Carine Roitfeld

Carine Roitfeld

Eigentlich dachten wir, dass Anna Wintour die Modewelt regiert. Stimmt fast - wäre da nicht Carine Roitfeld. Die ehemalige Chefin der französischen "Vogue" prägte die Branche wie kaum eine andere - und zieht noch immer die Fäden. Unser Portrait über die heimliche Herrscherin.

Carine Roitfeld © Getty Images
Carine Roitfeld

Sie lacht. Fröhlich und echt. „Zu viel Wodka gestern, ich sehe furchtbar aus.“ Das ist glatt gelogen, Carine Roitfeld sieht natürlich perfekt aus, der Kajal ein großartiges bisschen verwischt, die Haare minimal zerzaust, dazu ein angegossener Bleistiftrock und himmelhohe Pumps. Es ist der Morgen nach ihrer Party im Pariser „Hôtel Salomon de Rothschild“. Gefeiert wurde die erste Ausgabe ihres Magazins „CR Fashion Book“ – und alles, was in der Modewelt Rang und Namen hat, war mit dabei.

Allein dieses Lachen ist ein Merkmal, das Carine Roitfeld in ihrem Kosmos einzigartig macht. Zwischen all den gelangweilt dreinblickenden Models, den ernsten Modeschöpfern und neben der strengen Anna Wintour. Klar, ihren Namen kennt man spätestens seit „Der Teufel trägt Prada“. Sie gilt als die mächtigste Frau in der Mode – aber da wäre eben noch Carine Roitfeld: Stylistin, Muse und Visionärin, zehn Jahre lang Chefin der französischen „Vogue“. Wintours US-„Vogue“ mag die größte Auflage haben, doch die Pariser Ausgabe ist absolute Pflichtlektüre für alle Stylistinnen und Modeschaffenden. Und obwohl Carine Roitfeld wohl nicht ganz so freiwillig ihren Chefposten aufgab, wie sie selbst behauptet, gilt die 58-Jährige heute als eine der wichtigsten Entscheiderinnen der Mode. Sie sitzt bei allen Defilees in der ersten Reihe, ist wahrscheinlich eine der meistfotografierten Frauen der Modeszene, macht Kampagnen für Chanel. Sogar ein Blog ist ihr gewidmet, er trägt den Namen „I want to be a Roitfeld“. Ihr aktueller Nebenjob: Als „Global Fashion Director“ berät sie für das internationale Modemagazin „Harper’s Bazaar“ die Modechefs der einzelnen Länder. Aber wer ist diese Frau eigentlich?

Die Begründung des Porno-Chic

Ein nimmermüdes Arbeitstier, ein Enfant terrible der Branche, ein Familienmensch, eine Großmutter – und eine Frau, die sich selbst nach 30 Jahren im Geschäft eine jugendliche Lust am Skandal und an der Provokation bewahrt hat. Ihre Autobiografie, die letztes Jahr erschien, trägt den Titel „Irreverent“, „Ohne Ehrfurcht“. Und genauso geht sie durchs Leben. Ohne Ehrfurcht vor Autoritäten, ohne Respekt vor Tabus. Vielleicht ist das der Grund, warum es ihr in ihren zehn Jahren als Chefredakteurin der französischen „Vogue“ gelang, das Heft von Grund auf zu erneuern, ja, zu revolutionieren: Nie waren mehr Nippel zu sehen, nie mehr Handschellen und feuchte Zungen. „Porn Chic“ bürgerte sich als Name des Roitfeld-Stils ein, den Modemagazine weltweit kopierten und der das Denken von Designern, Fotografen und Fashionistas prägte. Sie selbst sagt: „Chic ja, aber Porno? Nein. Ich würde lieber von Erotik sprechen.“

Vulgarität oder Humor?

Während die Models in Anna Wintours „Vogue“ bis heute meist klassisch schön und anmutig wirken, ließ Carine Roitfeld ihre Modelle mit Millionen Euro teurem Schmuck im Schlamm ringen, steckte Männer in Damen-Dessous, veranstaltete Fashionshootings im Schlachthaus. Das Model Karen Elson ließ sie mit einer Kordel gefesselt und die Holländerin Laura Stone mit schwarzer Farbe angemalt fotografieren. „Ich riskiere gern etwas“, sagte sie einmal in der „Zeit“. „Auch wenn ich dafür Prügel einstecken muss.“ Das musste sie: Mal warf man ihr Rassismus vor, mal Verherrlichung von Magersucht, dann Vulgarität – oder alles zusammen. Ihre Fans betrachteten das, was sie tat, stets als Avantgarde, sie selbst als Vordenkerin der Mode. Wer Carine Roitfeld einmal getroffen hat, ist überrascht, wie warmherzig und nahbar die schmale Frau mit den buschigen Augenbrauen ist. Letztes Jahr lud sie einfach mal eine Handvoll Journalisten in ihre Pariser Wohnung ein, entschuldigte sich kichernd, das alles „ein bisschen unordentlich aussieht“ (andere würden vom totalen Chaos sprechen) und erzählte ihren Gästen, warum sie so ist, wie sie ist. Warum sie etwa einmal eine Modestrecke gemacht hat, in der ein Model so tat, als würde es auf einen Parkplatz pinkeln. „Ein schockierendes Bild zu machen, ist einfach: Du stellst eine nackte Frau auf einen Platz und schon schlagen alle die Hände über dem Kopf zusammen. Ich wollte Grenzen ausreizen, spielerisch mit Mode umgehen – und vor allem wollte ich lustig sein.“ Leider musste sie aber auch zugeben: „Manchmal verstehen die Leute meinen Humor nicht.“ Was vielleicht daran liegt, dass Humor eine Eigenschaft ist, die in der Modewelt ebenso selten vorkommt wie in der besseren Gesellschaft, aus der sie kommt.

