Mutti ist die Beste, oder?

Mutti ist die Beste, oder?

Sie hat uns aufgezogen, angezogen und erzogen, ist Vorbild und Feindbild in einem – die Mutter. PETRA-Autorin Ellen Mangold über eine schwierige Beziehung. Und fünf Frauen über das große und das kleine Drama mit Mama – und wie man sich trotzdem weiter lieb hat.

Mütter ziwschen Haushalt, Kind und Karriere© Illustration: Katrin Rodegast, Fotos: Ben Fuchs
Mütter ziwschen Haushalt, Kind und Karriere

Trägt man das jetzt so?“ Mama steht in der Haustür mit ihrem Boutiquen-Blick und mustert die neue pinkfarbene Hose. Wahrscheinlich folgt gleich ein Kommentar darüber, ob man in letzter Zeit ein bisschen zu viele Butterbrote gefuttert hätte. Und um das Maß voll zu machen, der vorwurfsvolle Zusatz, dass man sich ja seeeehr lange nicht gemeldet hätte. Ja, zwei Tage, um präzise zu sein. Dann schließt man entweder innerlich die Augen und zählt bis zehn oder gibt eine pampige Antwort, die nur dazu führt, dass Mama schmollt. Sie wolle ja schließlich nur das Beste für ihr Kind. Fragt sich nur, was das Beste ist. Und wie es sein kann, dass man sich als gestandene Frau, die doch sonst im Leben alles perfekt im Griff hat, von seiner Mutter freiwillig diskriminieren lässt. Wieso scheint unser Wort bei ihr weniger Gewicht zu haben als sonst irgendwo auf dieser Welt? Warum lässt man sich von ihr Dinge ins Gesicht sagen, die man seinen Freunden nie durchgehen ließe? Und wie, verdammt noch mal, schafft sie es, uns in Sekundenschnelle in eine brüllende Vierjährige zu verwandeln? Fakt ist: Im Mutter-Tochter-Twist gibt es keine einfachen Antworten, hier regieren die Extreme. Niemand war uns je näher, niemand verletzt uns effektiver – und an niemandem hängen wir mehr als an unserer Mutter.

Nur wenige Töchter haben ein enges und ungetrübtes Verhältnis zu der Frau, die uns unter Schmerzen auf die Welt gebracht hat, wie es so schön heißt. Die Verbindung ist komplex, belastet durch zu hohe Erwartungen und oftmals auch geprägt von der Wut über die eigene Schwäche, immer wieder unsouverän auf typische Mama-Bemerkungen zu reagieren. Dazu kommen Schuldzuweisungen: Julia Onken, Psychologin und Autorin des Buches „Rabentöchter – Warum ich meine Mutter trotzdem liebe“ (siehe Seite 117), sagt dazu: „Töchter haben das Gefühl, sie müssten sich mehr um die Mutter kümmern – und Mütter haben Töchtern gegenüber Schuldgefühle, weil sie denken, etwas falsch gemacht zu haben.“ Psychologen bezeichnen die Verbindung als Mutter aller Beziehungen, Töchter beißen sich an ihr die Zähne aus.

Die einen kämpfen um Liebe, die anderen um Anerkennung

Dabei sind die Probleme so vielfältig wie die Menschen selbst: Die einen Töchter kämpfen um Liebe und Anerkennung, die anderen um Freiheit und Selbstbestimmung – und der Rest um alles zusammen. Dabei schien am Anfang alles so einfach. Mama, das war die erste große Liebe, das wärmste Gefühl und die wohligste Nähe, eine duftige Federdecke aus Geborgenheit und Sicherheit. Als kleines Mädchen will man so aussehen wie sie, malt sich mit ihren Lippenstiften an, stellt seine kleinen Füße in die großen Schuhe mit den Absätzen und ruckelt darin zum Regal hinüber, um an ihren Parfum-Flakons zu schnüffeln. Was Weiblichkeit bedeutet, lernen wir von ihr. Sie ist das erste Vorbild, an dem wir uns orientieren. Wir bauen ihr einen Sockel aus Kochtöpfen mit warmem Vanillepudding, Lockenwicklern und Seidenschals. Und wie es mit Vorbildern auf Sockeln so ist – irgendwann fallen sie doch. Entweder kickt man sie selber herunter, oder sie fallen von selbst um. Kaum ein Moment ist bitterer als der, in dem wir erkennnen, dass Papa nicht allwissend, sondern rechthaberisch ist, und dass Mama nicht die schönste Frau der Welt ist, sondern der Mensch, der uns die Cellulite vererbte.

