
Mein Vater war ein männlicher Typ. Er trug einen Vollbart mit buschigen Koteletten, und aus seinen weit aufgeknöpften Hemden ringelten sich die Brusthaare. Samstags wusch er seinen Sportwagen. Danach schaute er Fußball. Ich saß neben ihm auf dem Sofa und hörte zu, wie er fluchte, wenn ihm der Spielverlauf nicht passte. Abends blätterte er im „Playboy“. Eigentlich hatte er alles, was einen echten Macker ausmacht – auf dem Spielplatz half mir das trotzdem nicht. Dort galt das Gesetz des stärkeren Vaters. Die anderen Kinder hatten Polizisten-, Bauarbeiter- und Mechanikerväter, mit denen sie drohen konnten. Mein Vater war Modemacher. Ich konnte mich noch so bemühen – wenn es ans Drohen ging, belegte ich immer den letzten Platz. Gegen eine Dienstwaffe oder einen Bagger war mit Nähmaschine und Schnittmusterbögen nicht viel auszurichten. Meine Mutter wusste auch keinen Rat. Bis zu dem Gespräch mit ihrer siebenjährigen Tochter hatte sie sich wenig Gedanken darüber gemacht, ob ihr Mann in den Augen anderer männlich genug rüberkam.
Das Ende der Männer
Heute ist das anders. Männlichkeit ist ein Thema, das Frauen sehr beschäftigt. Fast mehr als die Männer selbst. Wann immer es eine Debatte über das Verhalten und Befinden der Männer gibt, führen Frauen das Wort. Autorin Nina Pauer beklagte, der junge Mann, mit dem sie abends an der Theke sitze, sei zu gehemmt. An Kontrollverlust sei nicht zu denken. Die Reporterin Laura Himmelreich wurde in einer Bar auf ihren Busen angesprochen und machte das geriatrische Gebalze in einem Artikel öffentlich. Bloggerinnen lästern darüber, dass es so viele Bartpflegeprodukte gibt wie Nagellackfarben. Oder über Kerle, die keine Hornhaut mehr unter den Füßen haben, weil sie regelmäßig zur Fußpflege gehen. Clarisse Thorn erklärte in ihrem Buch „Fiese Kerle“ die Psyche von Aufreißern und Hanna Rosin mit „Das Ende der Männer“, warum diese ihre Vormachtstellung in der Wirtschaft verlieren. Es sind starke Stimmen, die sich zu Wort melden. Von den Betroffenen dagegen hört man wenig.

Die neuen Jäger in der Wildnis
Braucht die Männlichkeit neue Fürsprecher? In den Städten sieht es nicht danach aus. Sieht man von den Ausnahmen ab, die Leggings und Sweater mit Leomuster in Pastell tragen, ist das Kerlige in Mode: Bärte, hochgekrempelte Jeans und Holzfällerhemden. Stiefel, die Halt geben, wenn man unsicheres Gelände durchqueren muss. Parkas, die Eisstürme abhalten und Eisbären einschüchtern können und die sagen: Eigentlich sollte ich mich gerade mit einem gebrochenen Knöchel aus einer Felsspalte im Himalaja kämpfen, aber ich muss leider zurück an den Schreibtisch. Keine Düne, kein Sumpf versperrt den Weg in die ISO- 9001-zertifizierten Großraumbüros. Doch während die Neuzulassungen für Autos sinken, steigen die Verkaufszahlen für SUVs. McDonald’s ruft auf Plakaten zur Jagd auf den Big Mac auf. Männer sollen sich wie Jäger in der Wildnis fühlen. Auch wenn das einzige Feuer, das sie anmachen können, ihr Kindle Fire ist, wie der Autor Marty Beckerman schrieb. Selbst bei Prada auf dem Laufsteg waren Fellharnische auf nackter Haut zu sehen. Und das in Mailand, wo die Herren sich auch mal Haarreife ins Haar stecken, wenn sie ihre Sonnenbrille vergessen haben. Doch weder Mode noch Autos und nicht mal Burger verkaufen sich, indem man den potenziellen Kunden ihren Status quo vor Augen führt. Und so sind die Waldschrate, die mit ihren Geländewagen die Kinder in die Kita bringen und im Supermarkt die extrarauchigen Schweinekrusten-Chips unter die Bio- Möhren im Einkaufswagen mogeln, vielleicht doch ein Indiz dafür, dass mit dem Selbstwertgefühl der Männer etwas nicht in Ordnung ist.
