
Ein Glück, dass niemand mich sehen kann, während ich diesen Text schreibe. Ich sitze an meinem Küchen-, äh, Schreibtisch. Statt High-Heels trage ich Hausschuhe im Tigertatzen-Look, und meine Haare sehen auch aus, als hätte ich gerade mit einem Tiger gebalgt. Das passt prima zu meiner ausgebeulten Lieblings-Jogginghose. Derer habe ich mittlerweile drei, keine älter als ein halbes Jahr. Gemütlichkeit statt Styling – ein Segen.
Denn seit sechs Monaten ist für mich Realität, was sich laut einer Umfrage des Headset-Herstellers „Plantronics“ 76 Prozent der Deutschen wenigstens für einige Tage in der Woche wünschen: Ich arbeite zu Hause. Als Journalistin kann ich ja überall schreiben, wo ein Computer mit Internetzugang steht. Inzwischen bieten aber auch viele andere Branchen den Angestellten „alternierende Telearbeit“ an: die Möglichkeit, an einigen Tagen pro Woche nicht im Büro, sondern in den eigenen vier Wänden zu arbeiten. Bei Firmen wie IBM, BMW oder Siemens sind entsprechende Modelle schon seit Jahren gang und gäbe, nicht nur in den Chefetagen. Wurden 1994 nur rund 150.000 sogenannte Telearbeiter in Deutschland gezählt, sind es mittlerweile schon mehr als zwei Millionen. Rund 20 Prozent der Firmen haben für ihre Angestellten solche Arrangements in petto, so eine Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Mein größter Vorteil bei der Heimarbeit ist die halbe Stunde Anfahrtszeit, die ich mir jeden Morgen spare. Statt im Stau zu stehen oder auf den Bus zu warten, brauche ich nur sieben Schritte aus dem Bett, schon sitze ich an meinem Küchen-Schreibtisch. Und weil mich keine Kollegen mit dem neuesten Flurklatsch stören, werkele ich effizienter denn je vor mich hin: An einem Tag zu Hause schaffe ich mehr als an einem durchschnittlichen Büro-Tag. Zugegeben, dafür habe ich jetzt andere Probleme: Sie heißen „Verwahrlosung“ und „soziale Verarmung“ – und ich müsste ihnendringend entgegenwirken. Aber der Reihe nach.
Wenn man mit mehr als drei Frauen zusammenarbeitet, macht man sich morgens tausend Gedanken über sein Outfit. Schließlich will man nicht schlechter angezogen sein als Bettina, die blöde Kuh aus der Buchhaltung. Als Angestellte im Home-Office wähle ich
morgens nur noch zwischen meinen drei Schluffi-Hosen, und das Make-up lasse ich ganz weg. So kann ich natürlich nicht aus dem Haus gehen. Also bleibe ich tatsächlich den ganzen Tag in meiner Wohnung. Womit wir beim nächsten Knackpunkt wären: Ich bin der einzige Bewohner des Planeten Angela. Auch wenn die Buchhaltungs-Bettina eine Tratschtante ist und die Betriebsrats-Karin ein Messie: Mit denen könnte ich mich wenigstens unterhalten. Zu Hause spreche ich nur mit mir selbst oder mit der Katze, und beides nicht besonders angeregt. Der Vorteil beim Heimspiel: Der Ablenkungsgrad fällt deutlich niedriger aus als im Großraumbüro. Wenn ich mich doch mal nach nervtötendem Kreißsägen-Sound sehne, rufe ich einfach Bettina an. Mein Instinkt sagt mir allerdings: Bloß nicht stündlich beiden fernen Kolleginnen durch klingeln und fragen, was so los ist. Denn das signalisiert Langeweile. Und auch nicht stundenlang Privatgespräche mit der Freundinüber die Schlafgewohnheiten von Klein-Paul oder die Ausgehpläne fürs Wochenende führen.
Selbst-Disziplin ist obligatorisch im Home-Office: Arbeit ist Arbeit, Freizeit ist Freizeit. Klingt furchtbar streng? Keine Sorge, haut bei mir auch nicht immerhin. Wenn meine Oma am Vormittag anruft und fragt: „Warum bist du denn so kurz angebunden, Mäusi?“, müsste ich ihr eigentlich kla rmachen, dass ich zwar zu Hause bin, aber deswegen noch lange nicht frei habe. Ja, genau: „müsste“ und „eigentlich“. Schaffe ich selten. Gerade im Heimbüro sollte man sich jedoch an die klassischen Kernarbeitszeiten halten, denn man muss für die Außenwelt – den Chef, die Kunden und Auftraggeber – erreichbar sein. Die ideale Heimarbeiterin verfügt, anders als ich, vermutlich über ein separates Arbeitszimmer. Während mir am Küchentisch tausend Dinge einfallen, die ich dringend noch erledigen müsste („Wann habe ich das letzte Mal den Küchenboden gefeudelt?“), lenkt einen im Arbeitszimmer wohl höchstens die eigene Unlust ab. Und wer über den Tag die Zeit vertrödelt, muss die Arbeit eben in der Freizeit nachholen.
Dabei wollte ich die Abende und das Wochenende doch fürs Privatleben reservieren. Aber auch da versage ich oft. Denn ich neige dazu, noch im Bett die letzten E-Mails per Laptop zu beantworten. Und am Wochenende erliege ich oft der Versuchung, eine tolle Idee direkt ins Dokument zu tippen, statt sie erst nur auf einem Zettel zu notieren und bis Montag zu warten. Ich mag meinen Job eben! Die spontane Mehrarbeit wurde auch in der „Plantronics“-Umfrage nachgewiesen: 29 Prozent der Befragten waren per Heimarbeit ein bis drei Stunden zusätzlich pro Woche für den Auftraggeber tätig. Das sollte ein schlagkräftiges Argument sein, falls Sie mit Ihrem Chef über Telearbeit verhandeln möchten.