Das ist vielleicht der Augenblick, in dem wir beschließen, niemals so zu werden wie sie. „Matrophobie“ bezeichnet die Furcht, der Mutter zu ähnlich zu werden. Wenn der Partner plötzlich sagt „Du redest schon wie deine Mutter“, bekommen wir es mit der Angst zu tun. Wie lange haben wir dafür gekämpft, wir selbst zu sein. Unsere Mutter ist doch der Gegenentwurf, aus dem wir uns geschaffen haben! Dass man gleichzeitig ein schlechtes Gewissen bekommt, weil man die Mutter ja lieben und ehren soll, macht es nicht besser. Julia Onken erklärt diesen Konflikt so: „Mütter leisten zwar wahnsinnig viel – besonders wenn sie berufstätig sind –, aber die gesellschaftliche Anerkennung bleibt auf der Strecke.

Töchter erleben, dass die Rolle der Mutter durch mangelnde Wertschätzung geprägt ist – und lehnen sie für sich ab.“ Anders gesagt: Als Kind beobachten wir eine sich abmühende Person, der niemand dankt. So werden wie sie? Niemals. Und schon ist der Gedanke geboren, alles viel besser zu machen als sie – und vor allem ganz anders zu werden und zu sein. Dazu machen sich die Mütter bis heute das Leben selber schwer, weil sie wiederum am Muttermythos verzweifeln, der nach wie vor durch die Gesellschaft wabert: Selbstlos soll eine Mama sein, fürsorglich, gefühlvoll und gleich - zeitig stark, kurz gesagt: übermenschlich. Kein Wunder, dass sich jede Mutter irgendwann unzulänglich vorkommt und jede Tochter enttäuscht werden muss.

Dieses fragile Gefühlsgebilde wird in dem Moment noch einmal auf die Probe gestellt, wenn die Eltern aus dem Berufsleben ausscheiden und man selbst eine Familie gründet. Spätestens dann fokussiert sich Mama auf den Menschen, mit dem sie die wichtigste Zeit verbracht hat und mit dem sie die engste Verbundenheit empfindet – auf uns. Dazu kommen noch ein paar gut gemeinte Ratschläge von Omi in Sachen Kindererziehung – und schon flammen alte Konflikte auf, von denen man eigentlich dachte, die hätte man schon in der Pubertät geklärt. Pustekuchen, da sind sie wieder. Dazu wird Mutti mit den Jahren ein wenig wunderlich. Erst erzählt sie länglich von einer Renate Lindemann, die man noch nie im Leben gesehen hat, dann fügt sie noch einen ausführlichen Bericht über das gestrige Mittagessen hinzu („Der Spargel aus Peru war wirklich köstlich.“). Hilfe, wie soll das erst in 20 Jahren werden?

Mütter und Töchter sind selten ehrlich miteinander

Ja, schwierig. Doch anstatt sich darüber aufzuregen, wie unmöglich sie sich benimmt, sollte man sich überlegen, wie man dauerhaft schwelende Streitigkeiten löst. Dazu gehört erstens, sich an die eigene Nase zu fassen und sich zu über - legen, wie bequem man es sich in der Opferrolle gemacht hat. Onken rät zudem: „Das Erste, was Töchter tun müssen, ist, Mütter innerlich zu rehabilitieren und die Rolle der Mutter von der Person trennen.“ Warum wollte man nie so sein wie sie? Wie schwer hatte sie es wirklich? Hat man sie jemals danach gefragt? Nein, hat man nicht. Anstatt ihr mal wieder eine direkte Frage zu stellen, ist jedes Zusammentreffen und jedes Telefonat von den üblichen Familienritualen geprägt. Mütter und Töchter sind selten ehrlich miteinander. Zum einen, weil Ehrlichkeit unbequem ist, zum anderen, weil es schmerzhaft werden könnte. Wer will schon wissen, wie es wirklich damals für sie war? Wie knapp das Geld, wie hoch der eigene Anspruch und wie schwierig die Grätsche zwischen Job, Mann und Kind. Und doch: Vielleicht sollte man mal nachfragen – und zuhören! Dem Menschen von einst, nicht der Mutter, die doch eigentlich perfekt sein sollte, es aber eben nicht war.

