
Mein erstes Vorbild war Bibi Blocksberg. Weil sie Bankräuber überführte, während ich zur Vorsicht jeden Abend zehnmal unters Bett luscherte. Weil sie sich eine Kuh im Schlafzimmer hielt – ich aber nicht mal einen Hamster haben durfte. Und natürlich, weil sie dauernd herumgehext hat. Das hätte ich auch gern gekonnt. Ich hätte mich mutiger, frecher und abenteuerlustiger gezaubert. Etwa zeitgleich wurde ich zum Idol meines zwei Jahre jüngeren Cousins, der sich fest vornahm, später auch ein Mädchen mit blonden Zöpfen zu werden. Allerdings änderte er seine Meinung noch einmal, als David Hasselhoff mit der Serie "Knight Rider" ins Fernsehen kam. Später bewunderte ich dann Lady Di: dafür, dass sie so schön aussah und außerdem eine Prinzessin war. Ich eiferte Steffi Graf beim Tennis nach (bis ich mir beide Arme brach). Und nahm mir fest vor, mindestens so schlau wie mein Vater zu werden, der bei den Samstagabend-Shows immer als Erster die Antwort wusste. Heute habe ich zwar auch noch Menschen, zu denen ich aufschaue, die mich inspirieren – allerdings nicht mehr so viele und nicht so berühmte.

Ähnlich ergeht es 73 Prozent der Frauen zwischen 25 und 40 Jahren, die das forsa-Institut exklusiv für PETRA befragt hat. Statt sich von Politikern oder Stars etwas abzugucken, eifern sie lieber Menschen nach, die ihnen nahestehen: der eigenen Mutter, weil sie stark genug war, um die Familie allein durchzubringen. Der Freundin, weil sie den Mut besitzt, ihren größten Traum wahr zu machen. Oder der Mentorin im Job, die so ziemlich alles erreicht hat, was man selbst gern noch schaffen würde. "Jeder Mensch braucht Vorbilder – und zwar für jede Lebenslage", sagt die Psychologin Siglinde Bender (bessere-beziehungen.de). Nicht unbedingt, um sie auf einen Sockel zu stellen und sie zum Götzen zu erheben. Und auch nicht, um sie blind zu kopieren. "Sondern, um durch sie auf neue Ideen und Lösungsmöglichkeiten zu kommen, die einen selbst weiterbringen und erfüllen." Bender zufolge reicht manchmal schon ein weiser Satz, den der andere sagt – und der wie ein magischer Schlüssel zum eigenen Leben passt. Weil man eine Situation im neuen Licht sieht; oder ein Mantra daraus entsteht, das einem in schwierigen Lagen hilft. Eine gute Freundin hat mir in der Studienzeit immer verboten, beim Essen übers Lernen zu sprechen. Weil ich nicht gut darin war, Pausen zu machen und abzuschalten. Noch heute höre ich ihre Stimme, wenn ich mich dabei ertappe, dass ich während des Essens zum Laptop greife.
Promis sind keine Vorbilder mehr
"Als Vorbild fungieren auch solche Menschen, die ihre eigenen Werte hochhalten", sagt die Expertin. Unbestechliche Journalisten. Stars, die trotz Millionengage ihre Bodenhaftung nicht verlieren. Politiker, denen das Wohl der Gesellschaft wichtiger ist als ihr eigenes Streben nach Macht und Einfluss. Leider findet man davon nicht mehr viele – so scheint es jedenfalls, verfolgt man all die Shitstorms, Fehl- und Rücktritte: Der eine scheffelt aufs Schweizer Nummernkonto, die Nächste fährt besoffen Auto, ein anderer feiert seine Erfolge am liebsten mit Minderjährigen. Die, die wir für die Guten hielten, mutieren zu denen, die den größten Mist verzapfen. So gehen Edelmänner baden, verlieren Moralapostel die Glaubwürdigkeit, und man fragt sich allen Ernstes, an wem wir uns – abgesehen von der eigenen Omi – eigentlich noch orientieren können.

