
Es war Liebe auf den ersten Klick. Wochenlang hatten die beiden knisternde Mails ausgetauscht: Susanne, die Touristik-Kauffrau, und Jochen, der kernige Architektur- Student. Dann kam, was kommen musste: das erste echte Date. Doch als Jochen mit seinem Liegefahrrad vorfuhr, versiegte bei Susanne schlagartig jedes romantische Gefühl – so unsexy fand sie den horizontalen Drahtesel, den ihrer Meinung nach nur „früh pensionierte Ornithologen und ausgemergelte Bequemschuh- Träger“ fahren. Mr. Wrong zog sich den Fahrradhelm vomKopf (ihr zweites No-Go), klingelte – und Susanne machte einfach nicht auf. Weder ihre Haustür noch ihr Herz. Das war aber eine Ausnahme, sagt sie. Sonst liefen die Treffen, die Susanne über Online-Börsen wie parship oder finya verabredet hatte, meist super. Die große Liebe hat sie zwischen den Bits und Bites zwar nicht gefunden – aber jede Menge netter Kerle, neuer Freunde und erfrischender Affären.
Vielleicht war Susannes missglücktes Date tatsächlich ein Ausrutscher. Zahlreiche Psychologen glauben jedoch, dass sich die Liebe im Internet-Zeitalter dramatisch verändert: Einerseits geben wir uns der Illusion hin, einen Menschen zu kennen, und verabreden uns erwartungsvoll mit ihm. Andererseits servieren wir ihn sofort ab, falls er nicht unseren Ansprüchen genügt – schließlich warten im World Wide Web Tausende weitere Willige auf uns. Susanne schwört auf die Partnersuche im Internet.„Man muss sich nicht mehr aufbrezeln und stundenlang in schlechter Luft stehen. Ich kann Sonntagabends bequem mit Puschen, ausgebeultem Wollpulli, ungekämmten Haaren und Schnupfennase mit dem Laptop auf der Couch chillen und virtuell flirten – das ist einfach unschlagbar!“ Das findet auch Maren. Zwei Jahre lang surfte die Leiterin eines Dentallabors durch das Netz–und verabredete sich fast jede zweite Woche mit einem neuen Mann.„Total spannend.JedesTreffen ist wie ein Überraschungs-Ei. Man weiß nie, was drin ist.“ Zwar wurden vorher E-Mails und Fotos getauscht, vielleicht schon mal telefoniert. „Aber ob man jemanden wirklich mag oder sich sogar in ihn verlieben könnte, weiß man erst, wenn man ihm real gegenübersitzt“, sagt sie. Liebe als Lotterie.
„Wir verlieben dich!“ lautet der Slogan einer großen virtuellen Kontaktbörse – und rund neun Millionen Menschen, also dreimal die Einwohnerzahl Berlins, haben diesem und ähnlichen Versprechen im vergangenen Jahr geglaubt und sich auf Dating-Plattformen registriert. Goldgrube Einsamkeit: 85 Millionen Euro war den Deutschen die virtuelle Partnersuche 2008 wert. Die Prognose für 2009 beläuft sich auf mehr als 100 Millionen Euro, Mitgliedsbeiträge und Verbindungskosten eingerechnet. Da liegt der Verdacht nahe, dass den Internet- Chefs das „Versinglen“ lieber sein müsste als das „Verlieben“. Denn suchende Singles zahlen – glücklich Liierte nicht. Doch angeblich fanden schon 5,5 Millionen ihr Liebesglück auf diesem Weg. Und jeder zweite Deutsche kann sich vorstellen, dass ihm sein nächster Partner im Netz ins Netz geht. „Das Web verändert die Einstellung von Männern und Frauen zur Liebe grundsätzlich, weil es einen riesigen Pool an möglichen Kandidaten eröffnet“, sagt die Soziologin und Internet-Expertin Eva Illouz. „Im 19. Jahrhundert bekam eine Frau vielleicht drei Angebote in ihrem gesamten Leben“, so Illouz.

