Lieber Tante bleiben, als Mutter werden

Lieber Tante bleiben, als Mutter werden

Kinder sind was Wunderbares – wenn man sie wieder abgeben kann. Immer mehr Frauen verzichten auf Nachwuchs, lieben aber ihre Rolle als coole Tante,mit der man Spaß haben kann. Gut so: Denn „Panks“ („professional aunts, no kids“) bringen Glück. Jetzt kommen die Panks!

© Photo by Singkham from Pexels

Sie sind unter uns. Und sie werden immer mehr. Sie schieben Babys in schnittigen Bugaboo-Kinderwagen, rutschen mit Kleinkindern auf dem Spielplatz um die Wette, geben beim fünften Teil der „Monster AG“ eine Familientüte Popcorn aus. Bei all dem haben sie weder Spuckeflecken auf dem Kragen noch Übermüdungsringe unter den Augen. Und der Zwerg an ihrer Hand blickt so beseelt drein, als wäre er gerade auf dem Weg nach Disneyland, mit Stopover an der nächsten Pommesbude. Was stimmt nicht an diesem Bild?

Die coolen Tanten

Ganz einfach: Die Frau an seiner Seite ist nicht Mama. Sondern die coolste Tante der Welt. Nicht zwingend Mamas Schwester, vielleicht auch ihre Freundin oder Kollegin. Die hat (noch) keine eigenen Kinder, ist aber gern mit ihnen zusammen. Das macht sie zu einer Vertreterin einer neuen, urbanen Spezies: der „Panks“. „Professional aunts, no kids“ (etwa: Profi-Tanten ohne eigene Kinder) könnten zu den Trendsetterinnen des Jahrzehnts werden. Nach Yuppies in den 80ern, Dinks in den 90ern und Bohos in den Nullerjahren.

Die Erfinderin der putzigen Abkürzung heißt Melanie Notkin, ist 44 Jahre alt, New Yorkerin, Medienexpertin, Autorin und Pank-Patin. „Als vor ein paar Jahren meine Nichten und Neffen auf die Welt kamen, gab es zwar jede Menge Online-Communitys und Treffpunkte für Eltern, aber für mich als stolze Tante war nichts dabei“, erinnert sie sich. Also startete sie die Website savvyauntie.com (heißt so viel wie „schlaues Tantchen“), Forum, Blog und Shoppingportal für „Tanten, Paten, Großeltern und alle Frauen, die Kinder lieben“. 2011 erschien Melanie Notkins gleichnamiger Ratgeber (William Morrow, 18,10 Euro, auf Englisch).

Kinderlos, aber Kinderlieb

Dabei hatte Notkin sich ihr Leben eigentlich anders vorgestellt: „Ich dachte immer, ich würde eines Tages Mutter werden. Aber ich habe bis heute nicht den richtigen Partner gefunden, und die Suche nach der großen Liebe stand für mich immer an erster Stelle, noch vor meinem Kinderwunsch.“ Kinderlos, aber kinderlieb – das ist der kleinste gemeinsame Nenner der Panks. Zum Teil sind es Frauen in den Dreißigern, die sich Nachwuchs wünschen („irgendwann später“) und beim Babysitting „ihre mütterlichen Muskeln trainieren“, wie es Notkin nennt. Zum Teil 40-plus-Frauen, die selbstbewusst ihren Single-Lebensstil vertreten und trotzdem dabei sein wollen, wenn die Kinder der anderen aufwachsen. Mitjubeln bei den ersten Schrittchen, mitleiden beim ersten Teenager-Liebeskummer. Wie wichtig diese Frauen sind – und sein wollen –, belegen auch die Ergebnisse einer aktuellen US-Studie. Sieben von zehn kinderlosen Frauen sagen: Ich bin ein Rollenvorbild für die Kinder in meinem Leben, jede zweite möchte mit ihnen verreisen, jede dritte fühlt sich für die Erziehung mitverantwortlich. Das nutzt besonders der wachsenden Anzahl von Single Moms, die auf gute Netzwerke angewiesen sind. Mama, Tante, Kind – das kann ein ziemlich stabiles Dreieck sein.

