
Um ehrlich zu sein, die Geschichte der Missonis ist so gut, dass sie ein bisschen wie ausgedacht klingt. Denn in dieser Familiensaga geht es um Liebe, um Sport, es geht um Wolle und Mode, ein bisschen um fehlende Büstenhalter auf einem Laufsteg – und natürlich um italienische Kochkünste. Dass sich eine Firma so lange erfolgreich am Markt behauptet, ist an sich schon einmal bemerkenswert. Aber wenn man bedenkt, dass bunte Strickwaren nicht unbedingt puren Sex verströmen, ist es noch ein bisschen erstaunlicher. Denn heute, 60 Jahre nach Firmengründung, werfen sich Hipster gern ihren Missoni-Bademantel aus der Home-Collection um die schmalen Schultern, jetten vielleicht nach Edinburgh und checken dort im Missoni-Hotel ein. Ach ja, und zu Hause im Schrank hängt eventuell auch das eine oder andere Strickteilchen der italienischen Familie. Heute wieder sehr farbenfroh und mit dem sehr berühmten und unverwechselbaren Zickzackmuster, das sich wie ein bunter Faden durch die Geschichte des Labels zieht.
Die Anfänge der Missoni-Dynastie
Aber fangen wir von vorne an. Wir schreiben das Jahr 1948 und befinden uns in London bei den Olympischen Sommerspielen. Ein gewisser Ottavio Missoni, genannt Tai, startet für Italien beim 400-Meter-Hürdenlauf. Er ist 27 Jahre alt und eine echte Granate – in jeglicher Hinsicht. Für eine Medaille reicht es nicht, aber dafür gewinnt er das Herz der im Publikum sitzenden Rosita Jelmini. Ihre Familie besitzt eine Tuchfabrik, sie ist zarte 16 Jahre alt und soll ihr Englisch in einem Londoner College aufpolieren. Klingt schwer nach Schmonzette mit Happy End – und ist es auch, denn die beiden verlieben sich nicht nur ineinander, sondern heiraten auch noch fünf Jahre später. Die Ehe hält bis heute – genauso wie die Firma, die 1953 gegründet wird. Ottavio und Rosita beginnen mit zwei Strickmaschinen, die er mit in die Ehe bringt. Im Keller ihres Hauses entwerfen die beiden Strickwaren. Zuerst bekommen die Maschinen nur gerade Streifen hin, dann macht die Technik auch senkrechte und diagonale Linien möglich. Nach ein paar Jahren gelingt das berühmt-berüchtigte Zickzackmuster, gestrickt von einer Kettenwirkmaschine. Und was damals mit zwölf Farben seinen Anfang nimmt, endet heute mit 40 Farben pro Kollektion.
Das Geheimnis des Erfolgs
So viel zur Technik und zu den Färbungen, aber was ist denn nun das Geheimnis des Erfolgs? Vielleicht liegt es darin, dass die Missonis das Leben ein bisschen bunter und fröhlicher machen. Die Menschen sind nach dem Krieg ausgehungert nach Farben und Formen, und Missonis leuchtende Muster vertreiben das Grau – bis heute. 1958 entsteht die erste Modekollektion, in den 60er-Jahren, ihre Kinder Vittorio, Luca und Angela sind bereits geboren, entwickeln sich die beiden Missonis zu dem, was man heute vielleicht Stil-Hippies nennen könnte. Die Familie wird großgeschrieben, der Zusammenhalt ist wichtig. Die Materialien sind weich und anschmiegsam, die Farben satt, der Look sexy – und vor allem bis heute wiedererkennbar. Eine ziemlich sinnliche Kombination, keine Frage. Neben Pucci und Etro etabliert sich Missoni als eine der drei italienischen Marken, die mit Farben so geschmackvoll umgehen wie kaum jemand sonst auf der Welt. 1967 kommt es bei der Kollektionsvorführung am Palazzo Pitti in Florenz zu einem kleinen Skandal: Weil Rosita der damals typische Balkon-BH bei einem Model nicht gefiel, schickte sie das Mädchen in der transparenten Chiffonbluse eben ohne Büstenhalter auf den Runway. In der nächsten Saison wird Missoni nicht mehr eingeladen, dabei ist Rosita ihrer Zeit voraus: Yves Saint Laurent zeigt den „Nude Look“ erst ein halbes Jahr später in Paris.
