
Ach, diese 70er... Vielleicht war das Jahrzehnt eine Form der Pubertät. Ein modisches Auflehnen. Rotzig, frech und rebellisch. Vieles war verboten, alles musste ausgetestet werden. Formen, Farben und Versuche, die mit Wut und Selbstbewusstsein getragen wurden. Und was ist wichtiger im Leben als die Pubertät? Nicht viel. Schließlich formt sich in dieser Zeit das, was Bestand hat. Im Charakter – und offenbar auch in der Mode. Wer in den 70ern dabei war, erinnert sich heute entweder mit Respekt oder mit Grauen an die eigenen modischen Experimente. Alles, was möglich war, wurde auch ausprobiert: Mini, Midi, Maxi, Lack, Leinen, Lurex. Protestler und Angepasste ließen sich nicht mehr so leicht auseinanderhalten, denn das, womit die einen sich abgrenzten, kauften die anderen kurz darauf in den Boutiquen. Die Designer kopierten, was sie auf der Straße sahen, die Jeans und T-Shirts der Jugendlichen, die wallenden Kleider der Hippies und den androgynen Look von Musikern wie David Bowie. Zu jedem Lebensentwurf gab es den passenden Stil. Die Individualisierung ging so weit, dass das Magazin "Twen" 1971 darüber schrieb, "wie die Mode aus der Mode kommt". Manche Looks von damals scheinen heute untragbar. Andere sind atemberaubend elegant. Deswegen besinnen sich die Designer immer dann, wenn die Mode zu konform zu werden droht, wenn ihr das Spielerische abhanden zu kommen scheint, auf die 70er-Jahre. Auf Stücke, die jedes für sich ein Statement sind – für Vielfalt und Extravaganz.
Woher kommen Hotpants?
13 Jahre war sie alt – und die Hotpants waren an ihr mehr als verboten: In seinem Film "Taxi Driver" stellte Martin Scorsese 1976 Jodie Foster als minderjährige Prostituierte in kirschroten Hotpants an die Straße und damit die Moralbegriffe des Bürgertums infrage. "Hast du noch nichts von der Frauenbewegung gehört?", will sie von dem verklemmten Taxifahrer Travis wissen. An den Mini hatten sich ältere Generationen Anfang der Siebziger bereits gewöhnt, doch Frauen, die Hotpants trugen signalisierten, dass sie sich weder in modischer, noch in sexueller Hinsicht etwas vorschreiben lassen wollten. Dafür wurden sie beschimpft, manchmal auch zur nächsten Polizeiwache gebracht. Erfunden hat die "heißen Höschen" angeblich der englische Boutique-Besitzer Tommy Roberts alias Mr. Freedom, der auch Bühnenoutfits für Elton John entwarf. Heute regen Hotpants niemanden mehr auf. Was vielleicht daran liegt, dass sie meistens mit blickdichten Strumpfhosen getragen werden.

Sie hatten ihre eigene Schönheitskönigin – ein lebendes Schaf – dabei und ordentlich Wut im Bauch: Die 400 Feministinnen, die 1968 in Atlantic City neben falschen Wimpern und High Heels auch ihre BHs in einen Mülleimer warfen, protestierten damit gegen eine Misswahl. Ihre Aktion gegen den Schönheitswahn hatte jedoch modische Folgen: Wer konnte, ließ den BH fortan in der Schublade. Yves Saint Laurent erkannte den Trend und entwarf transparente Seidenblusen, die frei schwingende Brüste elegant verpackten. Andere Designer zogen nach. Der "Stern" fotografierte das italienische Starlett Prinzessin Micaela Pignatelli 1972 in einem durchsichtigen Top von Lancetti, das weder Nippel noch Nabel verdeckte. 40 Jahre später ließ sich auch Popsternchen Lana Del Rey in transparenter Seide fotografieren, allerdings mit BH. Ihr Kommentar: durchsichtig, aber hochgeschlossen – das mache die Männer verrückt.
Woher kommen Overalls?
Sie sitzt neben dem Plattenspieler, hat die Augen geschlossen, die Schuhe ausgezogen und die Tanzenden um sich herum scheinbar vergessen. Das Foto von Diana Ross, die in einem Overall auf dem DJ-Pult ihre eigene Party feiert, ist nur eines von vielen legendären aus der Über-Disco Studio 54. In dem New Yorker Club führten die Hedonisten ihr Ego aus. Auf der Tanzfläche überließen sich Bianca Jagger, Lauren Hutton oder Diana Ross in Jump- oder Catsuits der Musik. Ihre Overalls – meist aus unifarbenem Stoff und von Halston – sahen glamourös aus und saßen gut. Selbst wenn man dem DJ seinen Platz streitig machte.
Woher kommt der Kaftan?
New Age statt Büroalltag, Sonne statt Spießertum: So wie Kate Winslet in "Marrakesch" reisten in den Sechzigerjahren unzählige Hippies nach Indien, Afghanistan und Marokko, um dort ein freieres Leben zu führen – und ungestört zu kiffen. In den Siebzigerjahren folgten ihnen die Massen. Charterflüge und Pauschalangebote ließen die Welt ein wenig kleiner werden. Die Lust am Fremden wurde dadurch nur größer. "Trends wie der China-, Mongolen-, Indien-, Türken-, Russen- oder Beduinen-Look verwandelten Frauen in exotische Wesen", schreibt Isabella Belting in "Geschmackssache – Mode der 1970er Jahre" (Hirmer). Der Kaftan – halb Hemd, halb Kleid – wurde zum beliebten Souvenir. Und zum ständigen Urlaubsbegleiter.