Das gemeinsame Leben steuert die Frau
Wie viel Gefühl soll ein Mann zeigen? Wie forsch muss er sein? Ist es wichtig, dass er die Familie ernähren kann? Dass er Elternzeit nimmt? Und ist es okay, wenn er mehr Schuhe hat als seine Partnerin? Manche dieser Fragen muss jeder Mann für sich alleine, andere gemeinsam mit seiner Familie klären. Eine allgemeingültige Antwort gibt es nicht. Das Problem sei, sagte der auf die männliche Psyche spezialisierte Psychologe Björn Süfke in einem Interview, dass viele Männer oft nur noch wiedergeben können, was ihre Frau sich wünscht. Nicht, welche Wünsche sie selbst haben.
Und so sind es heute Frauen, die das Leben in die Hand nehmen. Auch das gemeinsame. Bis zum Schluss. Seit Jahren werden deutlich mehr Scheidungsanträge von Frauen als von Männern gestellt. Manchen Männern fällt es schwer, sich das Scheitern des gemeinsamen Glücks einzugestehen. Andere fürchten, die Kinder zu verlieren. In unserer Gesellschaft brauchen nur noch die wenigsten Frauen den Mann als Versorger. Männern, die keine Bezugspersonen außerhalb der Familie haben, wird mit der Trennung jedoch der Rückhalt entzogen.

Früher war's noch anders
Das war nicht immer so. Okay, mein Vater pflegte keine vertrauensvollen Männerfreundschaften. „Echte Männer“ kultivierten in den Siebzigern ihre Homophobie. Vor Beginn der Industrialisierung durften Männer durchaus empfindsam sein und innige Freundschaften pflegen. Doch um Teil der neuen Arbeitswelt zu werden, mussten sie raus aus dem Haus und hinein in die Fabriken. Wer sich zu sehr nach Nestwärme sehnte, stand sich nur selbst im Weg. Dann kamen die Weltkriege. Unsere Großväter und Urgroßväter taten und erlebten Dinge, für die sie selbst Jahrzehnte später keine Worte fanden. Ihre Frauen gingen unterdessen arbeiten, übernahmen Verantwortung und wurden zu Versorgern. Es folgte das Wirtschaftswunder mit einfachen Rollenmustern, die wir bis heute wieder aufzulösen versuchen. Wir Frauen hatten und haben dabei ein Ziel vor Augen, Männer mussten vor allem nachgiebiger werden und Verantwortung abgeben. Verständlich, dass sie sich zumindest optisch abgrenzen wollen.
Wir lieben sie – die warmherzigen Macker
Mein Mann trug keinen Bart, als ich ihn kennenlernte. Wir hatten uns für dieselbe Gruppenreise angemeldet. Er rasierte sich unterwegs nicht. Wir redeten viel, und meine Zuneigung zu ihm wuchs wie die Stoppeln in seinem Gesicht: jeden Tag ein bisschen. Nach zehn Tagen war ich in einen bärtigen Mann verliebt. Als wir wieder zu Hause waren, erfuhr ich, dass er rosa Polohemden mag, aber keinen Fußball. Dass er nie flucht. Und dass ihn seine Freunde, nicht nur die heterosexuellen, aus den gleichen Gründen mögen wie ich: weil er besonnen und warmherzig ist, kein Macker. Er muss sich nicht ständig beweisen, schon gar nicht gegenüber Schwächeren. Wenn nachts eine meiner Freundinnen vor unserer Tür steht, weil sie Liebeskummer hat, verdreht er nicht die Augen, sondern entkorkt eine Flasche Wein und versucht, ihr die Männer zu erklären, wenn sie darum bittet. Vieles an ihm entspricht nicht dem Männerbild, an dem sich mein Vater orientierte. Doch der war sensibler, als er zugeben wollte, und mit seiner Rolle nie wirklich glücklich. Deswegen ärgert es mich wirklich, wenn sich Frauen beschweren, die Männer heutzutage seien zu empfindsam oder zu umsichtig. Mit Rücksichtnahme und Empathie ist schließlich noch niemandem der Tag verdorben worden.
Natürlich ist der laut geäußerte Wunsch nach einem Comeback der „harten Typen“ oft nur Koketterie. Früher sahen Männer nicht nur aus, als hätten sie gerade mit einem Bären gerungen – sie rochen auch so. Es mag Frauen geben, denen das ernsthaft fehlt. Die lieber mit einem Patriarchen am Frühstückstisch sitzen oder für einen Chef arbeiten würden, der ein richtiger Macho ist. Alle anderen können, wenn ihnen ein Mann fehlt, der seinem Kumpel aus Zuneigung die Zähne ausschlägt und Kolleginnen als Respektbeweis die Hand auf den Po legt, den Fernseher anmachen. Und dann die Serie „Mad Men“ schauen oder „Sons of Anarchy“.