
Für jede andere Frau mag es merkwürdig klingen, aber mir stach es mitten ins Herz, als ich im Badezimmerschrank eine teure Männer-Pflegecreme entdeckte, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Sie stand ganz versteckt hinterm Rasierer, dem Deo und den wenigen sonstigen Utensilien meines Mannes. Wahrscheinlich denken Sie, ist doch gut und auch nicht ungewöhnlich, wenn ein Mann auf sich achtet und sich pflegt, aber an diesem Morgen, es war vor etwa sechs Jahren, tat sich ein Abgrund vor mir auf.
Mir wurde so schwindelig, dass ich mich auf den Boden setzen musste. Warum diese Reaktion, werden Sie nun wissen wollen? Weil da diese Ahnung war. Diese Ahnung, dass etwas zwischen uns nicht stimmte. Dass hinter der Beichte, die mir mein Mann vor unserer Hochzeit machte, mehr steckte. Damals erzählte er mir, dass er als 20-Jähriger einmal einen One-Night-Stand mit einem Mann gehabt hätte. „Nur aus Neugier! Es hat mich null angemacht, ich stehe auf Frauen“, versicherte David mir eindringlich. Ich hatte ihm geglaubt – oder zumindest hatte ich mir das vorgemacht. Vergessen hatte ich dieses Geständnis nie.
Und was ich da jetzt in der Hand hielt, war für mich irgendwie so eine Art Beweis. Denn das, was da stand, war keine x-beliebige Drogerie-Creme, es war eine Edelmarke, die viel Geld kostete! Er hatte sie ohne mich besorgt und hinter seinen anderen Sachen deponiert. Warum? Ich ahnte, nein, ich wusste es: David betrügt mich. Und zwar nicht mit einer Frau – er betrügt mich mit einem Mann. Diese brutale Wahrheit, die ich schon ewig ahnte und einfach nicht wahrhaben wollte, drängte jetzt mit Gewalt an die Oberfläche: David steht in Wahrheit auf Kerle!
Wie lange ich auf den Fliesen saß, weiß ich nicht. Aber irgendwie habe ich es geschafft, meine Töchter vom Kindergarten abzuholen. Mit ihnen den ganzen Nachmittag lang zu toben und zu lachen – gerade so, als sei nicht eben meine Welt in Scherben zerbrochen. Selbst als David nach Hause kam, habe ich betont fröhlich vor mich hin gesungen. Ich weiß noch genau, es war „Hot Summer“ von Monrose. Bescheuerter Song.
Fand ich nie gut. Aber ich konnte nicht damit aufhören. Immer wieder und wieder und wieder. Als die Kinder dann endlich im Bett lagen, war ich auf einen Schlag still. Ich saß neben David auf der Couch, der mir eine Anekdote über einen Kunden erzählte, und hatte das Gefühl, gleich in einen hysterischen Lachkrampf auszubrechen. Wie absurd! Ein Paar, das sich wie jedes andere auch über seinen Tag austauscht. Was sollte ich erzählen? „Na ja, bei mir war das Übliche: einkaufen, aufräumen, kochen, mit den Kindern spielen – ach ja, und ich habe herausgefunden, dass du es mit Kerlen treibst!“ Tja, so ungefähr habe ich es tatsächlich gesagt. Er starrte mich an. Völlig entsetzt. Stritt alles ab, wurde wütend, sarkastisch, dann stumm. Ehrlich, es wäre so leicht gewesen, ihm zu glauben. Es dabei bewenden zu lassen, das Ganze schnell zu vergessen – denn solange es nicht ausgesprochen wurde, war es nicht real.
Doch ich blieb hartnäckig. Und plötzlich knickte David ein: Kleinlaut gab er zu, seit einem Jahr eine Affäre zu haben. Mit einem Studenten. „Aber mach dir keine Sorgen, er bedeutet mir nichts. Es ist nur Sex“, versuchte er zu beteuern. Was ich tat? Na, ich bin total ausgeflippt. Habe geschrien, geweint, nach ihm geschlagen. Bis mein Kopf leer war. Er nahm mich in den Arm und versicherte, dass er mich und unsere Töchter über alles liebe. Er sei doch nicht schwul! Höchstens bisexuell! Tagelang flehte er mich an, ihm noch eine Chance zu geben. Und ich wurde weich … Ich musste an unseren Urlaub auf Mallorca denken, wo er mir damals den Antrag machte. Wie aufgeregt und verliebt wir am Tag unserer Hochzeit im Sommer 1997 gewesen waren. Wie glücklich über die Geburt unserer Mädchen, beide absolute Wunschkinder. War das alles Lüge? Hatte er mich nur benutzt? Ich konnte es nicht glauben. Wollte es auch nicht. Denn es hätte bedeutet, zehn Jahre Beziehung endgültig als pure Illusion zu entlarven.
Also ging ich mit ihm zur Eheberatung. Hörte mir geduldig an, dass im Grunde alles meine Schuld sei, weil ich so fordernd sei. Verbrachte mit ihm ein Wochenende im Hotel, um die Leidenschaft zwischen uns neu zu entfachen. Ich schlief dort auch mit ihm. Es war nicht mal schlecht, aber mittendrin setzte das Kopfkino ein: Begehrt er mich überhaupt? Dachte er jetzt vielleicht gerade an „den anderen“? Wo hatte er ihn überall berührt? Was hatte ich nur falsch gemacht? In mir wogten Schmerz und Ekel, doch ich riss mich zusammen. Zu Hause dann setzten wir unsere Ehe fort, als sei nie etwas passiert. Ich erzählte keinem Menschen ein Sterbenswörtchen, nicht einmal meiner besten Freundin. Ich wollte David schützen.
