
Es gibt bestimmte Kombinationen, die streicheln meine Seele. Sex, wenn ich richtig liebe, ist so eine. Der Beifall nach einer guten Powerpoint-Präsentation. Oder ein Aperol Spritz, wenn nach einem warmen Tag die Sonne hinter dem Hausdach gegenüber versinkt und Caro von nebenan zum Quatschen kommt und mit mir auf dem Balkon in der Hängematte liegt. Gleich morgen früh geht das Leben weiter. Wenn es hart wird, tröstet abends der Merlot. Ist alles gut, begieße ich das schon nachmittags mit Martini. Man muss die Partys feiern, wie sie fallen, und so jung kommen wir nicht wieder zusammen! Und das Problem von Jenny Elvers-Elbertzhagen?

Nein, das hat Jenny Elvers, wir doch nicht. Jede zweite Frau trinkt laut unserer aktuellen PETRA-Umfrage viermal in der Woche und öfter. Weil Montag das Lemon-Mix-Bierchen zum Grillen so super schmeckte. Dienstag, weil dieser neue Deko-Laden eröffnete und es dort mittags Crémant gab. Mittwoch, weil Marie ihren Geburtstag feierte. Und Donnerstag? Ach ja, der Steinbeißer mit Jan in dem kleinen Restaurant am Hafen. Ja, soll man Bionade dazu bestellen? Dann kann man seinen Genuss-IQ auch gleich beerdigen. Tja, und am Wochenende fühlte sich der Averna in der Bar fast noch besser an als der Sonntagabend-Tatort-Rosé mit Schatzi auf der Couch. Oder war es umgekehrt? Das nüchterne Resultat all dieser "ach so guten" Augenblicke: Jede Vierte von uns trinkt "riskant". Sprich, wir sehen gelinde darüber hinweg, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Sachen Alkohol empfiehlt, bzw. wir kennen die Zahlen gar nicht. Die WHO gesteht uns Frauen bis zu 20 Gramm Alkohol an vier bis fünf Tagen in der Woche zu. Klingt viel, heißt aber in Gläsern: 0,1 Liter Wein oder 0,2 Liter Bier pro Tag. Da geht uns das "Cheers" schon nicht mehr ganz so leicht über die Lippen.
Karrierefrauen zwischen 30 und 50 sind besonders gefährdet
Die neuen Risikofrauen sind nicht nur ramponierte Alkoholikerinnen oder gelangweilte Vormittags-Prosecco-Vollzeit-Gattinnen. Wir alle könnten es sein. "Gerade Frauen zwischen 30 und 50 mit akademischem Abschluss und tougher Karriere gehören zu den Gefährdeten", sagt Mechthild Dyckmans, die Suchtbeauftragte der Bundesregierung. Warum? Weil diese Frauen sich zwischen Job und Freunden, Liebe und Familie, eigenen und fremden Ansprüchen aufreiben und eine Abkürzung zur Entspannung suchen. Der Alkohol macht es sich in unserem Leben gemütlich, weil er genau das zu bieten scheint. Er hilft uns als Feierabend-Drink schneller runterzukommen. Oder lässt uns nach einer stressigen Woche auch spätabends noch gut drauf sein.

Und wie gesagt, wir glauben ja felsenfest, wir hätten die Sache im Griff. Am nächsten Morgen sieht’s uns nicht mal einer an. Außer vielleicht am Erröten, weil wir versehentlich mit dem Azubi geknutscht haben und der jetzt komische Bemerkungen macht. "Ja, Frauen können ihre Alkohol-Sünden besser tarnen als Männer", sagt Autorin Diana Beate Hellmann ("Leben ohne Alkohol", Bastei Lübbe, 8,99 Euro). Vollkommene Enthaltsamkeit, ein Nonnenleben mit Weihwein auf dem Altar – der heute ja auch nur noch aus Traubensaft besteht –, so braucht uns keiner zu kommen. Wir sind groß und finden schon das richtige Maß. Diana Beate Hellmann: "Es liegt in der Natur der meisten Frauen, Probleme nicht beseitigen zu wollen – also ganz mit dem Trinken aufzuhören. Sie wollen die Dinge in den Griff bekommen. Heißt in dem Fall, Frauen wollen ihr Trinkverhalten selbst kontrollieren." Richtig, denn schließlich kann keiner ernsthaft von uns erwarten, dass wir uns vom nächsten Kneipen-Flirt eine Rhabarber-Schorle spendieren lassen. Oder uns auf Partys wieder gezuckertem Vanilletee zuwenden, wie mit 14. Dafür wird aber Kette geraucht, um all unseren trinkfreudigen Freunden zu dokumentieren: "Nein, ich bin NICHT schwanger."

