
Dreamboy - oder doch nicht?
Er amüsierte sich bei denselben Filmstellen, sagte rechtzeitig Bescheid, wenn er ein paar Minuten zu spät zur Verabredung kam und kaufte als Entschuldigung ein Eis. Beim Lachen hatte er diese Grübchen, die ihn trotz seines Bartes wie einen verschmitzten Jungen wirken ließen. Er war eindeutig süß-sexy. Ein Volltreffer von einem Mann, bei dem alle Freundinnen verzückt und zustimmend hinter seinem Rücken nickten. Bis zum ersten Sex … Er hatte keine Superman-Boxershorts an oder so, nein, daran lag es nicht. Das Problem war: Der Sex mit ihm war mies. Er war dabei so still, dass man seinen eigenen Atem hörte. Oder den Linienbus vor der Haustür. Und von weiblicher Anatomie hatte er so viel Ahnung wie Kim Kardashian von gutem Stil. Traurig, wenn alles so großartig passt, nur das Eine eben nicht.
Eine Umfrage liefert Fakten
Selbst der britischen Künstlerin Lily Allen erging es einst so. In ihrem Song „Not Fair“ singt sie davon, dass er sie nicht zum Schreien bringe, obwohl doch sonst alles so schön sei. Manchmal kann man schon mal vor lauter Verliebtheit die eine Wahrheit nicht sehen (wollen): Im Bett ist er eine Niete. Aber soll man sich deswegen trennen?
Über achtzig Prozent der Leserinnen unserer exklusiven PETRA-Umfrage sind sich einig und würden ihren Partner nicht verlassen. Und das, obwohl fast die Hälfte zugibt, mit ihrem Liebesleben eher unzufrieden zu sein (11 Prozent) oder ihn nur okay (34 Prozent) findet. Okay? Die Gartenparty des Nachbarn kann ein „Okay“ kassieren. Der Latte macchiato im Café um die Ecke schmeckt vielleicht okay, oder der „Tatort“ bekommt wieder mal nur ein „Mittelmäßig“. Aber der eigene Sex? Puh, das ist übel. Da könnte man ja meinen, dass es die 22 Prozent der Singles in unserer Umfrage besser haben.

Das Rät die Sex-Expertin
Yella Cremer aus Berlin ist Sex-Expertin und Buchautorin. Sie ist nicht überrascht über die Unzufriedenheit: „Viele Menschen erfahren nicht den Sex, den sie sich wünschen, sondern eine lauwarme Version davon.“ Vielleicht sind wir einfach zu anspruchsvoll oder naiv, wenn wir meinen, mit dem Top-Typen auch automatisch den Top- Sex zu bekommen. Und außerdem kann es am Anfang sehr wohl stimmen, aber nach ein paar Jahren erscheint der Sex langweilig und mies. Weil die Bedürfnisse des Einzelnen sich im Laufe einer Partnerschaft verändern. Das bestätigte auch der amerikanische Sexualtherapeut David Schnarch (ja, der heißt wirklich so…). In einem Interview mit „Zeit Online“ sagte er: „Am Anfang einer Beziehung entscheiden im Bett beide Partner für sich, was sie gern machen wollen und was nicht – je nach der jeweiligen sexuellen Entwicklung. Eine sexuelle Beziehung besteht also aus der Schnittmenge der sexuellen Vorlieben. Und davon lebt man dann. Da spielt es keine Rolle, dass man sich anfangs nackt vom Kronleuchter geschwungen hat – auch das wird nach fünf Jahren eben langweilig.“

