Wenn Eltern altern

Wenn Eltern altern

Sie waren unsere Helden – und eines Tages sind sie es, die unsere Unterstützung brauchen. Wenn Eltern älter werden, schleichen sich Sorgen in unser Leben. Ein Report darüber, wie man den Rollenwechsel meistert und eine glückliche Familie bleibt.

Mutter und Tochter© iStockphoto
Mutter und Tochter

Technische Geräte sind meiner Mutter „unsympathisch“. Ihr Handy ist stets in den Untiefen ihrer Handtasche verschollen, und wenn sie es im Klingelfall unter Schnauben und Fluchen endlich gefunden hat, ist der Anrufer meist weg. Oder meine Mutter drückt hektisch so lange hintereinander auf die Taste mit dem grünen Hörer, dass der Anrufer in einer Warteschleife landet, aus der sie ihn nie wieder befreien wird. Meistens allerdings ist ihr Handy im „Flugmodus“, sodass es weder klingelt noch Anrufe empfängt – nicht, weil meine Mutter permanent durch die Gegend jettet, sondern weil sie ihr Telefon versehentlich ruhiggestellt hat. „Guck mal, da ist wieder dieses komische Zeichen“, sagt sie dann und nimmt den Umstand als Beweis, dass die Technik ihr feindlich gesonnen ist.

Der Umgang meines Vaters mit modernen Kommunikations-Tools ist nicht viel souveräner. Auch wenn er, der sich gern jeglicher Innovation verweigerte und weder fernsieht noch Autoradio hört, neuerdings aus geschäftlichen Gründen ein Handy mit sich führen muss. In dem Glauben, dass er sich inzwischen mit seinem Smartphone angefreundet hat, schickte ich ihm kürzlich eine SMS, dass ich ihn erst eine halbe Stunde später vom Flughafen abholen kann. Als ich eintraf, war er verärgert und tippte vorwurfsvoll auf seine Armbanduhr. „Hast du meine Nachricht nicht bekommen?“, fragte ich. „SMS lese ich nicht. Die Schrift ist mir zu klein“, antwortete er. Ob Handy, Navigationssystem, Digitalkamera, Computer oder Internet – an der fehlenden Leichtigkeit in der Handhabung des technischen Fortschritts zeigt sich der Führungswechsel der Generationen am drastischsten. Doch es ist nur eines von vielen Symptomen, an denen wir merken, dass unsere Eltern älter werden. Vergesslicher, fahriger, weniger belastbar.

Unsere Eltern, die immer alles wussten, immer alles konnten, brauchen plötzlich unsere Unterstützung. Und je hilfsbedürftiger sie uns begegnen, desto gereizter reagieren wir auf das ständige Erklären. Ein Rollenwechsel mit gemischten Gefühlen – auf beiden Seiten. Immer öfter sitze ich mittlerweile am Steuer des Autos meiner Mutter, weil Fahren sie „nervös“ macht. Die Lautstärke des Fernsehers hat deutlich zugenommen, genau wie die Dioptrienzahl ihrer Lesebrille. Mein Vater neigt neuerdings dazu, alles dreimal zu erzählen. Und als ich vor Kurzem mit ihm spazieren war, fing er bereits nach zehn Minuten an, schwerer zu atmen. Mein Vater: der Mann, der einst Jugend-Sportmeister war, bis heute den Schulrekord im Speerwerfen hält, früher einen Flickflack aus dem Stand hinlegte und mich mit einer Hand hochhob. Dankbar nahm er auf der Bank Platz, auf die ich ihn bugsierte. Und ich kriegte es den Rest des Tages nicht weg: dieses mulmige Gefühl im Bauch. Mein Vater und Schwäche – das passt nicht! Das soll nicht, das darf nicht sein! Ich war fast sauer auf ihn: Er soll gefälligst stark und cool bleiben, für ewig und alle Tage. Fitter zu sein als er, mag zwar auch irgendwie eine kleine Genugtuung sein – aber darauf kann ich getrost verzichten.

