Das wundersame Leben der Vivienne Westwood

Das wundersame Leben der Vivienne Westwood

Sie ist die Mutter des Punk, Englands wichtigste Designerin, Ordensträgerin und Umweltaktivistin. Nun hat die 73-Jährige ihre Biografie geschrieben

vivienne-westwood© Ki Price/Corbis
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Der Höhepunkt der Schau ist wie immer sie selbst

Capes aus goldener Spitze schleifen über den Laufsteg. Ein Model in Tennisschuhen und Kniestrümpfen dreht sich in einem hautfarbenen Bikini für die Fotografen. Auf ihrem Höschen prangt ein Feigenblatt. Blitzlichtgewitter. Vivienne Westwoods Couture-Präsentation in Paris ist ein modisches Knallbonbon: laut, glitzernd, überraschend und ein bisschen irre. Doch der Höhepunkt der Schau ist wie immer sie selbst. Als die Models vom Laufsteg abgehen, tritt die 73-Jährige in einem schwarzen asymmetrischen Kaftan vor die Gäste. An ihrer Hand führt sie ihren Ehemann, den 25 Jahre jüngeren Andreas Kronthaler. Er versucht sie zu küssen, doch sie achtet nicht auf ihn. Vivienne Westwood ist keine Frau, die sich um öffentliche Liebesbeweise schert. Oder um das, was andere von ihr erwarten. Sie ist die Mutter der Punk- Bewegung, die heute Roben für den roten Teppich entwirft. Ihr Unternehmen erwirtschaftet weltweit Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe. Was West - wood nicht davon abhält, mit nahezu jeder Kollektion eine neue Kampagne für Klimaschutz oder Menschenrechte loszutreten. Und sie ist vermutlich die einzige Frau in der glamourösen Couture- Welt, die ihre Söhne zeitweise in einem Wohnwagen großzog, weil das Geld nicht für eine Wohnung reichte. Es gibt eine Menge über Vivienne Westwood zu erzählen. Sie selbst versuchte mehrmals erfolglos, ihre Erinnerungen in Buchform zu bringen. In Zusammenarbeit mit dem Autor Ian Kelly entstand nun ihre erste Autobiografie. Ein Buch, das zwischen den extremen Höhen und Tiefen in Westwoods Leben vor allem eine Konstante deutlich macht: den Glauben dieser Frau an sich selbst.

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„Ich fand mich einfach schon als kleines Mädchen ganz prima“, erinnert sich Vivienne Westwood an ihre Kindheit. Vivienne Isabel Swire kam 1941 im englischen Glossop zur Welt. Ihre Jugend verbrachte sie in London. Sie ließ sich zur Lehrerin ausbilden, unterrichtete an der Grundschule. 1962 lernte sie Derek Westwood kennen. Den Mann, von dem sie den Nachnamen und ihren ersten Sohn Ben bekommen sollte. Das Paar heiratete, doch wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes verkündete die junge Mutter, sie wolle nun lieber alleine leben. Die Trennung war für Vivienne Westwood der erste Schritt in ein selbstbestimmtes Leben.

„Vivienne ist wahrscheinlich Englands größte Modedesignerin dieses Jahrhunderts“, schrieb die „Vogue“ einmal. „Sie hat im Alleingang Englands Traditionen der Schneiderkunst und opulenten Abendgarderobe wiederbelebt.“ Doch bevor Westwood die englische Mode zu solchen Höhen führen konnte, musste sie erst einmal mit den gängigen Schönheitsidealen abrechnen. Malcolm McLaren half ihr dabei. Gemeinsam schrieb das Paar nicht nur Mode-, sondern Weltgeschichte. Die Lehrerin und der Kunststudent lernten sich 1965 in der WG von Viviennes Bruder kennen. Er habe sie eigentlich nur aus der WG hinausekeln wollen, wird McLaren zitiert: „Nach drei, vier Wochen beschloss ich, eine Krankheit vorzuschützen, um mich in ihr Bett einzuschleichen, aus reiner Neugier darauf, wie es wohl im Bett einer Frau, einer Lehrerin wäre – die Vorstellung hatte etwas harmlos Perverses.“ Ob mit Liebe oder ohne: Westwood wurde schwanger. Eigentlich wollte das Paar das Kind abtreiben lassen, entschied sich dann aber, von dem Geld einen Kaschmirpullover für Vivienne zu kaufen. Denn es war vor allem ihr Interesse für Mode, das die beiden verband. „Ihre Attitüde, ihre Körpersprache, ihr Look – einfach atemberaubend“, erinnert sich ein Freund Viviennes. Während diese weiter an der Grundschule unterrichtete, um zwei Kinder und ihren Partner zu versorgen, versuchte McLaren, mit Kunstaktionen eine Rebellion anzuzetteln. Es war 1968. In London, Paris und Berlin kämpften Studenten für einen Umbruch des Systems. Auch für Westwood geriet die Welt ins Wanken. Als sie sich die Miete nicht mehr leisten konnte, zog sie mit den Söhnen Ben und Joseph in einen Wohnwagen aufs Land. McLaren besuchte sie – und teilte ihr mit, er habe geheiratet. Eine unorthodoxe Art, sich von der Vater rolle zu distanzieren, die er als bürgerlich empfand. In der Zeit mit ihm habe sie das Weinen verlernt, sagt Westwood heute. Doch sie hielt die Beziehung aufrecht. Ließ sich von ihm stylen und entdeckte ihr Talent als Modemacherin.