Trotzdem glauben knapp achtzig Prozent der PETRA-Leserinnen, dass sich der Sex verbessern lässt, wenn beide Partner sich Mühe geben. „Der erste Schritt ist, das überhaupt zu erkennen“, sagt Expertin Yella Cremer. Nur, wie spricht man dieses heikle Thema an? „Schatz, da gibt es so ein ,How to do it‘-Video bei YouTube, schau dir das doch mal an“? Mit dem Liebsten über unsere Vorlieben zu sprechen, fällt uns schwer. Weil wir den anderen nicht verletzen wollen und dazu unsere Komfortzone verlassen müssen. Das braucht Mut. Will man etwas ändern, führt aber kein Weg daran vorbei. Wie geht man vor? „Schreiben Sie Ihre Wünsche zunächst im stillen Kämmerlein auf, oder vertrauen Sie sich einer Person an. Dadurch vermeiden Sie, Ihre Vorstellungen abzuschwächen“, sagt Yella Cremer. Bevor Sie jetzt allerdings mit der Wunschliste zu Ihrem Partner rennen, überlegen Sie noch mal kurz und fragen Sie sich: Wie verhalte ich mich eigentlich im Bett? Kann ich mich gehen lassen? Bin ich zu schüchtern oder zu kontrolliert? Denn, mal ehrlich: Zu schlechtem Sex gehören immer zwei. Wir können nicht vom Mann Höchstleistungen erwarten – und selbst so spannend agieren wie die Figuren in einem Rosamunde-Pilcher-Roman. Selbstreflexion schadet nicht auf dem Weg zu einem erfüllten Liebesleben. Der Paartherapeut und Autor Wolfgang Krüger („Freiraum für die Liebe: Nähe und Abstand in der Partnerschaft“, Herder, 184 S., 9,99 Euro) geht noch einen Schritt weiter: „Wer nur über Stellungen und Praktiken redet, bleibt zu sehr an der Oberfläche. Fragen Sie sich deshalb immer, ob die Basis Ihrer Liebe – das Vertrauen – gegeben ist.“ Trotzdem ist es manchmal nicht unpraktisch, ein paar handfeste Tricks zu kennen. Zum Beispiel die einfache, aber wirkungsvolle „Slow Motion“-Methode: „Verlangsamen Sie zwischendurch das Tempo und fixieren Sie sich nicht auf den Orgasmus. So bekommen Sie ein Gefühl für den Körper des anderen. Nach 15 Minuten darf dann wieder auf Normalgeschwindigkeit umgeschaltet werden“, rät Expertin Yella Cremer. „Es kann auch nicht schaden, Coachings oder Workshops zu besuchen. Wer bereit ist, für sein kaputtes Auto eine Stange Geld hinzulegen, sollte dies auch ins Liebesleben investieren.“
„Das Problem: Die meisten Frauen senden Doppelbotschaften“
Und was, wenn man sich zum Beispiel einfach mal nur wilden, alles um sich herum vergessenden Sex wünscht? Streicheleinheiten und Zärtlichkeiten sind wichtig, klar. Aber wenn sich der Partner so vorsichtig verhält, als würde er mit einer Ming-Vase ins Bett gehen, wird es unsexy. „Das Problem: Die meisten Frauen senden Doppelbotschaften“, sagt Yella Cremer. Im Klartext heißt das: Verwuschle mir die Haare – aber weck nicht die Kinder. „Dahinter steckt die Angst vor Kontrollverlust und die gleichzeitige Sehnsucht danach. Männer verwirrt sowas oft“, sagt Expertin Cremer. Machen Sie einen Deal: Er darf zuerst mit Ihnen machen, was er will, und dann umgekehrt. Wenn trotz allem keine Besserung eintritt? Dann könnten wir mit Sack und Pack durch die Tür und unserer eigenen Wege gehen. Machen wir aber nicht.

Warum? Na, weil wir verdammte Romantikerinnen sind. Wir glauben an die wahre Liebe und hoffen weiter, dass alles besser wird. „Außerdem“, fügt Psychologe Wolfgang Krüger hinzu, „empfinden viele Paare Sexualität als zweitrangig. Humor, Kommunikation und pragmatischen Dingen des Alltags wird oft eine höhere Bedeutung beigemessen.“
Gemeinsame Werte sind wichtiger als das, was im Schlafzimmer abläuft. Was nützt eine Granate von Mann im Bett, wenn er zu knauserig ist, mal einen Kaffee auszugeben oder anfängt, sich die Nägel zu schneiden, sobald man ihm etwas Wichtiges erzählen möchte? Eben. Mit mittelmäßigem Sex müssen wir uns trotzdem nicht zufriedengeben. Wenn sich zwei Menschen lieben und die Lebenskonzepte zusammenpassen, wäre es doch gelacht, wenn man nicht auch grandiosen Sex haben könnte. Denn was gibt es Schöneres, als sich nach einem doofen Arbeitstag über das Gesicht des anderen zu freuen, sich zwischen Tiefkühlpizza und Weißwein zu lieben – und anschließend über dieselbe Stelle im Film zu lachen?