
Sophie Fontanel lebt in Paris und ist die Verkörperung der modernen Frau um die 30: Sie ist schön, schlau und ledig, jettet durch die Welt, tanzt auf den hippsten Partys und ist mit der Pariser Elite per Du. Sie hat alles. Alles außer Sex. Zehn Jahre lang verschloss die Französin Herz und Körper und tollte statt durch die Betten lieber durch leuchtend rote Mohnfelder. In ihrem Roman „Das Verlangen“ (Kailash, 191 Seiten, 16,99 Euro) beschreibt sie ihre keuschen Jahre und schwört: „Heute ist mir bewusst, wie erfüllt mein Leben war. Es war in keiner Weise belanglos. Im Gegenteil, es war reich."
Mal ehrlich, das klingt, als würde sich eine Frau den Hunger schönreden, weil sie gerade auf Diät ist. Nachmachen will man das nicht unbedingt. Zumindest nicht freiwillig. Blöd nur, wenn es einfach passiert... Sex ist überall, im Kino, auf den Plakaten in der Stadt, in den Schlafzimmern der anderen. Nur manchmal nicht da, wo er hingehört: in unserem Bett. Es muss nicht eine ganze Dekade dauern, aber sexuelle Durststrecken kennen wir alle.

Laut unserer neuen PETRA-Umfrage lief bei jeder dritten Frau zwischen 29 und 39 schon einmal zwei Jahre lang gar nichts im Bett. 41 Prozent mussten immerhin ein Jahr überstehen. Sexflauten stellen sich einfach so ein, und aus den unterschiedlichsten Gründen: Manchmal ist die letzte Liebe schon lange passé und eine neue einfach nicht in Sicht. Oder eine schmerzhafte Trennung verdirbt den erotischen Appetit. Dann schmiegen wir uns nicht mehr an die warme Männerbrust, sondern an den Samtbezug unseres Lieblingskissens, die heißen Dessous gammeln in der Schublade, und das erotische Highlight ist ein Film mit James Franco.
Eine solche sexuelle Auszeit mag – wenn sie denn selbst gewählt ist – entspannend sein. Stoppelige Beine stören in dieser Zeit nur die Katze, und die Bettwäsche muss auch nicht jeden zweiten Tag gewaschen werden. Geschenkt! Auf Dauer wiegen diese Vorteile nicht auf, dass da niemand ist, dem man sich wirklich nah fühlen kann. Die körperliche Nähe fehlt, da gute Gefühl, begehrt zu werden, und das Gespür für den eigenen Körper. Es fehlt das kleine Glück der Macht, wenn der Partner unter unserer Berührung zu Wachs wird. Lust kann nicht in die Ecke gestellt werden wie die Louboutins aus der letzten Saison. Leben wir sie nicht aus, leidet die Psyche.

