
Neulich auf der Premierenfeier zu „Black Swan“ in L. A.: Etwas verloren steht Winona Ryder auf dem roten Teppich und zupft sich nervös an den Haaren. Als eine Reporterin nach ihrer Filmrolle fragt, antwortet sie brav und ein bisschen aufgeregt. Plötzlich rauscht von links Starlet Mila Kunis an ihr vorbei. Winkt nach rechts und nach links wie eine Königin auf Rädern und lässt nervige Journalisten einfach abblitzen.
Momentmal, wer darf hier die Diva spielen? Winona Ryder drehte ihren ersten Film, da war die Kunis gerade drei Jahre alt. Ryder war das Gesicht der 90er, sie und Ex-Lover Johnny Depp galten als das coolste Glamourpaar ihrer Generation, quasi der Prototyp zu „Brangelina“. Hollywood (und, grob geschätzt, jeder zweite Mann zwischen acht und 80) lag der rehäugigen Schönheit zu Füßen. Auch Frauen mochten sie, weil sie so herrlich schrullige Rollen spielte. Wir wollten mit ihr alt werden – aber auf einmal war sie weg vom Fenster.
Und nun taucht die 39-Jährige wieder auf: bei der Premiere eines Films, der ihr Comeback bedeuten kann. Winona Ryder hätte dort mit funkensprühender Grandezza aufschlagen und „Was wollt ihr eigentlich?“ rufen müssen. Im Goldbrokatmantel. Mit fünf Bodyguards. Stattdessen benahm sie sich wie ein Partygast, der auf der falschen Feier gelandet ist. Ach Winona, was ist bloß schiefgelaufen?
Der traurigste Film ihrer Karriere ist ungefähr fünf Minuten lang und spielt im Edelkaufhaus Saks Fifth Avenue in Beverly Hills. Man sieht eine Frau im Trenchcoat, die scheinbar wahllos Klamotten in große Umhängetaschen stopft und dann zum Ausgang stolpert. Dort wird sie vom Sicherheitspersonal geschnappt. Das Video der Überwachungskamera ging 2001 um die Welt, und Winona Ryder landete wegen Diebstahl und illegalem Besitz von verschreibungspflichtigen Medikamenten vor Gericht.

Amerika nahm ihr diesen Auftritt sehr übel. Winonas Ruf war ramponiert, die guten Rollen blieben aus. Eigentlich liebt Hollywood nichts mehr, als einem gefallenen Engel wieder auf die Füße zu helfen. Aber Winona Ryder? Die war nicht irgendein Star, sondern die Lieblingstochter, von der man besonders enttäuscht ist, wenn sie Mist baut. Dabei begann ihr Drama viel früher. Mit 19 lernte sie bei den Dreharbeiten zu „Edward mit den Scherenhänden“ Johnny Depp kennen. Die erste große Liebe, der plötzliche Ruhm und die ständige Belagerung durch Paparazzi haben Winona schwer zu schaffen gemacht. „Du liest über dich in den Zeitungen, und irgendwann denkst du: Das also bin ich. So muss ich sein. Eines Morgens habe ich in den Spiegel geschaut und gedacht: ‚Werde ich jetzt verrückt?‘“ Mit 20 ließ sich Winona Ryder in eine Klinik einweisen. „In der Gruppentherapie haben die Patienten darüber gesprochen, wie sie misshandelt wurden. Und ich saß da und heulte: ‚Ich bin schrecklich müde, weil es so anstrengend ist, berühmt zu sein‘“, erinnert sie sich mit einem Lächeln. „Kein Wunder, dass mich die anderen dort gehasst haben.“
Die Beziehung zu Johnny Depp ging nach zwei Jahren in die Brüche und Johnny ließ sich sein legendäres „Winona Forever“- Tattoo zu „Wino Forever“ ummodeln. Obwohl Ryder immer wieder unter Depressionen litt, stürzte sie sich in die Arbeit. Sie bezauberte in schrägen Indie-Streifen („Night On Earth“) genauso wie in opulenten Kostümfilmen wie „Zeit der Unschuld“ und „Betty und ihre Schwestern“, für die sie mit dem Oscar nominiert wurde. 1997 verliebt sie sich auf einer Silvesterparty von Gwyneth Paltrow in ihren Kollegen Matt Damon.
Damals hatte Winona das Buch „Girl, Interrupted“ („Durchgeknallt“) schon fünf Jahre in der Schublade: die Autobiografie von Susanna Kaysen, die 18 Monate in einer psychiatrischen Klinik verbrachte. Sie wollte den Stoff unbedingt verfilmen – doch erst 1999 kam es endlich dazu. Als Coproduzentin bewies sie bei der Besetzung der Nebenrollen ein gutes Gespür: Angelina Jolie gewann für ihre Darstellung in „Durchgeknallt“ einen Oscar. Und genauso kometenhaft wie Jolies Stern aufstieg, stürzte Winona ab. Sie litt unter Angst-Attacken und der Trennung von Matt Damon, wählte immer wieder die falschen Rollen (wie die Schmonzette „Es begann in New York“). Es kam nicht von ungefähr, dass ihr Ladendiebstahl in diese Zeit fiel. Ein Hilferuf. Aber niemand war da, um Winona aufzufangen.
Die Fachfrau fürs Schräge
- 1988 Durchbruch mit der Horrorkomödie „Beetlejuice“ von Tim Burton, ein Jahr später folgt der Kultfilm „Heathers“.
- 1990 Gemeinsam mit Johnny Depp dreht sie das Märchen „Edward mit den Scherenhänden“.
- 1994 Mit der Komödie „Reality Bites“ wird sie zum Gesicht der „Generation X“.
- 2009 Winonas kleines Comeback: Neben Keanu Reeves ist sie in „Pippa Lee“ zu sehen.
- 2012 will sie für „Frankenweenie“ mit Entdecker Tim Burton zusammenarbeiten.
Aber jetzt scheint alles auf ein Happy End zuzusteuern. Sie hat dazugelernt. Zum Beispiel, dass man sein Liebesleben besser unter Verschluss hält. So soll Ryder mit dem Model und Fotografen James Gooding zusammen sein. Sie nimmt ihn nicht mit auf Partys. Aber er scheint einen positiven Einfluss auf sie zu haben. Sie hat ein paar Kilo zugenommen, die ihr gut stehen. Ihre Augen leuchten wieder. „Früher bin ich total ausgerastet, wenn ich nicht arbeiten konnte“, gesteht Ryder. „Ich musste lernen, auf mich selbst aufzupassen. Heute freue ich mich darauf, nach Hause zu kommen.“ Auch beruflich startet sie neu durch. In der fluffigen Komödie „Dickste Freunde“ (Start: 27.1.) spielt sie die untreue Ehefrau von Kevin James. Aber viel beeindruckender ist das Psycho-Drama „Black Swan“. Ryder verkörpert eine in die Jahre gekommene Ballerina, die von einer jungen Tänzerin (Natalie Portman) ausgebremst wird. Die Rolle ist nur klein, aber Winona Ryder spielt sie mit einer beinahe furchterregenden Intensität. Das ist ein Moment, in dem man sich wünscht, dass irgendjemand für Winona Ryder endlich die Rolle ihres Lebens schreibt. Die sie wieder dahin katapultiert, wo sie hingehört: roter Teppich, erste Reihe.