Soziale Netzwerke - wahre Freunde?

Soziale Netzwerke - wahre Freunde?

Darf man Freunde löschen? Seltsame Frage, oder? Aber ziemlich aktuell, denn immer öfter überlegt man, wen man eigentlich aus seinem Dunstkreis kicken müsste, weil er in sozialen Netzwerken irgendwelchen Unsinn postet. Zeit also, sich einmal darauf zu besinnen, wie man mit seinen Liebsten umgeht – und wie wenig die digitale Scheinwelt mit wahrer Nähe zu tun hat.

soziale-netzwerke-wahre-freunde© dotdotred/Corbis
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Ohne Facebook wären Claudia und ich sicher noch Freunde – doch irgendwann ertrug ich ihre virtuelle Tierliebe nicht mehr. Der fünftausendste entlaufene mallorquinische Straßenhund, der ein neues Zuhause suchte, war mir dann einfach zu viel. Pikanterweise wechselten die traurigen Tiere mit Claudias neuesten modischen Errungenschaften und Nageltrends. Wahrscheinlich war es feige, sie nicht darauf anzusprechen und sie einfach aus meiner Freundesliste auszuradieren. Ich hatte auch zuerst überlegt, ihre digitalen Ergüsse zu blockieren – doch das wiederum kam mir hinterhältig vor.

Und weil ich gerade dabei war, löschte ich noch gleich ein paar Schulkameraden aus der Grundschule, etwa fünfzehn Menschen, von denen ich noch nie etwas in meinem Leben gehört hatte: das Aas, das seit einem halben Jahr plötzlich die Deutschtümelei für sich entdeckt hatte, der Typ, der allabendlich sein Essen postete, und die Ex-Kollegin, die ständig unter Palmen lag. Danach fühlte ich mich mächtig befreit. Für fünf Minuten. Wie konnte ich Claudia einfach aus meinem Leben streichen? Sie war nicht meine weltbeste Freundin, trotzdem hatten wir Zeit miteinander verbracht, vor zwei Jahren schüttete sie mir wegen irgendeines Trottels ihr Herz aus, ich gab Ratschläge – und nun hatte ich sie weggefegt, zusammen mit Unbekannten, mit einem politisch Verirrten, mit Leuten, die mir mit ihren Essens- und Urlaubsbildern auf den Keks gingen.

Ich kam ins Grübeln. Darf man das, Freunde einfach löschen? Oder trägt das, wie manche behaupten, zur sozialen Verwahrlosung bei? Und gehen wir zu leichtfertig mit dem Gut der Freundschaft um, wenn wir die Verbindung mit einem energischen Klick und leichten Herzens beenden? Wie viele Menschen das Thema beschäftigt, zeigt eine einfache Google-Suche. Auf eine Frage wie „Darf man Freunde löschen?“ spuckt die Maschine über eine halbe Million Treffer aus. Vielleicht sollte man aber erst mal festhalten, dass die Problematik damit beginnt, dass sich unter dem Begriff „Freunde“, den Facebook verwendet, jegliche Art von menschlicher Beziehung vereint.

Auf Facebook, Instagram, Xing, Twitter und Co. sind wir mit der Kollegin genauso vernetzt wie mit der Mama, der besten Freundin oder der Urlaubsbekanntschaft. Ein Mischmasch aus Kontakten, Spaß- und Herzfreunden. Kaum jemand macht sich die Mühe, allen zu erklären, dass man Xing nur beruflich nutzt, Facebook nur privat – und niemand kalibriert dort die Privatsphäre-Einstellungen derart, dass wirklich jeder seiner Freunde gemäß seiner wahren Bedeutung behandelt wird. Stattdessen macht das Netz uns alle gleich. Schöne demokratische Sache, aber verdammt unpraktisch, wenn es um Gefühle geht.

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Dabei können wir sehr wohl zwischen all diesen Kontakten differenzieren. In einer Umfrage des IfD Allensbach sagten 73 Prozent, dass sie nicht glaubten, dass Freundschaften, die man über das Internet schließt und pflegt, genauso tiefgehend seien wie die mit Menschen, die man persönlich kennt. Und in einer anderen Befragung des Instituts kam heraus, dass 69 Prozent finden, gute Freunde seien im Leben das Wichtigste. Und nein, das waren keine Rentner, die das altersweise krächzten, sondern über 3000 Hüpfer zwischen 15 und 24 Jahren. Der Freundschaftsbegriff ist also bei allen sauber definiert, völlig abgelöst von der digitalen Sozialisation.

Aus weiblicher Perspektive sind uns die Mädels nah, die schon heulend an unserem Küchentisch saßen und von denen wir auch wissen, wie sie verkatert morgens im Schlafanzug aussehen. Ein Bild übrigens, was man nie posten würde, sondern eine Erinnerung bleibt, kostbar und klar. Frauen haben eine sehr präzise Vorstellung von Freundschaft, weil sie sich am Grad der Intimität festmacht. So spricht man bei Frauen auch von Face- to-Face-Freundschaften – im Gegensatz zu den Side-by-Side-Freundschaften von Männern, die eben gern nebeneinander joggen oder Schränke aufbauen. Frauen hingegen brauchen Nähe, Umarmungen, gemeinsam albern sein, gemeinsames Heulen.