Das Problem: "Wir neigen dazu, unsere Vorbilder vollkommen zu idealisieren", sagt Bender. Und sind im Umkehrschluss wenig gnädig, wenn diese moralisch nicht einwandfrei handeln. Das beweist auch unsere PETRA-Umfrage: Zwei Drittel der befragten Frauen möchten "gefallenen Helden" nur ungern verzeihen. Haben sie sich etwas Dummes geleistet, ist ihre Vorbildfunktion auf der Stelle gestorben. Sie verschwinden von der Bildfläche, noch bevor der Richter das erste Mal spricht – und die Schuld endgültig bewiesen wäre. Dumm nur, dass auf diese Weise keiner mehr die Chance hat, Vorbild zu sein.
Bender: "Es gelingt nämlich niemandem, in allen Bereichen des menschlichen Lebens perfekt und integer zu sein." Der eine geht fremd, die Nächste nimmt ein Upgrade an, ein anderer wird beim Kiffen gefilmt. "Mithilfe der modernen Medien kann man absolut jeden zerpflücken, der von der Bildfläche ver schwinden soll", sagt die Expertin. Weniger desillusioniert und enttäuscht seien deshalb diejenigen, die sich die guten Seiten eines Menschen zum Vorbild nehmen. Nach dem Motto: Okay, das mit der Fast-Food-Werbung hätten sich Alexandra Maria Lara und Jürgen Vogel echt sparen können – aber gute Schauspieler sind sie immer noch. Oder: Zugegeben, sein Frauenverschleiß ist ekelhaft. Dass man irgendwann mal halb so gut Golf spielen will wie Tiger Woods und sich von ihm etwas abschaut, ist trotzdem kein schlechter Vorsatz. Und: Uli Hoeneß mag geldgierig sein – was aber nichts daran ändert, dass er vielen Menschen geholfen hat. Und man ihm in Sachen soziales Engagement auch weiterhin ruhigen Gewissens nacheifern könnte.

Erst Vorbild, dann verurteilt
"Natürlich soll man Verbrechen nicht gegen Gutes aufrechnen", sagt Siglinde Bender. Es sei aber Sache der Justiz, jemanden dafür zu verurteilen. Und nicht unbedingt der breiten Masse, öffentlich über jemanden herzuziehen und als Vorbild zu begraben. Trotzdem schade: Von der Heile-Welt-Vorstellung muss man sich realistischerweise wohl verabschieden. Ich habe ein Buch, in das ich schöne Dinge reinhefte: Ausrisse, Fotos, Objekte der Begierde. Auf der Seite mit dem Eselsohr klebt das Bild von der schönen Familie Schweiger, als alles noch wie im Bilderbuch wirkte. Hübsche Orgelpfeifenkinder, strahlende Eltern, berühmt und gemocht – bis Til das Idyll dann öffentlich killte. Wie desillusioniert war ich, weil das Bild, das ich mir ähnlich erträumte, so gar nicht der Realität entsprach. Und gleichzeitig schämte ich mich dafür, dass es mich überhaupt enttäuschte. War doch eigentlich klar, dass der nicht treu ist. Geht doch heute fast jeder fremd. Irgendwie stumpft man immer mehr ab – und begräbt dabei nicht nur seine Idole, sondern auch seine eigenen Werte.

Siglinde Bender empfiehlt deshalb, auch mal ganz ehrlich zu hinterfragen, ob man für andere als Vorbild taugt. Zwar befanden nur 57 Prozent der Frauen in unserer Umfrage, dass wir den gleichen moralischen Ansprüchen genügen müssen wie Politiker und Stars. Aber ganz ehrlich: Warum sollten die eine weiße Weste haben, während wir fleißig Filme aus dem Netz ziehen, schwarz putzen lassen und schnell weiterfahren, wenn wir beim Ausparken Schrammen verursachen? Nur weil die Promis im Rampenlicht stehen? Weil sie mehr verdienen? Oder ein hohes Amt bekleiden? "Wer so denkt, lügt sich selbst etwas vor", meint die Psychologin. Weil es letztlich egal sei, ob man im großen Stil Steuern hinterzieht oder Bewirtungsbelege über 12,50 Euro faket. Ob man bei seiner Doktorarbeit abschreibt oder beim Spielen schummelt. Nichts davon ist rechtens. Was bleibt uns also, wenn wir feststellen, dass niemand von uns einen Heiligenschein verdient hat?
Was bleibt uns? Eine Welt ohne Vorbilder?
"Aufrichtigkeit wäre ein Anfang", sagt Siglinde Bender. Offen und ehrlich mit einem Fehltritt umzugehen ist der Psychologin zufolge nämlich der einzig sinnvolle Weg, um weiterhin für Dinge geschätzt zu werden. Nicht lange herumlabern, sondern Farbe bekennen. Dazu stehen und sich selbst eingestehen, dass man nicht fehlerfrei ist. Es von anderen auch nicht verlangen. Und hin und wieder nachsichtig sein, wenn jemand alles dafür tut, um sich seine Vorbildfunktion zurückzuverdienen. Etwa so, wie es Margot Käßmann getan hat. Nach ihrem Sturz als Übermutter der evangelischen Kirche gilt sie inzwischen als Rücktrittsikone. Weil sie mit ihrer Spritztour zwar Mist gebaut hat, aber auch sofort dafür geradestand. Mit der Kritik ist sie aufrichtig umgegangen: Sie hat sie angenommen und persönliche Konsequenzen daraus gezogen. Das kann man sich auch zum Vorbild nehmen.