allen Laufstegen, von Mailand bis New York. Schwarz-weiß gekachelt bei Louis Vuitton, Schwarz-Weiß auch bei Dolce and Gabbana, Talbot Runhof und Moschino. Manche Designer folgen streng einer Idee, viele bieten von allem etwas: Streifen, bunt, mini, maxi. "Die großen Trends gibt’s nicht mehr“, sagt Ehrlich. "Paris zeigt Schwarz, also machen es alle – das ist vorbei." Dass wir trotzdem Trends erkennen, verdanken wir Journalisten und Bloggern, die die wichtigsten Themen herausfiltern. Sie setzen bei den prägenden Schauen an und suchen bei anderen, was dazu passt. Dass wir ein gutes Dutzend Trends zur Auswahl haben, bedeutet große Freiheit. Au revoir, Trenddiktat, wir suchen uns heute den passenden Stil. Die Handschrift eines Designers, den Look einer Schauspielerin, die wir mögen und die uns zeigt, wie man etwas lässig trägt. Es geht um Styling, um die coolsten Kombinationen. Das ist es, was Blogger, Stylisten und Journalisten heute tun. Sie zeigen, wie wir mit dem, was kommt, aus dem Haus gehen können. Ein Glück. Sonst stünden wir demnächst mit Samtschühchen im Kuhfladen.

Zum Trendschnüffeln ins Internet

Die Trendforscher im Netz

Auf Li Edelkoorts Website finden sich Häppchen ihrer Prognosen, auf ihrer Plattform "Trendtablet" Hunderte Themen, Fotos und Texte, in denen man sich verlieren kann: edelkoort.com und trendtablet.com. Die Propheten von Peclers Paris, Trendstop und WGSN füllen ihre Blogs und Facebook-Seiten regelmäßig mit trendverdächtigen Fundstücken: peclersparis.com, trendstop.com, wgsn.com.

Streetstyle-Blogs

Was trägt Tokio? Wie stylt sich die Fashion-Crowd während der Modewochen? Auf diesen Seiten finden Designer Anregungen und wir natürlich auch: thesartorialist.com, stilinberlin.blogspot.com, facehunter.blogspot.de, japanesestreets.com, thelocals.dk, easyfashion.blogspot.com.

Fashion-Shows im Netz

Vom Laufsteg direkt auf den Bildschirm: Gut gemachte Fotos und Filme von den Schauen finden sich überall im Netz. Bei den Fashion-Week-Veranstaltern wie Mercedes Benz: mbfashionweek.com, bei liverunway.com unter den Namen der Städte, auf style.com, purple.fr, nowfashion.com – und natürlich auf YouTube.

Auch wir halten Sie auf Petra.de live und aktuell über die Fashion Weeks auf dem Laufenden.

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