
Das Steak ist blutig und nicht medium. „Siehst du zufällig den Kellner?“ Es ist nur eine Frage, die mir die Frau gegenüber stellt. Sie gehört zu mir, und das Stück Rind auf ihrem Teller ist tatsächlich fast roh. Aber es geht gar nicht um Fleisch, sondern um Evolution, um Männer und Frauen, um Rollenverteilung. Und es geht darum, wer jetzt den Kellner rundmacht.

Meinen Mann stehen? Na klar!
Ich sollte das tun. Ich, der uns erst vor drei Stunden die Koffer in das Hotelzimmer trug, dessen zugesagter „Seaside Balkon“ lediglich den Blick auf einen ölfleckigen Parkplatz freigab. Ich, der auch unseren heimischen Hausmeister hätte klitzeklein falten sollen. Jenen Hausmeister, der zwei Tage lang nicht zu erreichen war, bevor wir aus einer völlig unterkühlten Wohnung in den Urlaub aufbrachen. Die Frau mir gegenüber hat ihm 48 Stunden auf die Mailbox geschimpft und ihm final mit einer Klage gedroht, sollte bei unserer Rückkehr nicht in allen Räumen subtropisches Klima herrschen. Ähnlich verfuhr sie am Nachmittag mit dem Reiseleiter, woraufhin unser Gepäck umgehend in eine Junior Suite mit Meerblick verfrachtet wurde.
Los, kneifen gilt nicht
Nun starre ich auf ein zu kurz gebratenes Filet, das mich vorwurfsvoll anschweigt. Könnte es sprechen, würde es vermutlich sagen, was alle am Tisch denken: Warum regelst du das nicht? Woher nimmst du das Recht, in der Nacht Stellungswechsel zu diktieren und auch tagsüber in der Beziehung gerne mal den Ton anzugeben, dann aber vor nachlässigen Dienstleistern zu verstummen? „Weichei!“ höre ich es bluttriefend zischen. „Chefwitzlacher!“ „Grillmit- Föhn-Erhitzer!“ Zum Glück spricht das Steak nicht. Was ist los mit mir? Warum schicke ich meine Frau an die Front, anstatt die Sache Bondmäßig zu klären? Ich könnte es mir einfach machen und zugeben, ein Feigling zu sein, der eben kneift, wenn offene Konfrontation gefragt ist.
Aber so ist es nicht. Ich bin schon ein Held. Aber im Kostüm eines zitternden Hasen. Und ich bin nicht allein, wie die Wissenschaft belegt. Laut einer Studie des Online- Portals parship.de meiden 68 Prozent aller Männer in festen Partnerschaften öffentliche Konflikte, was nahezu 100 Prozent aller betroffenen Frauen auf die Nerven geht.

Warmduscher statt Superheld
Dabei ist es keineswegs so, dass wir Jungs schlichtweg ein eingeschränktes Problembewusstsein hätten. Auch wir sehen morgens gerne auf den Ozean, bekommen unser Essen gerne so wie bestellt und lieben es, wenn die Heizung funktioniert – denn wir duschen gerne warm. Aber wir haben da so einige Probleme. Zum einen wäre da unsere Erziehung. Wir sind aufgewachsen in der männlichen Allmachtsfantasie, dass es kein Hindernis gibt, das wir für die Frau unseres Herzens nicht aus dem Weg räumen können. Mit Maske, Säbel und Superheldenumhang bewaffnet, haben wir seit frühester Kindheit imaginäre Drachen verjagt, Schurken zur Strecke gebracht und uns danach das Herz der dankbaren Prinzessin geschnappt. Leider gibt es relativ wenige Märchen, in denen man es mit muffigen Taxifahrern und unzuverlässigen Hausverwaltern zu tun bekommt. Solche Typen bedrohen unseren Heldenstatus und lassen uns mit glänzender Rüstung im Regen stehen, indem sie ein schlichtes „ist nun mal nicht zu ändern“ hinschnoddern. Und so würden wir vor aller Augen versagen, was unbestritten wesentlich peinlicher ist, als gar nicht erst anzutreten. Deshalb lassen wir euch den Vortritt. Euch hat man nicht beigebracht, dass es peinlich ist, einen Kampf zu verlieren. Ihr kämpft einfach. Wenn ihr schlappmacht, geht Ihr zum Anwalt. Männer, die in der Eskalation mit dem Rechtsschutz drohen, sind keine Männer. Es sind verheulte Vierjährige, die nach dem Verlust eines Förmchens nach ihrer Mama brüllen, und das ist einfach nicht sexy. Und somit kommen wir zum zweiten Problem: Beischlaf. Dass Frauen anders denken als Männer, ist nicht neu, doch ein besonders erschwerendes Detail dieser Erkenntnis liegt laut dem Paarberater Martin Koch in dem Umstand, dass Frauen dazu neigen, selbst alltägliche Probleme auf die Beziehungsebene zu ziehen.
Die Konsequenz: Sex-Entzug
Haben wir im Kampf gegen all die renitenten Kellner, Vermieter und Rezeptionisten dieser Welt versagt, landet die Schuld bei uns. Ein Mann, der nicht erreicht, was Frau zum Glücklichsein braucht, hat sich nicht genug ins Zeug gelegt. Und wer das nicht tut, kriegt auch keinen Sex.
Frauen bemerken diesen gedanklichen Schlenker fast nie, dafür geschieht er in der Regel viel zu schnell. Männer hingegen haben von Natur aus die Fähigkeit, den Ärger aus weiter Ferne zu erkennen. Wir wissen, was passiert, wenn der neue Nachbar über uns jede Nacht einen mörderischen Radau veranstaltet, und haben zwei Möglichkeiten: Wir können vorgeben, fast nichts zu hören, bis euch der Kragen platzt und ihr den Typen am Briefkasten zur Rede stellt. Oder wir können hochgehen, nichts erreichen und dafür im eigenen Schlafzimmer lustlose Ruhe einkehren lassen.

Prügel-Attacken machen unattraktiv
Natürlich gäbe es noch Variante drei, in der wir mal wieder in unseren alten Umhang springen und dem Kerl aus dem vierten Stock einfach Prügel androhen. Das funktioniert in der Regel, bringt aber intern gar nichts. Gewalttätigkeiten sind nämlich nicht heldenmäßig und haben auf das schwache Geschlecht eine ähnlich aphrodisierende Wirkung wie Herren-Tangas. Ruhig sollen wir sein, souverän und erfolgreich.
Alpha-Softies nennt sich die neue Spezies von Mann, die jede Frau verehrt und von der kein Kerl weiß, wie man sie nachahmt.
Aber immerhin üben wir. Die Sache mit dem Rindfleisch habe ich total männlich in Ordnung gebracht und innig gehofft, dass es nicht auffällt, das dies ein wesentlich kleineres Problem war als das der ausgefallenen Heizung. Sexuell gesehen hat es sich trotzdem ausgezahlt. Zwar gab es in dieser Nacht nur einen kurzen Blow-Job, aber fairerweise muss man erwähnen: Es war auch wirklich ein sehr kleines Steak.