Spätestens nach einem Jahr fühlen sich laut PETRA-Studie 71 Prozent der Frauen nicht mehr wohl in ihrer Haut. Jemand, der diese 71 Prozent sehr genau kennt, ist Ann-Marlene Henning, Sexualtherapeutin in Hamburg (www.doch-noch.de). In ihre Sprechstunde kommen Frauen, die unter ihrem nicht vorhandenen Liebesleben leiden: „Es ist kaum zu glauben. Da sitzen wundervolle Singlefrauen mit tollen Jobs in meiner Praxis, haben jahrelang keinen Sex und sind unglücklich.“ Das Dilemma: Je länger wir keinen Sex haben, desto schwieriger wird es, wieder welchen zu bekommen. Die Expertin beschreibt das so: „Eine Frau, die Sex hat, strahlt von innen heraus und bewegt sich selbstbewusster. Sie wirkt attraktiv auf Männer.“ Der Grund für den „inneren Glow“: das Hormon Oxytocin. Der Botenstoff wird unter anderem bei intimem Körperkontakt oder beim Stillen ausgeschüttet. Oxytocin senkt den Stresspegel im Körper und sorgt für ein „Mir geht’s wunderbar“-Gefühl. Eine Charisma-Kur von innen quasi. Fehlt das Hormon, fühlen wir uns ausgelaugt, müde und grau. „Man kann Sex mit Sport vergleichen. Trainieren wir nicht, verkümmern unsere Muskeln“, sagt Ann-Marlene Henning. Zu allem Überfluss peinigen uns in solchen Zeiten auch noch miese Gedanken. Dann spuken Sätze wie „Keiner will mich“ und „Mich sieht gar keiner, so unscheinbar, wie ich bin“ durch den Kopf.
*Exklusiv für PETRA befragte das Meinungsforschungsinstitut Gewis 1043 Frauen zwischen 29 und 39 Jahren
Wir zweifeln, verkrampfen – und nichts geht mehr. Dabei könnte rein theoretisch alles so einfach sein. Wir müssten uns nur unsere High Heels und die beste Freundin schnappen und auf die Pirsch gehen. One-Night-Stands sind schließlich auch für Frauen ein probates Mittel, es einfach mal wieder zu tun, und durchaus okay, bis einem irgendwann der Mann über den Weg läuft, mit dem man gerne das Frühstücksbrötchen teilt. Tatsächlich aber würden nur 27 Prozent der Frauen mit einem Fremden nach einem gemeinsamen Abend ins Bett gehen – egal, wie groß das Verlangen ist. Kann es sein, dass wir 2.0-Frauen doch konservativer sind, als wir zugeben? Oder sind wir uns einfach zu schade für den unpersönlichen Fast- Food-Sex? „Ein bisschen von beidem“, meint Ann-Marlene Henning. „Es geht nicht darum, dass Frauen sich nicht trauen, jemanden aufzureißen. Die Krux ist vielmehr: Sie finden meist keine Erfüllung darin. Bevor nicht der Richtige kommt, bei dem Gefühle im Spiel sind, verzichten sie lieber ganz auf Sex.“ Ganz im Gegensatz zu den Männern.
Sind Männer wirklich anders?
„Mindestens jeder zweite Mann greift zwischen ernsten Beziehungen auf One-Night-Stands zurück“, sagt Ann-Marlene Henning. Da ist es wieder, das alte Klischee. Wir trennen vielleicht den Müll besser als er, aber Sex und Gefühle gehören zusammen – ob man will oder nicht. Es müssen ja nicht sofort die Hochzeitsglocken läuten, aber so eine winzige Hoffnung von „Vielleicht ist das der Richtige“ sollte schon mitschwingen. Sonst geht nichts. „Frauen haben bei One-Night-Stands oft das Gefühl, ausgenutzt zu werden. Sie vergessen dabei, dass sie den Mann ja selbst benutzen“, erklärt Ann-Marlene Henning. Mag sein, aber das gestehen wir uns nicht ein. Benutzen will man Smartphones, aber nicht den Menschen, mit dem man Liebe macht. Hier zählen Vertrauen, Respekt und Nähe, das süße Geflecht von Begehren und Geborgenheit. Eine schnelle Nacht mit viel Alkohol kann diese Sehnsucht nicht befriedigen. Da kann es schon einmal passieren, dass sich am nächsten Morgen das Bett so leer anfühlt wie wir uns selbst. Sogar, wenn der Mann noch darin liegt.

Also lieber Stoppelbeine und James Franco, bis wir nach zehn Jahren vergessen haben, wie man Sex buchstabiert? Nein. Als Allererstes muss der verkrampft suchende Ausdruck aus dem Gesicht verschwinden. Klingt schwierig, ist es aber nicht. Die Expertin rät: „Kümmern Sie sich um Ihren Oxytocin-Haushalt. Den können Sie nämlich steuern.“ Denn das kleine Glücklichmacher-Hormon schwirrt auch bei anderen sozialen Kontakten durch den Körper. Manchmal reicht schon ein Kuschelabend mit dem besten Freund oder eine liebevolle Umarmung von Papa, um wieder ein bisschen Farbe ins Gesicht zu zaubern. „Ein Baby auf den Arm zu nehmen oder ein Tier zu streicheln wirkt ebenfalls wie eine Oxytocin-Spritze“, sagt die Expertin. „Außerdem ist es wichtig, dass Frauen ihren Körper spüren. Wenn der Sex fehlt, sinkt das eigene Körperempfinden. Tanzen, Yoga, heiße Bäder und tägliches Eincremen können helfen.“ Logisch, ein bisschen Kuscheln und ein Klecks Bodylotion wird kaum die heißeste Nacht unseres Lebens ersetzen. Aber es entspannt und macht glücklich. Wenn wir dann zusätzlich Energie in Dinge stecken, die uns am Herzen liegen – ein Hobby oder ein spannendes Projekt im Job – werden wir feststellen, dass die Lebensqualität nicht an der Intensität des Liebeslebens hängt – auch wenn es einem absurderweise manchmal so vorkommt. Klar ist Sex wichtig. Auch uns Frauen. Es ist kein akzeptabler Zustand, wenn er fehlt. Graue Haare, ein zu runder Po? Da würden wir auch etwas tun. Ganz abgesehen davon, dass sich die Situation nicht bessert, wenn man sich ihr ergibt – oder wenn man verzweifelt und mit einem imaginären „Ich hab es dringend nötig“-Schild auf der Lauer liegt.
Schneller kann man einen Mann nicht verscheuchen, denn das Prinzip von Angebot und Nachfrage funktioniert nicht nur in der Marktwirtschaft. Je dringender wir etwas wollen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, es zu bekommen. Und war es nicht immer so, dass sich Wünsche erfüllen, wenn man nicht damit rechnet? Sophie Fontanel schreibt über ihren ersten Mann nach zehn Jahren: „Er ist mir zugeflogen. Ich habe die Gelegenheit genutzt, um mit ihm zu fliegen.“ Genau. Wir sollten Gelegenheiten nutzen. Erzwingen lassen sie sich nicht. Und wenn es passiert, dürfen wir uns fallen lassen. Und fliegen.