Fakt ist: Online-Dating hat den Liebes- Markt genauso revolutioniert wie E-Bay die Schnäppchenjagd. Auf der Suche nach einer original Moto-Cuir-Lederjacke aus den 70ern kann man tagelang Secondhand-Läden durchkämmen – oder man gibt seine Such-Kriterien im Internet ein und hat sofort drei Exemplare mit Foto vor Augen. Ohne sich einen Millimeter vom Sofa weg zu bewegen. So funktioniert auch Online-Dating. Aber darf man das der Liebe antun? Darf man dieses altmodische, heilige Wunder- Gefühl durch die elektronischen Netzwerke jagen und es konsumieren? Ist das nicht total unromantisch? Entmystifiziert? „Sich zu verlieben war einst Hingabe an eine höhere Kraft, Ausdruck einer schicksalhaften Begegnung. Jetzt wird es zu einer Frage des Handelns, der Selbstbeherrschung“, klagte neulich der Verfasser eines schwermütigen Blog- Aufsatzes über Liebe in der Neuzeit. Online-Dating, so befürchten die Pessimisten, verwandele Liebes-Suchende in überambitionierte Verkäufer und misstrauische Kunden – wie beim Gebrauchtwagen- Markt. „Sie sind ein Produkt, das Sie verkaufen wollen! Machen Sie sich zum iPod unter den Männern“, peitscht denn auch der Ratgeber „Der perfekte Online Verführer“ seine Leser durch die Seiten – und befiehlt präzise,welche Tages- und Uhrzeiten, Nicknames, Profil- Texte und Anmach-Sprüche zu benutzen sind, um zum „virtuellen Scharfschützen“ zu werden.
LIEBE IM NETZ
• Spielwiese für alle Das Internet wird als Ort zum Kennenlernen wichtiger – und beliebter, zeigt eine Emnid-Umfrage. Demnach trafen die meisten Deutschen ihren Partner am Arbeitsplatz, auf Platz zwei folgt, ganz klassisch, der Freundeskreis – und schon auf Platz drei das Netz.
• Anmelde-Flut Rund 40 Millionen Neu- Registrierungen bei so genannten Kontakt- Portalen wurden in den vergangenen neun Jahren gezählt – allein in Deutschland.
• Beziehung ohne Grenzen Da verliebt man sich via E-Mail in einen Mann und stellt fest: Er wohnt am anderen Ende der Welt! Kein Problem, finden 88 Prozent der netzaktiven Singles – und wären bereit, für die große Liebe umzuziehen, auch ins Ausland, so eine Studie von FriendScout24.de.
Experten und Psychologen warnen eindringlich vor den Gefahren der Optimierungs- Sucht. Deren Opfer:Web-Junkies mit Augenringen, die – ständig gehetzt von der Option, dass sich hinter dem nächsten Profil vielleicht jemand nochTolleres, noch Passenderes verbirgt – das restliche Leben vergessen und kaum noch Geduld für manchmal komplizierte, aber eben echte „Real Life“- Begegnungen aufbringen. Und noch eine zweite Gefahr verdunkelt den virtuellen Liebes-Himmel: die Eifersucht! Immer mehr User so genannter Freundschafts-Netzwerke wie Facebook oder Xing kontrollieren akribisch, mit wemder Partner befreundet ist, wemer besonders oft und nett schreibt, wann er sich einloggt, was er über sich preisgibt, welche Seiten er aufruft und welche Begriffe er googelt. „Kontrollsucht“ nennt sich das neue Problem, das mittlerweile eigene Therapeuten ernährt.
Fazit: Das Netz ist hilfreich, wenn man intelligent zu nutzen weiß, was es bietet – nämlich die Möglichkeit, sich psychisch nahe zu kommen, bevor man physisch übereinander herfällt. Denn via E-Mail oder Chat zählen erst mal vor allem geistige Fähigkeiten wie Wortwitz und Originalität. Die Buchstaben müssen stimmen, die Chemie–vorerst–noch nicht. Menschen,die wir sonst vielleicht wegen ihres Aussehens sofort aussortiert hätten, haben so etwas länger eine Chance. Es sei denn, sie vermasseln alles, indem sie dann zum ersten Date mit dem absolut falschen Fortbewegungsmittel aufkreuzen. Sie wissen schon... Letztlich ist es alles ganz einfach:Wenn man eines Tages leibhaftig voreinander steht, dann passiert „es“ – oder eben nicht. Niemand kann hinreichend die Magie erklären, die wirkt, wenn sich zwei Menschen ineinander verlieben. Sie lässt sich nicht berechnen, nicht planen, nicht zwingen. Das gewisse Etwas, der göttliche Funke – der ist und bleibt ein Mysterium. Auch in Cyberspace- Zeiten. Zum Glück!