Wer ihre Sachen trug, riskierte, verhaftet oder verprügelt zu werden

Anfangs arbeitete das Paar Kleidungsstücke um und verkaufte diese bei Konzerten. 1971 eröffneten sie in der Londoner King’s Road 430 einen Laden, der Westwood bis heute gehört: „Let it rock“. Mit jedem Monat, den Westwood und McLaren miteinander verbrachten, wurden sie mehr zu freien Radikalen. Sie druckten Kampfansagen auf T-Shirts. Homoerotische Motive. Schnitten Hemden an den Brustwarzen auf. Nähten „Masturbationsröcke“ aus Latex. Wer ihre Sachen trug, riskierte, verhaftet oder verprügelt zu werden. Das spornte sie an. Mehrmals benannten sie den Laden um: „Too Fast to Live, Too Young to Die“, „SEX“, „Seditionaries“ (zu Deutsch „Aufrührer“). Die Kunden blieben dieselben: Musiker, Models, Prostituierte, Provokateure. Trotz solcher Aushängeschilder stellte sich kein kommerzieller Erfolg ein. McLaren begann, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Ihn interessierte zunehmend die Musik. Sein Traum, eine Band zu gründen, verwirklichte sich 1975, als ein junger Mann in zerrissenen Hosen das Geschäft betrat: John Lydon, der als Johnny Rotten, Sänger der Sex Pistols, bekannt werden sollte. McLaren wurde ihr Manager. „Anarchy in the U.K.“, die erste Single der Band, war ein Kracher. Nicht nur in England konnten sich Jugendliche mit der Wut und dem Spott der Sex Pistols identifizieren. Wo immer diese auftraten, kam es zu Krawallen. Auch Westwood war daran beteiligt. Zweimal wurde sie verhaftet.

Ihre Söhne beklagten sich nie über diese wilde Phase ihrer Mutter, zu McLaren hatten beide ein schwierigeres Verhältnis. „Mum geht immer sehr gnädig mit Malcolm um“, sagt dessen Sohn Joseph im Buch. „Aber man muss wissen, dass Malcolm uns auf einem Berg Schulden hat sitzen lassen.“ 1981 trennte sich das Paar. Das Jahr, in dem Westwood ihre erste richtige Modekollektion auf den Laufsteg brachte: die Pirates Collection. Viele der Kleider basierten auf historischen Schnitten, die Westwood aus einem Buch übernahm und abwandelte. Eine Technik, die sie bis heute nutzt. „In meiner Fantasie malte ich mir aus, die Insel zu verlassen – diese kleine Insel, diesen Moment, in dem ich gefangen war – und hinauszusegeln, in die Geschichte und die Dritte Welt.“ Der kommerzielle Durchbruch gelang ihr 1985: Die kokett gebauschten Röcke der Mini-Crini-Kollektion bildeten einen aufregenden Gegenentwurf zur schulterbetonten Frauenmode der 80er. In kurzer Zeit machte sie den Harris-Tweed wieder modern, den Jagd-Look hip und interpretierte das Schottenkaro neu. Besonders in Asien liebten die Frauen ihre entstaubte Version der englischen Mode. Westwood wurde zum Exportschlager. Das entging auch der Queen nicht. Sie bat die damals 51-jährige Revoluzzerin in den Palast, um diese mit dem Verdienstorden des British Empire auszuzeichnen. Westwood nutzte den Auftritt, um ihre Haltung zu Unterwäsche öffentlich zu machen. Ohne Höschen zu Gast bei der Queen – die Fotos gingen um die Welt.

„Ich will nicht immer das Gleiche machen.“

Andere Frauen versuchen, ihren alternden Körper zu verstecken. Nicht so Westwood: „Er hat mir immer Vergnügen bereitet“, sagte sie in einem Interview. „Ich glaube, dass ein Mann, der mich nicht jeder anderen Frau im Raum vorziehen würde, entweder verrückt oder blöd ist.“ Ihre Haltung konnte nichts daran ändern, dass in der Modebranche über ihre Beziehung geklatscht wird – und ihr Sohn Joseph, der wie sein Bruder viele Jahre für seine Mutter gearbeitet hatte, verließ wegen Kronthaler das Unternehmen. Die Regentin denkt noch lange nicht daran abzudanken. Sie macht Yoga und radelt jeden Morgen zu ihrem Atelier. Abends fährt Vivienne Westwood auf Umwegen zurück. „Aus Neugierde“, sagte sie in einem Interview. „Ich will nicht immer das Gleiche machen.“ Die Designerin kann einfach nicht anders. Sie muss ihren eigenen Weg gehen.

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