Woher kommt die Military-Jacke?
Mit der zunehmenden Politisierung formierte sich in Europa eine studentische Opposition, die sich auf Vorbilder wie Mao Zedong und Karl Marx berief. Zu Parolen wie "Unter dem Pflaster liegt der Strand" flogen bei Auseinandersetzungen mit der Polizei Pflastersteine durch die Luft. Die Jugendlichen trugen Armeejacken in Uni oder mit Camouflage-Muster, deren Abzeichen sie abrissen. Ihre Mode war nicht nur eine Persiflage auf die Uniformen der Machthaber, sondern auch Reverenz vor Idolen wie Che Guevara. Gianni Versace (damals noch bei Genny) gehörte zu den Designern, die den aggressiven Look für den Laufsteg aufbereiteten. In der Oversized-Version blieb die Military-Jacke auch in den 80ern Teil der modischen Ausrüstung. Helmut Dietl zitierte den Look in der TV-Serie "Kir Royal": Mona (Senta Berger) lässt sich von Promi-Designer Butzi den "Marines-Style" aufschwatzen – inklusive raspelkurzer Haare.

1972 zog die Vorzeige-Feministin Simone de Beauvoir in ihren Memoiren "Alles in allem" nüchtern Bilanz. Der Kampf für mehr Gleichberechtigung hatte noch nicht den erhofften Erfolg gebracht. Ein Teil der Frauen machte bereits Karriere, doch in Deutschland sollten sie dafür noch bis 1977 die Erlaubnis ihres Mannes benötigen. Wer im Job selbstsicher auftreten wollte, zog sich Hosen an. Oder einen Anzug, komplett mit Sakko oder Weste. Schwung durften die Hosen trotzdem haben: Ausgehend von einer hohen Taille, saßen sie eng an Po und Hüfte und öffneten sich zum Fuß hin in verschwenderischer Weite. In Koralle oder Kobaltblau machen ähnliche Modelle von Gucci im Sommer 2013 eine gute Figur.
Woher kommen Plateauschuhe?
42.000 Tickets waren Ende März bereits verkauft – dabei hatte die Ausstellung noch nicht mal geöffnet. Es sind nicht Rembrandt oder Dalí, die solche Massen in das Londoner Victoria and Albert Museum locken. Es ist die Popmusik. "David Bowie is" huldigt dem Star und seinen Looks. 1972 veröffentlichte er sein Konzeptalbum "The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars". Die Bühne betrat er als flamboyantes Kunstwesen, nicht Mann, nicht Frau, dafür auf schwindelerregenden Plateaus. Schon bald staksten junge Männer und Frauen auf bis zu 15 Zentimeter hohen Plateausohlen durch die Städte – ungeachtet ihrer Knöchel. "Das Ganze war durchaus erotisch gemeint", schreibt Charlotte Seeling in ihrem Buch "Mode – 150 Jahre Couturies, Designer, Marken" (Könemann). "Plateausohlen und ausgestellte Hosenbeine lenkten den Blick am langen Bein entlang nach oben, dorthin, wo der Seidenjersey knalleng den Körper umspannte." Und so erfolgreich wie die Bowie-Ausstellung sind die Plateaus auch – wieder.
Woher kommt der Häkelbikini?
Anfang der 70er-Jahre hatte der Summer of Love endlich auch die bürgerlichen Schlafzimmer aufgeheizt. Der Look der Hippies – langes Haar und Selbstgenähtes – stand für Offenheit und Abkehr von den Konventionen. Also strickte und häkelte auch die Wohlstandsgesellschaft, "als Ausdruck der individuellen Selbstentfaltung" (Burda Moden) und weil die Ölkrise im Winter 72/73 eine Abkehr von Chemiefasern wie Polyester, Elastan oder Polyamid mit sich brachte. Nur noch Natur sollte auf die Haut. Sonja Rykiel profitierte am stärksten vom Maschentrend, obwohl ihre Entwürfe nicht nach Heimarbeit aussahen. Dafür konnte man sich diese nach Hause liefern lassen: Rykiel war eine der ersten Designerinnen, die mit einem Versandhauskatalog kooperierten.
Jerseykleid
"Pucci, puccier, am puccisten", jubelte die Zeitschrift "Madame" 1971. Der Italiener Emilio Pucci entwarf als Erster bodenlange Kleider aus bedrucktem Seidenjersey, die im Koffer kaum Platz wegnahmen und nicht aufgebügelt werden mussten, wenn man sie herausnahm. Perfekt für den neuen, mobileren Lebensstil. Auch die britische Designerin Jean Muir kleidete Frauen in Roben, die den Körper wie griechische Togen umflossen. An den Schnitten hat sich seit damals kaum etwas verändert: Halterneck und hohe Taille sehen in der Sommerhitze einfach cool aus.