
Geben wir es zu, wir lieben Zucker. In Form von Schokolade, Keksen, Lolli oder Eis, gerne morgens im Kaffee, dringend nachmittags und abends sowieso. Dumm nur: Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, höchstens 50 Gramm Zucker pro Tag zu sich zu nehmen. Im Schnitt essen wir aber rund 115 Gramm täglich, also rund 38 Stück Würfelzucker. Ein beeindruckender Haufen aus weißen Würfeln, der so natürlich nicht vor uns auf dem Teller liegt. Meistens wird uns der Zucker von der Industrie in Lebensmitteln untergejubelt, denn er bringt auf preiswerte Art mehr Geschmack ins Produkt. In einem Becher Joghurt stecken sechs Stück Zucker, 300 Gramm Ketchup enthalten fast 70 Gramm. Sogar Leberwurst enthält drei Stück pro 250 Gramm, und das liegt bestimmt nicht daran, dass das Schwein immer nur belgische Pralinen zu fressen bekommen hat. Damit Sie nicht gleich Zwischenraumkaries bekommen, wenn Sie im Supermarkt die Zutatenlisten durchlesen, bekommt der Zucker schön komplizierte Namen. Er versteckt sich gern als Glukose und Glukosesirup (Traubenzucker), Fruktose (Fruchtzucker), Laktose und Galaktose (beides Milchzucker) und Maltose (Malzzucker): unterschiedlich zusammengesteckte Moleküle, trotzdem Zucker. Hinzu kommen die Lebensmittel, von denen wir alle genau wissen, dass Zucker drin ist, vor allem Schokolade, kleine bunte Tiere aus Gelatine und Eiscreme.

Haben Sie mal erlebt, wie Kollegen im Büro sich zu ihnen umdrehen, wenn Sie mit einer Bonbontüte knistern? Zucker ist ein Kohlenhydrat, das unser Körper besonders gut verwerten kann, unser Gehirn ist darauf programmiert, fast wie bei einer Sucht. Zucker spricht im Gehirn diejenigen Bereiche an, die auch auf Alkohol und andere Drogen reagieren, und manchmal kann es gar nicht genug sein. Wissenschaftler der Universität Heidelberg haben mit bildgebenden Verfahren die Gehirne von übergewichtigen Menschen betrachtet, die sich Lebensmittel anschauten: Sie reagierten umso stärker, je süßer die Produkte waren. Eiscreme war ein Hit, daneben hatten Äpfel nicht viel zu melden. Angelegt ist das in uns allen, denn der Genuss von Süßigkeiten setzt im Gehirn sogenanntes Dopamin frei, einen Botenstoff, der entspannt und glücklich macht. „Die Vorliebe für Süßes wird nicht erlernt, sie ist in unseren Genen und in unserem Gehirn verankert“, sagt Anna Cavelius. Die Wissenschaftsjournalistin hat mit anderen Medizinern das Buch „Zucker – Der heimliche Killer“ geschrieben (Gräfe und Unzer, 192 S., 19,99 Euro). „In Urzeiten, als Menschen ihre Nahrung sammeln oder jagen mussten, waren süße Lebensmittel wie Beeren der ideale Energiekick. Ihr Fruchtzucker brachte viel Energie, die sofort aufgenommen wurde – es war ein Überlebensvorteil, solche Nahrung zu lieben und sie oft zu essen.“ Zucker können die Zellen viel schneller verwerten als Eiweiß oder Fett. Nicht ohne Grund hat das Gehirn ein Auge auf die Energiezufuhr: Es macht nur zwei Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht aber 20 Prozent der gesamten Energie im Körper.
Äußerst unschön
100 Gramm Zucker enthalten gute 400 Kalorien, damit ist in Sachen „Figurformung“ wohl alles gesagt. Leider hat er auch noch ein paar andere gemeine Tricks auf Lager. Forscher der amerikanischen Harvard-Universität haben festgestellt, dass Krebszellen sich besonders gern von Zucker ernähren, und auch für Herz und Blutgefäße ist er gefährlich: Er wird von der Leber in Fett umgewandelt und wenn die Wand eines Blutgefäßes an einer Stelle porös ist, können Fettmoleküle sich dort festsetzen und das Gefäß verschließen. Solche Vorgänge geschehen langsam und unsichtbar, aber der Zucker hat auch sichtbare schädliche Wirkungen. Er ruft Entzündungsprozesse hervor und fördert so Hautunreinheiten, auch in tieferen Hautschichten richtet er Schaden an: Er verbindet sich mit Eiweißen zu neuen Molekülen, den „Advanced Glycation End Products“, abgekürzt AGE (englisch „Alter“). Mit dieser Abkürzung bewies die Wissenschaft gehörig Humor, denn die AGE-Moleküle beschleunigen das Altern, sie haften sich an Kollagen- und Elastin fasern, das sind Eiweißstrukturen, die unsere Haut stützen und straff wirken lassen. Durch die AGEs werden die Fasern starr und unelastisch, die Haut wird faltig und sinkt ein. Doch aus Bad und Küche naht Rettung: Pflegecremes mit Vitamin A, auch als Retinol bezeichnet, machen die Kollagenfasern auf Dauer wieder stabil, und grüner Tee kann verhindern, dass AGEs und elastische Fasern sich verbinden – die Haut bleibt länger fest.