Sich um die Eltern Sorgen machen

Schließlich wird man automatisch auch mit dem eigenen Alter konfrontiert und den Verpflichtungen, die mit jedem Jahr mehr werden. „Wenn man registriert, wie die einst unermesslich starken, unverwundbaren Eltern schwächer werden, ist das ein harter Einschnitt, weil es den Abschied von der Kinderrolle bedeutet“, erklärt die Hamburger Psychologin Dr. Angelika Faas. „Die Eltern sollen bleiben, wie sie immer waren. Die Enttäuschung darüber, dass sie langsam, aber sicher nachlassen, und die Verantwortung, die einem dadurch aufgehalst wird, lösen nicht selten Wut aus. Viele Kinder machen ihren Eltern unbewusst ihr Alter zum Vorwurf.“

Sich Sorgen machen müssen um die Eltern, die ja eigentlich seit jeher um uns besorgt sind – das ist tatsächlich ein sehr ungewohntes, unbequemes Gefühl. „Früher achtete meine Mutter sehr genau auf meine Ernährung und schleppte dauernd Tüten voller Bio-Lebensmittel an, heute mache ich mir Gedanken darüber, ob sie nicht vielleicht zu ungesund isst“, berichtet mir meine Freundin Susanne, 34. „Und auch darum, warum Papa sich seit einer Woche nicht gemeldet hat und ob er beim Äpfelpflücken eventuell von der Leiter stürzen könnte.“ Umstände, die vor nicht allzu langer Zeit völlig harmlos wirkten und nun die Alarmglocken schrillen lassen. „Ich möchte meine Eltern schützen, beschützen“, fügt Susanne hinzu. „Deswegen gehe ich oft besorgter mit ihnen um als sie damals mit mir.“ Eine nachvollziehbare Reaktion, aber zwischendurch schadet es auch nicht, den Eltern zu vertrauen, dass sie wissen, was sie tun und was sie sich zumuten können.

Lebenserfahrung haben die Sixty-Somethings schließlich reichlich – und auch Wünsche und Sehnsüchte. Und die drehen sich bei Weitem nicht nur um ein neues Kaffeeservice, ein Candle-Light-Dinner in einem Gourmet-Restaurant oder einen Wochenend-Trip. Die Vertreter der Generation Silver, die jahrzehntelang – auch für uns – gearbeitet und versucht haben, sich so fit wie möglich zu halten, wollen das Leben nun in vollen Zügen genießen: sich was gönnen, reisen, neuen Hobbys nachgehen. Ob Haute Couture für sie oder eine Harley für ihn, auch das muss drin sein, wenn es eine Herzensangelegenheit ist. Die 58-jährige Mutter meiner Kollegin tourte vergangenes Jahr mit ihrem klapprigen Renault Clio durch Südeuropa, weil sie das „schon lange mal“ tun wollte, der 61-jährige Vater einer anderen Kollegin bereitet sich gerade auf den nächsten New-York-Marathon vor, mit Blick auf den solariumgebräunten, dauergrinsenden Lauf-Papst Dr. Strunz, der auch erst mit Mitte 50 in die Turnschuhe fand. Und meine Eltern haben ebenfalls eine lange To-do-Liste, die sie emsig ab arbeiten – auch wenn mir dabei gelegentlich etwas flau wird.

Gratwanderung zwischen Untwestützung unf Freiraum

Mit Rat und Tat zur Seite stehen, bei Reiseplanungen, wirtschaftlichen Entscheidungen oder Fragen bezüglich des Erbes, ist nicht nur ein Novum für mich, sondern lässt mich auch öfter mal vor dem Einschlafen grübeln. Auf einmal findet man sich in der Position der Erfahreneren wieder – und das, obwohl man doch viel jünger ist. Natürlich ist es einerseits ganz toll, wenn endlich mal was nach der eigenen Nase geht, wenn man eine Meinung haben darf und die sogar zählt. Aber diese Rolle macht auch einsam: Wer führt, trägt die Verantwortung! Die Führung anderen zu überlassen, sich wie in jungen Jahren auf Mama und Papa zu verlassen, ist einfacher. Man fühlt sich damit wohler, sicherer, geborgener. So muss man immer wieder aufs Neue die Gratwanderung hinbekommen zwischen Unterstützung leisten und Freiraum gewähren.

Rund 50 Jahre verbringen Eltern und Kinder im Schnitt gemeinsam auf dieser Erde. Und wie auch in Freundschaften oder Geschäftsbeziehungen liegt das Geheimnis des Gut- Miteinander-Auskommens darin, dass man lebt und leben lässt. In gegenseitigem Respekt für die unterschiedlichen Lebensentwürfe und einer gelungenen Mischung aus Mitgefühl, Rücksicht und Abgrenzung. Kurzum: sich nicht zu sehr in das Leben der Eltern einmischen und sie nicht zu sehr nach den eigenen Vorstellungen ummodeln wollen.