PETRA: Ein Schlager von Rex Gildo heißt „Das Ende der Liebe“, genau wie Ihr Buch. Hat sich in den letzten Jahrzehnten an den Beziehungsproblemen denn gar nichts geändert?
Hillenkamp: Ja, tatsächlich, so hieß eine frühe Platte von Rex Gildo. Auch in meinem Buch geht es um Liebeskummer, aber in einem viel umfassenderen Sinn: Ich wollte herausfinden, wieso es heute so schwierig ist, dauerhafte, erfüllende Liebesbeziehungen aufzubauen, jedenfalls für die meisten. Meine These: Wir haben so viele Freiheiten wie nie zuvor – aber das bringt neue Probleme mit sich.
PETRA: Erklären Sie das bitte mal genauer.
Hillenkamp: Wir kennen und akzeptieren ungezählte Spielarten der Liebe: die Ehe mit Trauschein oder ohne, serielle Monogamie, Single-Dasein bis hin zum Modell, bei dem sich Frauen ganz gezielt jüngere Männer als Partner suchen. Einerseits ist das ein Vorteil, andererseits ergibt sich daraus ein logisches Problem: Wenn alles möglich ist, wenn das große Glück sozusagen hinter jeder Ecke lauert – dann müssen Sie sich ständig fragen: Habe ich mich jetzt richtig entschieden? Verpasse ich etwas? Sollte ich weitersuchen, um noch zufriedener zu sein? Das erzeugt einen ungeheuren Vergleichsdruck. Ich nenne dies die „Nachtseite“ der Freiheit. Das Internet trägt natürlich auch dazu bei.
PETRA: Was läuft falsch im Internet?
Hillenkamp: Das Internet ist nur eine Arena von vielen. Hier gibt es eine unendlich scheinende Auswahl möglicher Partner. Aber dasselbe gilt heute auch für die Bar oder fürs Büro: Man präsentiert sich von der besten Seite, beginnt ein Gespräch, einen Chat, eine Flirt – und stellt schnell eine Art Halbnähe her. Dabei gehen wir oft rational vor: Komme ich gut an? Oder verschwende ich meine Zeit? Die Menschen wissen: Sie könnten jederzeit weitersuchen. Das Internet hat den Vor- oder Nachteil, dass Sie Ihr Gegenüber „wegdrücken“ oder „löschen“ können. Denn es warten ja Millionen andere, neue emotionale oder erotische Sensationen.
PETRA: Trotzdem hält die Sehnsucht nach einer stabilen Liebe an, oder?
Hillenkamp: Aber ja! Die Menschen sehnen sich nach Treue, Beständigkeit – nur setzen wir uns heute viel stärker unter Druck. Enttäuschungen in der Liebe werden oft als peinliches Total-Versagen wahrgenommen, „selbst Schuld“. Umso aufgeheizter, oft auch gehetzter, beginnt die Suche dann von vorn. Und wir vertrauen einander weniger. Es entsteht ein Klima, das die Eifersucht fördert: Wir vergleichen uns und den Partner ständig mit anderen, ahnen, dass er es umgekehrt genau so mit uns macht – und haben oft Angst, nicht zu genügen.
PETRA: Wie kommen wir da heraus?
Hillenkamp: Keine Formel kann uns aus diesem Dilemma erlösen. Ich bin Journalist und Autor, kein Psychologe. Mein Buch soll die Menschen entlasten: Sie sind nicht unreif oder neurotisch, sondern leben in einer Welt, in der es die Liebe schwer hat. Ich denke, wir verwechseln „Attraktion“ häufig mit Liebe. Das eine geht sehr schnell – das andere braucht Zeit.
Klett-Cotta, 311 S., 22,90 € Der Autor lebt mit Frau und Kind in Berlin und Stockholm