Brauner Zucker hat ein gesünderes Image als weißer, das ist aber Quatsch: Er wurde nicht so gründlich gereinigt wie weißer Zucker, darum enthält er noch Zuckersirup, das ist alles. Mineralien stecken in beiden so gut wie gar nicht, anders als im Honig, der wenigstens Vitamin C, Kalium, Magnesium und Enzyme enthält – aber auch 80 Prozent Zucker und gute 300 Kalorien pro 100 Gramm. Auch andere natürliche Alternativen zum Zucker haben viele Kalorien, ob Ahornsirup (250 Kalorien), Apfeldicksaft (326) oder Agavendicksaft (287). Künstliche Süßstoffe wie Aspartam enthalten fast keine Kalorien, können aber dazu führen, dass das Gehirn sich betrogen fühlt, weil es nicht die Energie bekommt, die es sich von der Süße versprochen hat. Dann produziert es ein Hungergefühl, unterm Strich wird oft mehr gegessen als beim Süßen mit Zucker. Stevia, ein natürlicher Süßstoff aus den Blättern der südamerikanischen Stevia-Pflanze, enthält keine Kalorien und ist 300-mal süßer als Zucker, und wenn man von dem metallischen Beigeschmack absieht, ist Stevia tatsächlich ein hilfreicher Süßstoff – auch wenn er meistens nicht aus Pflanzen gewonnen, sondern im Labor nachgebaut wird. Nur: Auch kalorienfreie Süßstoffe machen unser Essen süß. Das Gehirn liebt zwar Zucker, aber den bildet der Körper auch aus anderen Kohlenhydraten, wie sie in Reis, Brot und Nudeln enthalten sind. Wer vom Zucker loskommen will, muss seinem Gehirn beibringen, dass es auch mit weniger süßem Geschmack geht. Mit Geduld und den richtigen Methoden klappt das. Aber unter uns: Ein Bonbon zwischendurch muss sein.
Lassen Sie es sich schmecken
Am liebsten inhalieren wir die Schokolade. Deswegen: Süßigkeiten nicht runterschlingen, sondern bewusst genießen, vielleicht mit geschlossenen Augen.
Selbst kochen
Fertiggerichte enthalten viel Zucker und trainieren unsere Gaumen auf künstlichen Geschmack. Die Lösung: Selber kochen, vielleicht mit Freunden. Sie müssen ja nicht gleich eigenhändig Pastateig durch die Nudelmaschine walzen – eine selbst angerührte Soße und frisches Gemüse sind ein guter Anfang.
Neue Snacks

Weichen Sie bei Heißhunger auf Trockenfrüchte aus, sie sind süß, enthalten aber viele Fasern – der Zucker gelangt langsam ins Blut, die Fasern quellen auf und machen satt. Versuchen Sie Schritt für Schritt, ob auch eine Kiwi die Lust auf Süßes stillt
Neue Belohnungen
Glückwunsch! Im Beruf etwas Tolles geleistet, beim Sport eine Bestmarke erreicht: Jetzt als Belohnung keinen Schokoriegel, sondern einen Strauß Blumen, einen Abend in der Sauna, eine richtig teure Tagescreme. Macht genauso viel Spaß, versprochen.
Ausschleichen
Es muss ja nicht gleich das ganz große Verbot sein: Nach und nach weniger Süßigkeiten essen, erst kleinere Portionen, dann längere Abstände zwischen den Naschereien. Der Geschmackssinn wird empfindlicher, bald reichen kleinere Mengen. Zeitraum: vier Wochen, lieber langsam und dafür dauerhaft.
Checkliste
Sie können mit der Lupe in den Supermarkt gehen, um das Kleingedruckte auf den Produkten zu lesen. Eine Alternative: die Internetseite ampelcheck.de