Die Mutter bei Parship.de anzumelden, weil man der Ansicht ist, sie müsse sich mit Mitte 60 dringend noch mal verlieben, oder dem Vater einen Leasing-Vertrag für einen Wagen mit elektronischer Klimaautomatik und Einparkhilfe anzudrehen, obwohl er schon mit dem Reifenwechsel überfordert ist, geht nach hinten los. Genauso wie den Eltern jede halbwegs anspruchsvolle Aufgabe abzunehmen, weil man sie selbst flinker und effektiver erledigen könnte. „Erstens halst man sich damit zu viel Arbeit und zu viel Verantwortung auf und zweitens gibt man den Eltern das Gefühl, sie können es nicht mehr und macht sie damit unselbstständig“, betont Angelika Faas. Deswegen: den Eltern Zeit geben, damit sie die Dinge in ihrem Tempo angehen können – und die Zähne zusammenbeißen, wenn etwas nicht gleich auf Anhieb klappt. Wenn Mama am Geldautomaten die Kontoauszüge nicht bekommt oder Papa auf Umwegen zur Familienfeier kurvt. „Die erwachsenen Kinder müssen lernen, loszulassen. Die große Kunst ist es, die Balance zu finden zwischen ihren Bedürfnissen und denen der Eltern“, so die Psychologin.

Die Eltern einfach machen lassen

Leichter gesagt als getan. Vor allem, wenn sich auf Mamas Händen, die einen in der Kindheit in den Schlaf gestreichelt haben, immer mehr hellbraune Flecken gruppieren, sich Papas Rücken zunehmend durchbiegt – und auch mal Horrorvisionen von Pflegebedürftigkeit und Altersheim ganz am Ende des Horizonts aufflackern. Aber die werden bei mir – Gott sei Dank! – von den strahlenden Auftritten meiner 95-jährigen Oma entschärft, die bis vor Kurzem noch täglich ausritt. Und von den Berichten meiner Freundin Wiebke, die die unternehmungslustigste Mutter von uns allen hat. Die knapp 65-Jährige rief kürzlich aus Afrika an und gab euphorisch durch: „Ich komme noch nicht zurück, ich mache den zweiten Teil der Expedition auch noch mit.“ Wiebke konnte nicht anders und schickte zahlreiche Ratschläge hinterher von „Überanstreng dich nicht!“ bis „Bleib immer in der Nähe des Reiseleiters!“

Was wir an Ihnen lieben:

MUTTIVIERENDES… … à la „Das schaffst du schon!“ oder „Du bist doch die Beste!“. Auch wenn unser Selbstbewusstsein im Keller und die Lage alles andere als Erfolg versprechend ist – Mamas unerschütterlicher Glaube an uns hilft immer (weiter)!

OHNE JEDES ABER Sie würden uns, ohne zu zögern, eine Niere spenden und uns schlimmstenfalls auch täglich im Knast besuchen. Bedingungslosere Liebe gibt es nicht.

IHRE ZAUBERKRAFT Niemand sonst auf der Welt beherrscht den Zaubertrick, mit einem Handstreicheln (Mama) oder einem Drücker an den dicken Bauch (Papa) alles wieder gutzumachen.

VERWÖHNSONNTAGE Mamas Lammbraten und dazu Papas bester Tropfen – dafür fahren wir auch Hunderte von Kilometern!

Und weil ihr das ebenso peinlich ist wie mir, wenn ich mal wieder nicht aufhören kann, meine Mama in Mutti-Manier zu belehren, kamen wir neulich bei einer Flasche Prosecco zu dem Schluss: Unsere Eltern haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 81 Jahren – und bis dahin lassen wir sie erst mal in Würde ausflippen!

Was uns an ihnen nervt:

TIPPS, DIE KEINE SIND „Zieh dich warm an!“ oder „Du solltest mehr essen!“ – elterliche Ratschläge wie diese haben uns schon mit 15 nicht wirklich weitergebracht, mit 35 bringen sie uns nur noch auf die Palme.

IHRE FAMILIENPLANUNG Egal, ob Papa den „Och, ein Enkelkind wäre schon schön“-Satz bringt oder Mama andeutet, dass sie mit unserer Partnerwahl nicht einverstanden ist – unsere Zukunft möchten wir selbst in die Hand nehmen!

UNNÖTIGE EXISTENZSORGEN Jaja, Krisen gibt es immer wieder. Trotzdem möchten wir keine Spartipps bekommen und nicht bei jeder neuen Klamotte einen vorwurfsvollen Blick ernten.


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