
Manchmal hängt der Himmel voller Geigen. Manchmal voller E-Gitarren. Und manchmal schweigt er andächtig still. Musik kann ein Sexspielzeug für die Ohren sein, uns antörnen und zum Schweben bringen – aber sie kann auch zum Spielverderber werden, zum störenden Dritten im Bett. In jedem Fall begleitet der Rhythmus uns durch Höhen und Tiefen – vom ersten Knutschen bis zum eingespielten Kuschelsex.
Musik aufdrehen
Wenn die Liebe noch frisch ist, haben wir plötzlich eine Reihe neuer Jobs: als Selbst-Stylistin (String oder Panty?), Spitzenköchin (Schwammerl oder Sushi?) und als DJ. Denn: Was musikalisch läuft, wenn im Bett was läuft, das überlassen wir nicht dem Zufall, weil wir uns darüber im Klaren sind, dass die Auswahl eine Menge über uns aussagt. Mehr noch als die Slipfarbe. Adele bedeutet: „Ich bin doch nur ein verletzliches Mädchen auf der Suche nach Liebe“, Pink hingegen: „Ey, Typ! Ich weiß, was ich will, und ich will es jetzt!“. Bei den ersten Übernachtungsbesuchen überlassen wir auch gern Profi-Musikern das, was wir in dieser Phase (noch) nicht zu sagen wagen: Wenn Lana Del Rey „Heaven is a place on earth with you!“ haucht, müssen wir den Mann an unserer Seite (oder unter uns) nur bedeutungsvoll anschauen, dann wird er schon verstehen. Glauben wir jedenfalls.
Dumm nur, dass Männer diese subtilen Messages meistens nicht mitbekommen. Schon gar nicht, nachdem ihr Hirn von Balz auf Arterhaltung umgeschaltet hat. Wenn sie in ihrem eigenen Schlafzimmer den Erotik-DJ geben, starten sie deshalb auch einfach die CD, die ohnehin gerade in der Anlage liegt (Dead Can Dance, Bruckners Vierte Symphonie), oder spielen Musik, von der sie glauben, dass sie Frauen schwach macht. Also James Blunt, Katie Melua oder Kuschelrock 25. Ein Missverständnis, das sich ähnlich hartnäckig hält wie das Gerücht, Frauen hätten beim Sex gerne eine nasse Zungenspitze im Ohr. Apropos Missverständnis: Spielt er das neue Album von Philipp Poisel, dann deshalb, weil er die melancholische Stimmung mag. Oder weil seine Schwester es ihm zum Geburtstag geschenkt hat. Aber nicht, weil er den Satz „Mit jedem deiner Fehler lieb ich dich“ nicht selbst über die Lippen bringt.
Musik runterdrehen
„Vorsicht auf der A7 in Richtung Flensburg, vor dem Elbtunnel liegen Reifenteile auf der Fahrbahn.“ So sexy klingt es in unserem Schlafzimmer ein paar Monate später. Noch immer testen wir musikalische Neuerwerbungen gerne auf ihren Ah- und Oh-Faktor – aber viel häufiger fallen wir übereinander her, egal, was gerade im Hintergrund dudelt. Der große NDR-Hitmarathon (mit integrierten Staumeldungen). Oder der Mix, den wir von einem Streaming-Anbieter aus dem Netz gezogen haben und bei dem sich zur Unzeit eine Werbestimme ins Schlafzimmergeschehen einmischt („Danke, dass du dich für Spotify entschieden hast!“). Sex zu dritt, neu definiert. Allerdings ist jetzt auch mal der Zeitpunkt gekommen, einige Mitspieler für immer zu verbannen, die wir in der ersten Ekstase noch ertragen haben: Klischee-Stöhner wie Barry White löschen wir rein zufällig von Schatzis MP3-Stick („Ich dachte, das kann weg!“), ebenso alle Songs, die das Wort „Sex“ schon im Titel tragen – und den „Bolero“ von Maurice Ravel gleich mit. Dieses Stück Erotik-Gedudel wurde durch den Film „Zehn – Die Traumfrau“ in den späten Siebzigern populär – und wer will schon Sex zu einer Musik haben, bei der man selbst gezeugt wurde?
Musik abdrehen
Aus den Boxen jeder durchschnittlichen Disco dröhnen am Wochenende Pop(p)songs, in denen bis zum Morgengrauen gestöhnt und geschnackselt wird. Die Realität sieht etwas anders aus: Hat die Liebe ein paar Jahre mehr auf dem Buckel, geht’s eher zwischen 23.07 und 23.45 Uhr rund, wenn er das Licht ausknipst und sie unter der Decke eine Hand rüberschiebt. Dresscode: casual, Drinks: keine, Soundtrack: Fehlanzeige. Der Anfang vom Ende? Muss es nicht sein. Sex pur kann eine Offenbarung sein. Plötzlich sind es nur wir, unsere Körper, die einander zum Klingen bringen. Ein Duo aus schnellem Atem, eine Symphonie für Hände, Haut und Haare. Da ist Musik drin.
Musik nachklingen
Musik kann Sex zusätzlich aufladen: mit Bedeutung, Drama, Romantik. Aber es funktioniert auch umgekehrt: Sex verwandelt Songs in Gefäße, gefüllt mit heißen Erinnerungen. Erinnerungen, die bei jedem Abspielen wieder automatisch mitlaufen. Zum Beispiel, wenn wir nach Jahren die uralte Robbie-Williams-CD aus der Anfangszeit auflegen. Und plötzlich wieder diesen Schauer auf der Haut spüren – nicht (nur), weil Robbie zu sparsamen Klavierklängen "Come on, hold my hand" singt, sondern weil wir daran denken, wie sich eine sehr reale Hand zum ersten Mal auf privates Territorium vorwagte. Oder weil wir auf der Autobahnfahrt zur künftigen Schwiegermutter den Sommerhit von 2010 hören, zu dem wir es nachts auf Ibiza zwischen den Liegestuhlstapeln am Strand trieben. „I got a feeling – that tonight’s gonna be a good night“ – und so angefeuert wird es mit Sicherheit auch in Schwiegermuttis Gästezimmer heiß hergehen.
Die PETRA-Playlist: Das kommt gut an, wenn's heiß wird...
PORTISHEAD RAUS – THE XX REIN Die Portishead- und Coldplay-CDs können Sie im Schlaf mitsingen? Dann versuchen Sie es mit „Coexist“ der britischen It-Band The XX: filigrane Keyboard-Sounds, zerbrechliche Beats und wunderschöner Wechselgesang sorgen für cool-entspannte Stimmung. (Beggars)
MARVIN GAYE RAUS – FRANK OCEAN REIN Frank Ocean führt auf seinem Album "Channel Orange“ den klassischen R&B auf eine neue Ebene: lässig, berührend, modern instrumentiert – und ganz ohne nerviges Gejammer. (Universal)
SADE RAUS – MELODY GARDOT REIN Ade, Sade! Ab jetzt sorgt Melody mit Samt-Timbre für die Schlafzimmer-Beschallung. Sinnlich, mit dunklen Untertünen. Und einem Schuss Latin – was ja nie schaden kann. („The Absence“, Universal)
SERGE GAINSBOURG RAUS – FRANÇOIZ BREUT REIN Was sollen wir sagen? Françoiz Breut ist e ine der aufregendsten Stimmen Frankeichs – und das Land hat den Erotik-Pop quasi erfunden. Da verwandelt sich jedes Ikea-Sofa automatisch in ein Lotterbett. („La Chirurgie des Sentiments“, Le Pop Musik)