Carine Roitfeld ist die Tochter eines wohlhabenden, russischen Unternehmers und Filmemachers und einer Pariserin, „der ultimativ klassischschicken Französin“, wie sie sagt. In einer ihrer frühesten Kindheitserinnerungen sitzt Maman im Pucci- Kleid vor dem Spiegel, die kleine Carine hilft ihr, einen exakten Lidstrich zu ziehen. Heute sagt Roitfeld, dass ihr Make-up eigentlich immer dann am besten aussieht, wenn sie eine Nacht damit geschlafen hat. Auch sonst hat die Französin wenig von der kühlen Attitüde großbürgerlicher Pariserinnen. Mit 18 begann sie zu modeln, schwenkte um, wurde Stylistin und arbeitete für den damals noch unbekannten Fotografen Mario Testino. Gemeinsam mit ihm erlebte sie 1994 ihren Durchbruch: Als Tom Ford Chefdesigner bei Gucci wurde, übernahm das Duo die Werbekampagne. Es verhalf Gucci zu einem komplett neuen, aufregenderen Image und prägte die Ästhetik der Neunziger: sexy, tough, Bling-Bling. Bezeichnend für den Stil der Carine Roitfeld ist vor allem ein Bild dieser Kampagne: Ein Model zieht den Slip herunter, in ihr Schamhaar ist ein Gucci-G rasiert. Ob das sexy oder doch eher grotesk ist, muss jeder selbst entscheiden: denn wie viel oder wenig Schaamhaar sexy ist, ist eine sehr persönliche Entscheidung.
Man kann sich auf jeden Fall gut vorstellen, wie lustig Carine die gebrandete Intimfrisur fand. Der Punkt ist aber, dass es ihr gelang, den Zeitgeist eines ganzen Jahrzehnts in die Mode zu übersetzen, eine Fähigkeit, die nur wenige Stylistinnen besitzen und die Carine Roitfeld bis heute zu einer der wichtigsten Ratgeberinnen für Designer von Tom Ford bis Karl Lagerfeld macht.

Carine Roitfeld und Karl Lagerfeld © Getty Images
Porträt: Der König und die Kaiserin Arbeiten mit Freunden: Mit Karl Lagerfeld gab Carine Roitfeld ein Buch über das Chanel-Jäckchen heraus  

Gute Beziehungen sind in diesem Geschäft nicht mit Gold aufzuwiegen – und eine Carine Roitfeld zählt ganz besondere Menschen zu ihren Freunden: So schrieb Tom Ford für ihr Heft „CR“ einen Artikel, Mondino, Bruce Weber und Lagerfeld – alles enge Vertraute – fotografierten. Carine Roitfeld gibt zu, Geschäftliches und Privates zu vermischen, sie wisse, dass das unprofessionell sei, könne aber nicht anders. Entsprechend war das Thema der ersten „CR“-Ausgabe ein ganz persönliches: „Rebirth“. Das bezog sich zum einen auf ihre Wiedergeburt als Chefredakteurin nach der „Vogue“-Ära. Zum anderen bezog es sich auf die Tatsache, dass Carine Roitfeld wenige Monate zuvor zum ersten Mal Großmutter geworden war. Roitfeld ist – Hammerkarriere hin oder her – ein Familienmensch. Seit über 30 Jahren lebt sie mit ein und demselben Mann, Christian Restoin, zusammen. Mit den beiden gemeinsamen Kindern, Vladimir und Julia, telefoniert sie mindestens einmal am Tag. Schon aus geschäftlichen Gründen: Julia wurde bereits als Kind für Modemagazine abgelichtet, heute arbeitet die 32-Jährige als Model und Artdirector. Ihr Bruder Vladimir ist Galerist, der Kunst mit Mode verbindet, indem er seine Ausstellungen in Zusammenarbeit mit Armani oder Louis Vuitton präsentiert. Ach ja, außerdem ist er mit Giovanna Battaglia liiert, ihres Zeichens Modechefin der italienischen Männer- „Vogue“. Man sieht: Am Roitfeld-Clan kommt niemand so einfach vorbei.

Vor Kurzem posierte Carine Roitfeld, die frischgebackene Oma, im schwarzen Negligé für die M.A.C-Kampagne ihrer eigenen Make-up-Linie, dunkler Kajal, schwarzer Lidschatten – und schwarze Schönheitsflecken in Sternchenform zum Aufkleben. Als Carine Roitfeld am Rande des Sets über dieses Projekt und ihr Leben sprach, sagte sie: „Ich könnte ein ruhiges Leben führen, Anzeigen stylen und Geld verdienen.“ Aber das würde ihr im Traum nicht einfallen.

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