Und vielleicht kommen dann noch ganz andere schöne Schätze und indirekte Liebeserklärungen zutage, die wir längst vergessen hatten: Wie man bei Albträumen zu ihr ins Bett krabbelte. Wie man mit ihr zusammen lernte, Fahrrad zu fahren. Wie sie uns zuliebe endlos „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spielte, obwohl sie es eigentlich nicht mehr ertragen konnte. Das Gefühl, auf der Rückbank des Autos zu sitzen und aus dem Fenster in den Regen zu schauen. Wie sie dann ein ziemlich leckeres Käsebrot nach hinten reichte – genau in dem Moment, wo der Magen anfing zu knurren. Und das alles zusammen – das Käsebrot, die Wärme unter der Bettdecke, diese merkwürdige Frau, die es nur gut meinte, die Distanz, aus der man sie noch einmal neu betrachten könnte –, das alles zusammen könnte doch dazu führen, dass man im Herzen weiß, dass man diesen Menschen irgendwie lieb hat. Und vielleicht sollte man auch nicht vergessen, dass man selbst in ferner Zukunft in einem Sessel sitzt und sich ganz feste darauf freut, seiner allerliebsten Tochter vom Mittagessen gestern zu erzählen. Es gab Spargel aus Peru, und er war wirklich köstlich.

Anke Girod ist Coach in Hamburg und spezialisiert auf die Themen Beziehungen, Neuorientierung in Familien und im Bereich Schule. Mehr Information: www.coachingteamhamburg.de

Susanne, 38: „Sie bevorzugt meinen Bruder und das tut verdammt weh.“

„Als ich geboren wurde, waren meine Eltern mit dem Hausbau beschäftigt, ich lief so nebenbei mit. Ganz anders bei meinem Bruder Marko, der fünf Jahre später auf die Welt kam. Er stand sofort im Mittelpunkt: der Kronprinz, dem die Familie zu Füßen lag. Er konnte noch so viel Mist bauen, meine Eltern ließen ihm alles durchgehen. Ich dagegen brachte die besten Noten nach Hause und hörte immer nur: ‚Von dir erwarten wir auch nichts anderes.‘ Ich fühlte mich ungeliebt und wurde immer depressiver. Mit Mitte 20 zog ich in eine andere Stadt, machte eine Therapie und brach den Kontakt zu meiner Familie ab. Vor zwei Jahren dann meldete sich meine Mutter, weil mein Vater im Sterben lag. Ich konnte ihn vor seinem Tod noch zweimal sehen, aber es kam zu keiner Aussprache. In dieser Zeit bin ich meiner Mutter wieder nähergekommen. Bis ich erfuhr, dass mein Bruder richtig viel Geld erbt, während ich mit dem Pflichtteil abgespeist werde – der Letzte Wille meines Vaters. ‚Der Marko macht sich doch gerade selbständig‘, erklärte meine Mutter, ‚der kann das Geld ja nun wirklich gut gebrauchen.‘ Ich liebe meine Mutter, aber diese Ungerechtigkeit ist für mich nicht erträglich.“

Coach Anke Girod schätzt ein:

„Nicht ungewöhnlich für erstgeborene Mädchen: Sie stecken schon als Kinder oft zurück, der Kleine ist der Kronsohn, die große Schwester muss funktionieren. Der Weg aus dem Drama: Nach der Funkstille versuchen es Mutter und Tochter wieder miteinander, doch die alten Verletzungen sind noch da. Sie sollten auch offen ausgesprochen werden. Vielleicht ist der Zugang zur jetzt alleinstehenden Mutter sogar leichter. Ganz wichtig: Als erwachsene Kinder sind wir nicht mehr in der Opferrolle. Wir sind selbst Gestalter von Gesprächen und Beziehungen. Und diese Chance sollten wir nutzen.“

Cornelia, 36: „Länger als zwei Stunden kann ich mit meiner Mutter nicht zusammen sein.“

„Es sind diese ständigen kleinen Kommentare, die mich rasend machen: ‚Rund bist du geworden, Kind‘, ‚Du arbeitest zu viel, wie willst du da je einen Mann finden‘, sagt sie zum Beispiel. Und schiebt gleich hinterher: ‚Das gab es so bei mir nicht.‘ Die Vergangenheit sieht meine Mutter vollkommen verblendet. Sie weiß nicht mehr, dass bei uns zu Hause früher dauernd der Fernseher lief und sie mich davor abgesetzt hat und selbst mit meinem Vater in der Küche saß und rauchte. Klar besuche ich sie, aber ehrlich gesagt: Die Stunden mit ihr kosten mich immer wahnsinnige Beherrschung. Länger als einen Nachmittag schaffe ich das nicht.“

Coach Anke Girod sieht das so:

„Viele Mütter lösen sich nie ganz aus der Eltern-Kind-Rolle. Das Kind bleibt Kind, egal wie alt es wird. Diese Art Mütter macht sich nie klar, dass sie jetzt eine erwachsene Frau kränken. Der Weg aus dem Drama: Sprechen Sie die Mutter an. Sanft und zugewandt, am besten in Sandwich-Struktur. Wie das geht? Schicken Sie eine positve Botschaft vorweg: ‚Schön, bei dir zu sein.‘ Sprechen dann das Problem an: Reden Sie von sich und ohne Vorwürfe: ‚Ich denke selber so oft über mein Gewicht nach, es verletzt mich, wenn du so hart bist.‘ Beschließen Sie das Gespräch positiv: ‚Andere Dinge verstehst du, ohne dass ich viel sagen muss, dann fühle ich mich pudelwohl mit dir.‘ Gestalten Sie die Gespräche mit. Klammern Sie die Themen aus, die Ihnen wehtun könnten.“

Anna, 34: „Sie sieht in Allem, was ich tue, ihr verpfuschtes Leben.“

„Ich bin ein Mutterkind. Schon immer gewesen. Als ich mich mit 15 Jahren das erste Mal verliebt habe, konnte ich mit meiner Mutter bis tief in die Nacht über diesen Jungen quatschen. Ich hing an ihren Lippen, was sie sagte, habe ich dann auch so gemacht. Wir waren ein bisschen wie das doppelte Lottchen. Nicht optisch, aber seelisch. Mit der Trennung meiner Eltern veränderte sich unsere Beziehung das erste Mal. Anstatt auszugehen und Spaß mit meinen Freunden zu haben, blieb ich lieber zu Hause, um für meine Mutter da zu sein. Ich spürte, wie sehr sie meine Nähe genoss. Und ich genoss ihre Anerkennung. Irgendwie interessierte mich immer nur die Antwort auf die Frage: ‚Mami, bist du stolz auf mich?‘ Ja sagte sie nie, immer nur: ‚Mach bloß nicht die gleichen Fehler wie ich.‘ Ich sollte immer unabhängig von einem Mann bleiben und mein eigenes Geld verdienen. Alles das, was sie nie getan hatte. Dann lernte ich den Mann meines Lebens kennen. Sie fand Andreas von Anfang an arrogant und respektlos. Andauernd verglich sie uns mit ihrer eigenen gescheiterten Liebe. Obwohl die Beziehung nicht leicht war, blieb ich mit Andreas zusammen und zog seiner Karriere wegen in eine andere Stadt. Das Verhältnis zu meiner Mutter wurde immer schlechter und jedes Telefonat endete mit Vorwürfen. Ihr größter Albtraum: diesen Mann zum Schwiegersohn zu bekommen. Ihr Aufatmen muss ganz Deutschland gehört haben, als ich mich nach sieben Jahren von ihm trennte. Ihr Kommentar: ‚Ich habe es dir doch gesagt. Der war nicht gut für dich! Sei froh, dass du ihn los bist.‘Mir ging es natürlich schlecht. Aber statt nun für mich da zu sein, steckte sie weiterhin in den Erinnerungen ihrer zerstörten Träume und Wünsche und projizierte all ihr Scheitern auf mich. Bis heute konnten wir die vertraute Nähe von damals nicht wiederfinden.“

Der Coach rät:

„Manchmal rutschen Mütter da hinein – in eine symbiotische Verschmelzung mit der Tochter. Das Kind wird das verlängerte Selbst. Der Weg aus dem Drama: Die Tochter muss sich abgrenzen, auch wenn das wehtut. Mehr Distanz wird für beide heilsam sein. Genau wie klare Worte: ‚Mama, du sprichst von dir. Ich sehe die Sache anders. Mein Leben zu beurteilen steht nur mir zu‘ könnten Schlüsselsätze sein. Die Mutter wird wahrscheinlich traurig, wütend oder trotzig reagieren. Das sollte die Tochter nicht verunsichern, sondern bestätigen. Es zeigt nämlich: Hier beginnt ein Entwicklungsprozess. Negative Gefühle gehören dazu, sie zeigen, dass sich etwas bewegt.“