Niemand sollte ihn verurteilen oder sich lustig machen. Doch mir ging es dreckig. Nachts konnte ich nicht schlafen, tagsüber war ich gereizt, fühlte mich ungeliebt, betrogen, falsch. Trotzdem blieb ich bei David, schließlich bemühte er sich so um mich – und ich hätte es nicht richtig gefunden, den Kindern den Vater zu nehmen. Bis zum Frühjahr 2007: An einem Samstag wollte ich online ein Buch bestellen. Der Computer war an, offenbar hatte David vergessen, ihn auszuschalten, bevor er joggen ging. Ich bewegte die Maus, der Bildschirmschoner verschwand – und mir blickte ein Foto meines nackten Mannes in eindeutiger Pose entgegen, daneben hatte er akribisch seine sexuellen Vorlieben notiert. Vorlieben mit Frauen kamen darin nicht vor. Es handelte sich um ein User-Profil in einer Gay-Community. Diesmal blieb ich seltsamerweise ganz ruhig.
Als David heimkam, zeigte ich ihm meine Entdeckung. Er wurde bleich, stotterte herum, erfand unsinnige Ausreden. Und wir kamen wieder an den Punkt, an dem er mir seine ewige Liebe schwor und mich schluchzend um Verzeihung bat. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Zwei Tage später ging ich zum Arzt. Eigentlich wegen eines Hustens. Als mich der Arzt aber fragte, wie es mir sonst ginge, sprudelte alles aus mir heraus. Ich sprach offen und schonungslos die Wahrheit aus – das erste Mal seit zwei Jahren. Es tat mir so gut, ich fühlte mich regelrecht erlöst. Und da wusste ich: Es war vorbei. Ich würde keine weitere Zeit mit der Hoffnung verschwenden, dass David die Lust an Männern verlor. Ich wollte endlich wieder glücklich sein. Ein echtes Leben haben. Himmel, ich war 34 Jahre alt!
Als ich ihm mitteilte, dass ich mich scheiden lasse, fiel David aus allen Wolken. Offenbar hatte er wirklich geglaubt, dass ich bei ihm bleiben würde. Aber das stand für mich nicht mehr zur Diskussion. Ich bat ihn, rasch auszuziehen, und suchte mir einen Teilzeitjob, um wirtschaftlich unabhängiger zu sein. Als ich meiner Schwester die Wahrheit über unsere Trennung erzählte, konnte sie es nicht fassen: „Das hast du so lange mitgemacht? Hast du denn gar nicht an dich gedacht?“ Nein, das hatte ich nicht. Heute ärgere ich mich darüber: Ich habe mir solche Gedanken um seine Gefühle gemacht – aber wann, bitte, hatte er sich um meine gekümmert? Er nahm sich, was er brauchte. Rücksicht auf unsere kleine Familie nahm er nicht. Stattdessen lebte er hinter unserem Rücken sein wahres Naturell aus.
Als dann alle in meinem Umfeld über mich und vor allem David Bescheid wussten (so was spricht sich natürlich rasend schnell rum), musste ich mich noch anderen Fragen stellen: Zum Beispiel, ob ich im Bett nichts gemerkt hätte, wollten meine Freundinnen wissen. Tja, was soll ich sagen: Bevor ich die Luxuskosmetika fand, nein! David hatte keine Erektionsprobleme, er gab mir das Gefühl, unwiderstehlich zu sein, und wusste, wie man eine Frau berührt. Wir schliefen regelmäßig miteinander. David und ich waren wohl beide gute Schauspieler. Er bemühte sich so um mich, um gegen seine Neigung anzukämpfen und die Fassade aufrechtzuerhalten. Und ich? Ahnte etwas – und wollte beweisen, dass alles normal war …
Irgendwie ist es uns gelungen, um der Kinder willen keinen Rosenkrieg zu entfachen. Das war nicht gerade einfach, denn obwohl ich so gern gelassen und vernünftig sein wollte, hegte ich eine Zeit lang schlimme Rachegedanken. Vielleicht half mir die Gewissheit, dass Davids Homosexualität nichts mit mir als Frau zu tun hatte. Ich hätte mich in den heißesten Dessous rekeln können – er hätte sich trotzdem nach einem harten männlichen Körper gesehnt. Ist eine andere Frau im Spiel, quält man sich mit der Frage, ob sie schöner, witziger, liebevoller ist. Steht der Mann auf Kerle, erübrigt sich das – ich habe nun mal keinen Penis und fertig. Das Einzige, was mich richtig quälte, war der emotionale Betrug. Vor allem fragte ich mich, was an unserer Ehe eigentlich echt gewesen war. War alles nur Fassade? War jeder Kuss nur Show? Eine Antwort darauf werde ich wohl nie erhalten.
Zweifel hatte ich auch, als ich meinen jetzigen Freund Ende 2007 kennenlernte. Wie konnte ich ihm vertrauen? Woher sollte ich wissen, dass er nicht insgeheim wie David tickt, sondern mich ernsthaft anziehend findet? Ich musste es einfach wagen. Und zuckte zusammen, als er erwähnte, dass er am liebsten in die Sauna gehe, wenn da Schwulentag sei und somit nicht so voll. Doch ich glaube ihm, dass nichts weiter dahintersteckt. Und bin fast erleichtert, wenn ich merke, dass er ab und zu einer anderen Frau hinterherstiert. Etwas, das David nie getan hatte.
Er lebt heute übrigens offiziell mit einem Mann zusammen. Ich auch – mit meinem Freund. Ihm zuliebe bin ich in eine fremde Stadt gezogen. Dort haben wir nun drei Kinderzimmer: meine Töchter haben vor einem halben Jahr ein Geschwisterchen bekommen.