Promis als coole Panks

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(45), Brad Pitts berühmteste Ex, schwärmt in Interviews von ihrem neunjährigen Patenkind Coco Arquette: „Sie ist für mich wie eine eigene Tochter!“ Die 42-jährige Cameron Diaz war bei den Geburten ihrer drei Nichten dabei und verwöhnt die Mädchen nach Strich und Faden. „Sie bekommen von mir alles, was sie wollen – ich kann einfach nicht widerstehen“, gibt sie zu. „Tante zu sein ist ein Geschenk“, sagt Melanie Notkin. „Kinder profitieren davon, wenn es neben den Eltern noch andere Erwachsene gibt, die mit ihnen spielen, solange sie klein sind, oder denen sie sich als Teenager eher anvertrauen können. Arbeitende Mütter und Väter sind glücklich über die Unterstützung. Und Kinderlose können teilhaben und etwas weitergeben, ohne die volle Verantwortung für ein Kind zu tragen.“

Jede dritte Frau wird niemals Mutter

Eine Win-win-Situation mit Zukunft. In deutschen Großstädten und unter Akademikerinnen wird mittlerweile jede dritte Frau niemals Mutter, so die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. „Kinderlosigkeit ist häufig eine Gemebgelage aus äußeren Umständen, verpassten Gelegenheiten und innerer Ambivalenz“, sagt der Familienforscher und Soziologe Detlev Lück vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. „Deutlich unter zehn Prozent der Kinderlosen haben sich bewusst so entschieden, weil sie keine Kinder mögen. Die Mehrheit hat Freude am Umgang mit ihnen, zumindest gelegentlich.“

Die Lizenz zum Unvernüftigsein

Macht ja auch Spaß. Zwar wird die Liebe des Dreikäsehochs nie so innig sein wie zu Mama und Papa. Aber dafür haben Tanten die Lizenz zum Unvernünftigsein. Vier Kugeln Eis vor dem Mittagessen? Den Fünfjährigen aus dem Kindergarten entführen und spontan für einen Tag ans Meer fahren? Der 16-Jährigen ein Designer-Shirt spendieren und bis frühmorgens mit ihr durch die Clubs ziehen? Panks können sich das leisten. Auch finanziell. Denn während eigene Kinder ordentlich Kohle kosten, von der Kita- Gebühr bis zu den neuen Gummistiefeln, haben Tanten und Freundinnen in gut bezahlten Vollzeitjobs eher ein hübsches Verwöhn-Budget übrig und lassen auch mal fünf gerade sein. Müttern (und Vätern) wäre das Shirt zu teuer, das Eis zu inkonsequent, die Clubnacht peinlich. Kinder lernen dabei ganz nebenbei: Andere Erwachsene sind anders. Und viele Lebensentwürfe führen zum Glück.

Panks als Bindeglied für neues Miteinander

Damit stehen die Zeichen auf Entspannung. Waren über Jahre die Fronten zwischen Eltern und Nicht-Eltern verhärtet, könnten Panks das Bindeglied für ein neues, angenehmes Miteinander sein. Unter erwachsenen Geschwistern, in der Nachbarschaft, im Stadtviertel. Ähnlich wie in vormodernen Zeiten, als kinderlose Frauen ebenfalls ihren festen Platz und ihre Aufgaben innerhalb der Großfamilie hatten und anpackten, wenn es ein Baby zu wickeln gab oder Kinder hungrig nach Hause kamen. Nur dass es heute nicht bloß um handfeste Hilfe geht, sondern auch um Spaß und Entspannung. So eine Tante hätte wohl jeder gern.

Was man von Kindern lernen kann

MACH LANGSAM Schuhe anziehen: 30 Minuten. Bilderbuch anschauen: zwei Stunden. Kinder sind Zen- Meister der Konzentration. Wer sich auf die Entschleunigung einlässt, braucht so schnell kein Wellness-Wochenende mehr.

SCHAU ZWEIMAL HIN Der Spatz am Wegrand ist spannender als das Nilpferd im Gehege dahinter? Kinder setzen ihre eigenen Prioritäten. Offene Wahrnehmung, das Gegenteil von Tunnelblick – schärft auch bei Großen die Kreativität.

BLEIB NEUGIERIG Warum wird die Radiostimme lauter, wenn man auf den Knopf drückt? Was frühstücken Chinesen? Erwachsene halten sich oft für Alleswisser. Aber: Wer nicht fragt, bleibt dumm. Das gilt mit Sicherheit auch für Menschen über fünf.

HAB EINE HALTUNG Gibt es Gott? Darf man Tiere töten, um Fleisch zu essen? Wenn die Kleinen fragen, müssen die Erwachsenen Position beziehen. Das ist eine ständige Herausforderung – aber sicher auch eine sehr bereichernde.

ERKENNE DEINE GRENZEN Kinder können einen wahnsinnig machen. Nicht nur die eigenen. Deshalb haben Menschen, die viel mit Kindern zu tun haben, oft ein besser ausgeprägtes Gefühl für ihre Grenzen, treten in Konflikten klarer und selbstbewusster auf.

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