Thema Selbstbefriedigung

Thema Selbstbefriedigung

Uns selbst anfassen? Nee, irgendwie nicht. Noch immer kommen wir nicht so gut, wie wir können, sagt Dr. Carla Thiele. Wir baten die Sexualtherapeutin um ein paar ehrliche Worte zum Thema Selbstbefriedigung.

Frau befriedigt sich selbst© Thinkstock
Frau befriedigt sich selbst

PETRA: Frau Dr. Thiele, Sie sagen, wir Frauen befriedigen uns zu selten selbst. Wie kommen Sie darauf?

Dr. Carla Thiele: 70 Prozent der Frauen, die mit Erregungsstörungen zu mir kommen, befriedigen sich nur selten oder gar nicht. Das macht doch nachdenklich. Dabei ist es wichtig, über seinen Körper Bescheid zu wissen und zu erkennen, wie man sich selbst Lust bereitet. Dann wird der Sex auch lustvoller. Denn es gibt nichts Schöneres, als mit jemandem zu schlafen, der seinen Körper liebt und mit ihm vertraut ist.

Woher rührt die Scham, uns selbst anzufassen?

Selbstbefriedigung ist für viele Frauen nach wie vor ein Tabu. Noch vor knapp zwanzig Jahren bezeichnete der Papst weibliche Onanie als „sündige Wollust“. Bei den Männern hingegen handele es sich nur um ein „tolerierbares organisches Übel“. Ein Umdenken fand erst durch die sexuelle Revolution statt. Bis es aber völlig akzeptiert ist, dass es sich auch Frauen selbst besorgen, vergeht sicher noch eine Weile. Und bis dahin haben viele Frauen das Gefühl, etwas Schmutziges oder Verbotenes zu tun – und sie haben ein schlechtes Gewissen.

Vor allem, wenn wir Frauen in Beziehungen sind. Verrückt, oder? Das Intimste, was wir haben, legen wir in die Verantwortung eines anderen – wie soll das gut gehen? In meiner Arbeit erfahre ich immer wieder, dass viele Frauen ihre sexuelle Befriedigung an den Partner abgeben. Hat sie nie einen Orgasmus, liegt es an ihm. Er ist der Versager, nicht sie. Wie ungerecht! Wenn wir unsere Lust und unseren Körper wirklich gut kennen würden, wüssten wir doch viel besser, was uns wann erregt. Das könnten wir unserem Partner dann zeigen oder sagen. So wird es doch für beide ein Gewinn.

Trotzdem schleicht sich bei manchen Frauen das Gefühl ein, ihren Partner mit sich selbst zu betrügen ...

Aber nein! Wie kommt man denn darauf? Jede Frau ist eine eigenständige Person. Die Haare kämmen wir uns doch auch selbst. Ihr Körper gehört ihr, genau wie ihre Seele. Natürlich dürfen wir liebevoll mit uns umgehen. Frauen fällt es oft schwer, nur an sich zu denken. „Hey, hast du gerade Lust auf ein schönes Gefühl?“ – diese Frage stellen wir uns gar nicht. Aber Frauen, die mit sich selbst gut umgehen, gönnen sich das einfach. Genau wie Männer. Ganz ehrlich, die denken nicht darüber nach, ob sie ihre Partnerin betrügen, wenn sie sich mal etwas Gutes tun. Berührungsängste sind für Männer kein Thema, schon allein deswegen, weil sie ihren Penis mehrmals am Tag in die Hand nehmen – auf der Toilette. Bei Frauen liegen der größte Teil der Klitoris und die gesamte Scheide im Körperinneren. Sie müssen also erst mal genau hinschauen und ausprobieren.

Und wie verlieren wir unsere Hemmungen?

Ich rate Frauen, die zu mir in die Sprechstunde kommen, erst mal sich selbst zu erkunden, anstatt sich selbst zu befriedigen. So entsteht nicht der Druck, dass ein tolles Gefühl dabei rauskommen muss. Wer noch keinen Orgasmus erlebt hat, der weiß doch gar nicht, worauf er warten soll. Viele Frauen haben keinen Bezug zu ihrer Scheide. Denen empfehle ich zunächst, einen Spiegel zu nehmen und sich diese in Ruhe anzuschauen. Viele trauen sich nicht, sich anzufassen. Mein Vorschlag: alltägliche Dinge wie Eincremen mit intimen Berührungen zu verbinden. Die Beine creme ich ständig ein, warum also nicht die Scheide? Ganz langsame und liebevolle Bewegungen sind wichtig, dabei kann man dann im Spiegel beobachten, wie die Durchblutung zunimmt. So erfährt die Frau, aha, an der Stelle ist es angenehm und an der nicht. Dieser spielerische Zugang klappt auch unter der Dusche wunderbar.

Eincremen oder Duschen allein sind aber noch nicht sehr befriedigend. Natürlich nicht. Ist eine Stelle gefunden, an der sich die Berührung gut anfühlt, sollte die Frau mit der Intensität spielen. Mehr Druck, schnellere Bewegungen und dann spüren, was das mit der Empfindung macht. Welche Vorgehensweise sie dabei verwendet, rubbeln, kneten, kreisen, ist reine Typsache. Am besten einfach alles einmal ausprobieren. Und dann ist es ganz wichtig, sich dazu erregende Gedanken zu machen. Viele Frauen erwarten, dass vom Berühren allein etwas Tolles passiert. Aber das muss meist erst mit einer erotischen Fantasie zusammengebastelt werden. Männer denken häufiger direkt an pralle Brüste. Frauen malen sich mehr drum herum aus, vielleicht eine heiße Geschichte. Sie sehen oft ganze Filme.

Beweist ein Orgasmus, dass ich alles richtig gemacht habe? Es gibt kein Richtig oder Falsch, solange es sich gut anfühlt. Frauen sollten sich auch nie unter den Druck setzen, kommen zu müssen. Lieber vertagen sie den Orgasmus und probieren zwei- oder dreimal die Woche aus, was sich gut anfühlt. Und das ruhig über mehrere Monate. Klar sollte die Atmosphäre stimmen. Unter Zeitdruck oder in einem kalten Schlafzimmer kann sich niemand fallen lassen. Schon allein mit der Erregung spielen zu können, sie auftauchen und gehen zu lassen, ist für viele ein unheimlich angenehmes Erlebnis. Und damit ein echter Fortschritt. Manche Frauen setzen gern Vibratoren ein, da es eine bequeme und intensive Art der Stimulation ist und mehr Intensität bringt. Daher mein Rat: unbedingt ausprobieren!

Was, wenn wir so viel Gefallen an der Selbstbefriedigung finden, dass wir das Solo dem Duett vorziehen?

Im Prinzip ist Selbstbefriedigung echt praktisch. Ich muss mich nicht abstimmen oder den anderen drängeln. Aber klar, wenn ich es mir allerdings nur noch selbst mache, stimmt etwas nicht. Der Orgasmus steht dann über dem gemeinsamen Erlebnis – und da sollte man schon hinterfragen, woran das liegt. Hat das Paar sich nicht genug ausgetauscht? Hängt die Beziehung schief? Solche Warnsignale sollte man ernst nehmen. Ganz ehrlich, ich kenne wenige, die das Spiel mit sich selbst allem anderen vorziehen. Aber ich kenne einige, denen es den ersten Orgasmus brachte.

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