1969 lernte das Missoni-Ehepaar Diana Vreeland in Rom kennen. Die damalige Chefredakteurin der „Vogue“ ist von den Mustern – und wahrscheinlich auch vom Ehepaar Missoni – hingerissen. Sie lässt ihre Kontakte in Amerika spielen, und kein Jahr später wird die erste Boutique in New York eröffnet. In den 70er-Jahren feiert Missoni Hochkonjunktur, danach geht es erst mal – passend zum Muster – bergab: In den kühlen und kantigen 80ern sind die weichen und zarten Strickwaren nicht mehr en vogue, Familientraditionen so sexy wie kalte Spaghetti. Doch wie es mit italienischen Familien so ist, die zusätzlich über eine große Portion Sportgeist verfügen – man macht einfach weiter. 1983 wird die erste Home-Collection gelauncht, zuvor kommt der erste Duft auf den Markt, außerdem werden weitere Boutiquen in Paris und New York eröffnet. Und Rosita? Kocht weiter für die Familie in Gallarate, dem Familiensitz in der Lombardei.

Daran hat sich übrigens bis heute nichts geändert – und bis heute kann Rosita die Finger nicht von der Arbeit lassen. 1997 gibt sie die Geschäfte ab und versucht, Großmutter zu spielen. Erfolglos. Auch mit stolzen 80 Jahren arbeitet sie als Creative Director für die Home-Collection, eröffnet Hotels in Edinburgh und Kuwait, zieht Fäden, wo immer sie kann, und ist schwer auf Zack. Die aktuellen Entwürfe lässt sie sich noch immer vorführen, denn das Design soll wirklich allen in der Familie gefallen. Allerdings darf man nicht glauben, dass sich jeder in der Familie von Geburt an dem Z-Muster verpflichtet fühlt. Zwar dient die Fabrik allen Kindern und Enkelkindern als Spielplatz, aber die Zacken und Wellen sind auch ein Fluch. „Schon meine Mutter fühlte sich in einem Käfig von Zickzackmustern eingesperrt“, erzählte Rositas Tochter Angela einmal dem "Stern". Angela selbst wollte eigentlich nur Kinder kriegen und vielleicht noch Psychologie studieren oder Tierärztin werden. Nur aus Faulheit habe sie Rosita im Atelier geholfen. Rosita war entsetzt von dem fehlenden Ehrgeiz ihrer Tochter, doch ihr Mann Ottavio stellte es geschickter an und ließ sich davon nicht beeindrucken. Zu seinen drei Kindern sagte er: „Ihr könnt ruhig Klempner werden.“ So richtig hat es mit der Klempner-Laufbahn nicht geklappt, denn Angela wurde dann doch Chefdesignerin und revolutionierte den Look des Labels erfolgreich. Ihre erste Kollektion bestand aus einer Aneinanderreihung dunkler Farbblöcke. Ihr Bruder Luca ist Creative Director bei Missoni, und Vittorio – dessen Kleinflugzeug seit Januar als vor der Küste Venezuelas verschollen gilt – war für das Marketing zuständig.

Angelas Tochter Margherita wiederum hielt sehr erfolgreich ihr Gesicht in die Kamera und wurde von der Zeitschrift „Harper’s & Queen“ in die Liste der 100 schönsten Frauen der Welt gewählt. Und weil sich die Geschichte gern wiederholt, stieg die heute 30-Jährige nicht sofort ins Imperium ein, sondern studierte erst einmal Philosophie an der Mailänder Universität und Schauspiel am Lee Strasberg Institute in New York. Na gut, 2006 war sie dann schon das Gesicht der Missoni-Parfum-Kampagne, und 2010 begann sie, eine Reihe von Taschen zu designen. Im letzten Jahr heiratete Margherita ihren Freund, den Rennfahrer Eugenio Amos, auf dem Familiensitz in Italien. Wahrscheinlich kochte Rosita zu diesem Anlass wie eine Verrückte, Ottavio saß mit seinen Kindern und Enkeln, mit den Cousinen, Nichten und Neffen unter einem Olivenbaum – und vielleicht wurden nebenbei am Telefonino wieder ein paar Kooperationen klargemacht. Wie einst die Zusammenarbeit mit Verner Panton und Philippe Starck oder die limitierte Sneaker-Kollektion mit Converse vor zwei Jahren. Berührungsängste? Kennt diese Familie nicht. Denn was die Missonis nämlich sehr genau wissen: Elitäre Designermode an sich wirft kein Geld ab. Um einen kleinen Betrieb zu einem weltumspannenden Lifestyle-Imperium zu machen, muss man mit anderen Geschäfte eingehen. Nur ein paar Punkte verändern sich nicht: die Familie und die Farben, die Hochs und Tiefs. Und wenn das keine gute Masche ist, wissen wir es auch nicht.