Wer jetzt im Geiste seine Gläser mitgezählt hat, fragt sich natürlich: Wo genau ist denn die Grenze zwischen Spaß und Sucht? Wann kann man einfach wieder aufhören? Und wann sollte man sich doch mal zu einer Selbsthilfegruppe in den Kreis setzen? "Das eine Glas Wein, auch an vier Abenden in der Woche, ist vom Suchtaspekt her noch nicht bedenklich", sagt Diana Beate Hellmann, die nach jahrelanger Alkoholabhängigkeit in der berühmten Betty Ford Klinik entzog und heute in Los Angeles vollkommen ohne Alkohol lebt. Sie weiß, wovon sie spricht, wenn sie sagt: "Kritisch wird’s beim allabendlichen zweiten und dritten Nachschenken. Oder wenn wir feststellen, dass wir zu Höherprozentigem greifen." Wir statt Wein Whiskey trinken oder statt Bier plötzlich Baileys. "Eine Frau, die viermal in der Woche eine ganze Flasche Wein oder viel Hochprozentiges trinkt, wird sich bei dem Versuch aufzuhören, nicht wohl fühlen", sagt Diana Beate Hellmann. Und es wahrscheinlich auch nicht ohne Hilfe schaffen. "Weil sie den Alkohol braucht. Nicht ihr Körper, sondern ihr Kopf. Trinken ist das Mittel, um Konflikte zu bewältigen, Ängste einzudämmen, sich zur Ruhe zu bringen, Freude zu feiern, Schmerz zu ertränken... Die Liste ließe sich endlos fortsetzen", so die Autorin.

Und schon klappt nicht mehr, was 66 Prozent der Frauen in der PETRA-Umfrage von sich behaupten: nämlich, dass sie ganz auf Alkohol verzichten könnten. Gleich morgen, wenn sie es nur wollten. Das flüstert der Alkohol uns übrigens auch immer ins Ohr: "Ich bin nur eine Angewohnheit, die du wieder ablegen kannst." Aber wenn wir es nicht schaffen? Dann flüstert der Alkohol: "Jetzt geht es halt gerade nicht. Später vielleicht, morgen. Oder nächsten Monat." Und wir trinken weiter. Das Dumme ist eben auch, dass wir uns mit ein paar Drinks die Woche so gut fühlen, dass wir gar kein Suchtbewusstsein entwickeln. 78 Prozent der Frauen sagen in der aktuellen PETRA-Umfrage, sie hätten noch nie das Gefühl gehabt, dass sie zu viel tränken. Nicht einmal bei mehr als vier Gelegenheiten in der Woche. Warum auch? War nicht früher alles noch schlimmer? Leben wir nicht ohnehin wie die Musterschülerinnen mit Riester-Renten-Vertrag ab 25 und einem Bio-Bewusstsein, das Tütensuppen-Hersteller verzweifeln lässt? Die Generation unserer Freie-Liebe-Eltern qualmte uns in Kleinstwagen zu, andere kifften ganze Felder kahl und besitzen heute trotzdem Eigenheime auf 800-Quadratmeter-Grundstücken mit verkehrsberuhigter Straße vor dem Gartentor. Warum sollte so ein kleiner Crémant am Tag unserem Lebensglück im Wege stehen? Tut er nicht, solange wir uns selbst nicht dabei ertappen, dass wir an ganz normalen Tagen ab 14 Uhr schon an Wein denken. Oder abends bei der Tankstelle rumfahren, weil uns mulmig wird bei dem Gedanken, dass kein Alkohol mehr im Haus ist.

Das Trinken drosseln, das raten fast alle Suchtberater, wenn uns Frauen so ein seltsames Gefühl umtreibt, es könnte an guten wie an schlechten Tagen doch zu viel Alkohol sein. Diesen Deal unterschreibe ich: Ich werde mir diesen Sommer beweisen, dass ich selbst mir wichtiger bin als der Schwips. Ich freue mich schon darauf, höchstens einmal in der Woche mit einem wirklich guten Glas Aperol Spritz die Sonne versinken zu lassen. Und danach Limo einzuschenken. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie komisch sich alle benehmen, wenn man selbst nichts trinkt? Wie viele verrückte Abende werde ich erleben, an die ich mich am nächsten Morgen noch im Detail erinnern kann? Wie viele krude Geheimnisse meiner Freunde werde ich erfahren und nicht gleich wieder vergessen? Sollte ich mich neu verlieben, werde ich sofort merken, ob wir wirklich auf einer Wellenlänge senden oder nur der Wein uns auf die gleiche Umlaufbahn geschickt hat. Und hey, wie großartig werde ich aussehen! Wenig trinken ist super für die Haut und für die Figur. Von der Anziehungskraft will ich gar nicht reden. Oder kennen Sie auch nur eine Frau, die mit Dusel in der Birne heißer ist als ohne? Also mir fallen da nur tragische Figuren ein...