Ina, 33: „Für alles hat sie energie - nur für mich nicht!“

„Ich fand schon immer, dass ich bei meiner Mutter irgendwie zu kurz komme. Als ich noch daheim wohnte, hatte sie wenig Zeit für mich. Sie war ein richtiger Workaholic. Später bin ich ausgezogen und hoffte, dass wir uns auf Distanz besser verstehen, was auch einigermaßen klappte – bis mein Bruder seine spätere Frau in die Familie brachte. Eigentlich hatte ich mich ja damit abgefunden, dass meine Mama nicht so der fürsorgliche Typ ist. Eigentlich, bis ich sah, wie liebevoll sie meine Schwägerin umsorgte. Plötzlich konnte sie all das, was ich immer vermisst hatte: für sie da sein, wenn sie Streit mit einer Freundin hatte, sie bekochen, mit ihr in der Küche hocken und stundenlang reden. Und als meine Schwägerin dann ein Baby bekam, verwandelte sie sich in eine Super-Omi. Sie tat einfach alles für dieses Kind! Jetzt, zehn Jahre später, habe auch ich meine eigene Familie und stelle schmerzlich fest, dass ich mit meinen Befürchtungen recht hatte. Meine Mutter hat so viel Energie in ihr erstes Enkelkind und in ihre Schwiegertochter gesteckt, dass sie nun, wo ich sie auch bräuchte, wieder nicht für mich da ist. Als ich sie damit konfrontierte, reagierte sie nur pampig: ‚Ich habe zwei Kinder großgezogen und dazu immer gearbeitet, jetzt brauche ich auch mal meinen Frieden!‘ Was mich am meisten verletzt, ist nicht unbedingt, dass sie mich so wenig versteht und unterstützt. Vielmehr fühle ich mich als Tochter zurückgewiesen, denn dass sie Mutterqualitäten hat, hat sie ja mittlerweile bewiesen – nur leider nie an mir.“

Coach Anke Girod rät:

„Haben Sie schon mal versucht, in den Schuhen Ihrer Mutter zu laufen? Sich klarzumachen, mit welchem Typ Frau Sie es zu tun haben? Ja, sie ist in jedem Fall ein Workaholic. Aber auch ein Näheflüchter. Jemand, der vielleicht die Nähe zu allen anderen besser aushält als die zur eigenen Tochter. Warum? Das weiß wohl nur sie selbst. Weg aus dem Drama: Sich klarmachen, dass das Problem nicht darin liegt, dass man als Tochter nicht ‚liebenswert‘ wäre, sondern in den Fähigkeiten der Mutter. Das macht gnädiger. Menschen sind von Natur aus unperfekt und die eigene Mutter ist es eben auch. Und: Schauen Sie sich bewusst in Ihrem Freundeskreis um. Vielleicht gibt es da ja jemanden, der Sie „mütterlich“ umsorgt und Ihnen so die Art von Nähe und Unterstützung 4 gibt, die Sie an Mama so vermissen.“

Manja, 38: „Meine Mutter wollte nie Mutter sein“

„Ich war ein Unfall, einfach so passiert. Meine Eltern heirateten. Aber meine Mutter wollte immer was anderes vom Leben, als nur Ehefrau und meine Mutter sein. Alle meine Schulfreunde sollten Petra zu ihr sagen, und ich erlebte sie eigentlich nur vor dem Schminkspiegel und sah sie ausgehen. Wärme, kuscheln, Liebe – das war immer lästig, Zeitverschwendung. Als ich zehn war, kam sie aus dem Urlaub einfach nicht wieder mit nach Hause. Sie hatte sich verliebt, blieb bei einem Restaurantbesitzer auf Kreta, ließ sich von meinem Vater scheiden und heiratete den Griechen. Heute lebt sie wieder in Deutschland. Sie ist ein zweites Mal geschieden und allein. Jetzt wäre sie gerne meine Freundin, so ganz lässig mit shoppen und ausgehen. Aber ich kann das nicht. Sie war emotional nie meine Mutter, und sie will bis heute nicht meine Mutter sein. Ich habe aufgehört, nach ihrer warmen Seite zu suchen, und den Kontakt abgebrochen. Meine Erwartungen laufen eh nur ins Leere ...“

Coach Anke Girod schätzt ein:

„Wer sich von der Mutter nicht gewünscht fühlt, arbeitet ein Leben lang: an Bindungsfähigkeit, Selbstwertgefühl, der inneren Balance. Die zu erreichen ist schwer genug und steht weit über den möglichen Gefühlen und Verletzungen der Mutter. Weg aus dem Drama: Losgelöst vom Elternhaus heißt es, sein eigenes stabiles inneres Gerüst zu bauen. Freunde, der Partner und sicher auch ein Therapeut sind gute Stützen. Wenn man den Kontakt zur Mutter abbricht, geht das in Ordnung. Hier muss eine Tochter nichts tun, damit es der Mutter gut geht. Sie muss vor allem auf sich selbst aufpassen. Und wenn sie wieder stabil im Leben steht, gelingt ihr irgendwann vielleicht eins: der Mutter zu verzeihen.“

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