Leider verträgt diese Nähe sich mit der modernen Welt nicht sonderlich gut. Erstens, weil wir immer weniger Zeit haben, uns um unsere Buddys zu kümmern – oder das zumindest meinen. Zweitens, weil Globalisierung und Emanzipation dafür sorgen, dass sich unsere Freundinnen in alle Welt verstreuen. Und dann hat es sich mit der tröstlichen Umarmung und dem Sektbesäufnis bei Liebeskummer. Wobei man zugeben muss: Wenn Anke einen Mann in London heiratet und zu ihm zieht und Jasmin Marketing- Managerin in Dubai wird, freut man sich über die technischen Errungenschaften, die es erlauben, mit Anke und Jasmin zu skypen und zu chatten. Und es ist eine prima Sache, dass man vernetzt bleiben kann, wenn die Lebenswege von Freundinnen nicht nur geografisch auseinanderkurven. Zum Beispiel wenn die eine mit einem Baby zu Hause sitzt, während die andere jeden Abend um die Häuser zieht.

Wie gut, dass es möglich ist, auf digital-distanzierte Weise am Leben der anderen teilhaben zu können. Zumindest, bis sie anfängt, stündlich Baby-Fotos zu posten und eine Whatsapp-Gruppe gründet, auf der Meldungen wie „Ich kann jetzt sogar schon krabbeln. Mami freut sich voll doll“ erscheinen. Und wenn die Party-Freundin beginnt, fest zugesagte Verabredungen mal eben per SMS abzusagen, gerät die Freundschaft endgültig aus dem Lot. Und nun? Anrufen und eine Szene machen? Kaum. Die meisten Freunschaften enden auch im echten Leben nicht in einem lautstarken Krach, sondern damit, dass sich beide im stillen Einvernehmen aus der Freundschaft schleichen. Auch das gehört zum Leben. „Wir geben schneller auf, wenn eine Freundschaft frustriert oder einschläft, sind aber auch konsequenter, wenn wir einsehen, dass bestimmte Beziehungen eben ihre Zeit haben, ohne dass es im Groll enden muss“, sagt die Autorin Susanne Lang („Ziemlich feste Freunde“, Blanvalet, 192 S., 16,99 €).

Zudem besäßen wir nicht mehr den Atem, so Susanne Lang, einen langen Brief oder eine E-Mail zu schreiben mit der Möglichkeit, den Bruch zu kitten. Traurig, oder? Früher verbrannte man dramatisch die Fotos (so richtig analoge) von verräterischen Schulfreundinnen, sah dabei zu, bis sie im Aschenbecher verglühten. Oder man erinnere sich an die Szene aus dem alten Doris-Dörrie-Film „Bin ich schön?“, in der das Foto des miesen Kerls erst in Fitzel gerissen, in die Suppe gestreut und schließlich gegessen wurde. Das war mal ein richtig symbolischer Akt mit kathartischer Wirkung! Ein echt reinigendes Ritual. Und heute? Gibt es einen Trennungstrend namens „Ghosting“: Nach dem Entfreunden wird eisern geschwiegen, werden weder Anrufe noch SMS beantwortet. Gruselig.

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Aber zurück zu Claudias mallorquinischen Straßenkötern und der Whatsapp-Krabbelgruppe der anderen Freundin. Wahr ist natürlich, dass wir auf sozialen Netzwerken, per Mail oder anderen Messaging- Diensten wirklich bizarre Dinge tun, die uns im realen Leben niemals einfallen würden. Natürlich würde Claudia zum nächsten Mädelsabend nicht zwanzig Fotos von räudigen Kötern mitbringen. Und die Mutter-Freundin würde die Party-Freundin auch niemals alle zehn Minuten auf den neuesten Stand bringen, wie die Windel der Tochter sitzt und was sich darin befindet. (Spätestens der Gesichtsausdruck der anderen würde sie stoppen.)

Und genau das ist der Punkt.

Im Internet agieren wir wie Aliens im Weltraum – und davon ist keiner ausgenommen – und gleichzeitig wundern wir uns, dass die anderen sich wie Aliens im Weltraum benehmen. Wir fühlen uns sicher im Kokon aus Nullen und Einsen, unangreifbar und anonym. Oder haben Sie mal jemanden spontan besucht, um ihm zu sagen, dass das russische Video mit der Eule in der Straßenbahn total bescheuert war? Eben. Deswegen sollte man ein paar Dinge im Kopf behalten: Das Internet ist eine tolle Sache, aber gleichwohl hinterhältig. Jeder sollte sich einmal an die eigene Nase fassen und überlegen, welchen Unfug er schon gepostet hat. Und ich rede hier nicht von politisch unsäglichen Äußerungen, das fällt in eine andere Kategorie. Nein, ich rede davon, dass jeder von uns fehlbar ist, sich gern im Netz als Tausendschön oder Superhirn darstellt, weil er nach Anerkennung lechzt und daher „Likes“ sammelt.

Das ist das eine. Das andere ist, sich zu überlegen, wie einfach es wäre, jetzt die beste Freundin anzurufen, um ihre Stimme zu hören, anstatt ihr ein Foto via Snapchat zu schicken. Und wie mutig es wäre, den mittelguten Freundinnen ins Gesicht zu sagen, dass man Hunde und Kinder sehr gern hat, aber nicht als Pixel, sondern in greifbarer Nähe? Ja, das wäre mutig. Vielleicht ist es gar nicht so kompliziert.

Je näher einem der Mensch steht, desto mehr Mühe sollte man sich geben, und in unseren Herzen wissen wir das auch. Ach, eine letzte Sache noch: Um zu wissen, wie es den wichtigsten Menschen in meinem Leben geht, brauche ich Facebook nicht.

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