
Es war einmal ein Märchen. In diesem Märchen trafen sich ein Mann und eine Frau, wurden ein Paar, und wenn sie nicht… Okay, vergessen wir das. Das echte Leben ist doch etwas facettenreicher und schillernder. Anstatt von einem Prinzen im weißen Ferrari abgeholt zu werden, verliert man sein Herz unversehens an den verheirateten König, fängt mit ihm eine Liaison an, fällt unprinzessinnenhaft auf die Nase und steht wieder auf. Schnell wird das Kleid ausgeklopft – das Leben geht weiter.
In anderen Kapiteln verliebt man sich rettungslos in die böse Stiefschwester, und dem Prinzen gibt man gut gelaunt einen Korb –und am Ende wundert man sich. Wie konnte man jemals annehmen, dass die Liebe sagenhaft einfach sei? Wobei sie es in gewisser Weise trotzdem ist: Steht das Herz lichterloh in Flammen, schmeißen wir mit einem Mal alle Regeln über Bord, die bis eben noch eisern galten. Moral? Ein dehnbarer Begriff. Anstand? Prinzipiell eine gute Sache, wenn man es sich leisten kann. Eins lernt man, je weiter man durch die Seiten blättert: Es ist sehr leicht, über das Verhalten anderer zu urteilen. Aber es passiert genauso leicht, dass man sich in einer Situation befindet, mit der man nie gerechnet hätte – und in der alle Pauschalurteile hinfällig sind. Und so bleibt am Ende nur eine Wahrheit: Die besten Geschichten erzählt das Leben selbst.
Nicola, 29, aus Berlin
Der Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, war ein schwüler Dienstag im August. Das weiß ich noch, und das weiß er noch. Er ist Musiker. Später, als wir dann längst zusammen waren, schrieb er ein Lied über diesen ersten Tag. Er hat mich irgendwann später gefragt, ob wir zusammen ausgehen wollen, und ich sagte einfach Ja. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich von einer Bekannten schon, dass er eine Freundin hat. Die wohnte 600 Kilometer entfernt und tauchte nur ganz am Rande meines Horizonts auf. Anscheinend bei ihm auch.
Vor dem ersten Kuss hat er mir dann selbst gesagt, dass er vergeben sei. Und mir gleichzeitig gestanden, dass er sich unsterblich in mich verliebt habe. Ich habe ihn trotzdem geküsst, weil es sich einfach richtig angefühlt hat. Für mich war sonnenklar, dass er sie früher oder später verlassen würde. Er hat Gedichte und Lieder für mich geschrieben, mich seinem Bruder vorgestellt und seinen Eltern von mir erzählt. Schnell kannte ich all seine Freunde. Manchmal vibrierte sein Handy die ganze Nacht, seine Freundin hat bestimmt fünfzigmal hintereinander versucht, ihn anzurufen. Für mich war es ein Liebesbeweis, dass er nicht an sein Telefon ging.
Irgendwann hat er ihr von mir erzählt. Sie ist sehr traurig geworden. Das war’s aber auch schon. Eine Trennung wollte sie nicht. Und genau an dem Wochenende muss es dann passiert sein. Im Nachhinein habe ich mir viele Varianten zusammengereimt: Er erzählt ihr von mir, sie lässt aus Wut die Pille weg und schläft mit ihm. Keine Ahnung, ob es so war und ob so was überhaupt möglich ist. Kurz darauf war er plötzlich verändert. Drei Tage habe ich gebohrt, was los ist. Schließlich habe ich es erraten: Sie war schwanger. Ich bin durchgedreht. Habe geschrien, ihn beschimpft und um mich geschlagen. Habe mich krankschreiben lassen für eine Woche. Meine Welt ging unter, und die einzige Person, die mich trösten konnte, war er. Er wolle das Kind nicht, meinte er. Er sei sich nicht mal sicher, ob es von ihm sei. Solche Sätze ließen mich zwar hoffen, trotzdem habe ich jeglichen Kontakt abgebrochen. Er schickte mir Blumen und Liebeserklärungen zum Valentinstag, ich schrieb bitterböse Mails zurück.
Und dann trafen wir uns doch wieder. Das noch ungeborene Kind war kein Thema, die Freundin immer noch 600 Kilometer entfernt. Unsere Liebe wurde intensiv, weil sie so begrenzt war. Sobald seine Freundin zu ihm ziehen würde, wäre alles vorbei, da war ich mir sicher. Als das Baby da war, habe ich versucht, es aus dem Kopf zu kriegen, wollte weder das Geschlecht noch den Namen wissen. Aber es lag immer mit uns im Bett, in meiner Fantasie. Schließlich habe ich endlich einen Cut gemacht. Seitdem vermisse ich ihn jeden Tag. Vor Kurzem habe ich alle drei gemeinsam getroffen. Ich wusste immer, dass dieser Tag kommen würde, hatte Angst davor. Er umarmte mich, wollte mich nicht mehr loslassen – während seine Freundin mit dem Kinderwagen fünf Meter von uns entfernt stand. Er hat uns nicht vorgestellt. Und er hat sich nicht neben sie gestellt, neben die Mutter seines Kindes. Das ist der letzte Vorwurf, den ich ihm mache: Wenn man eine Entscheidung trifft, muss man zu ihr stehen.
Franziska, 31, aus Köln
Meine Beziehungen zu Männern hatten sich immer schnell wieder erledigt. Das ganz große Gefühl wollte nicht aufkommen, aber ich beruhigte mich damit, dass der Richtige schon noch kommen wird. Dann traf ich Juliane. Sie war groß, hatte tolle lange Haare und grüne Augen. Wir lernten uns auf einer Fortbildung kennen, tauschten Mailadressen aus, trafen uns zum Kaffee. Ich fand sie vom ersten Tag an interessanter und aufregender als meine anderen Freundinnen. Wenn sie in den Raum kam, wurde der Raum gleich ein bisschen heller.
Schon nach wenigen Wochen kam mir jede Party ohne sie langweilig vor – ständig musste ich an sie denken. Die Glücksgefühle, wenn ich mit ihr und anderen Freundinnen unterwegs war, waren so intensiv, dass ich meinem damaligen Freund gegenüber ein ganz schlechtes Gewissen hatte. Wenn sie mich anrief und sich mit mir treffen wollte, ließ ich alles stehen und liegen. Kein Wunder, dass mein Freund davon irgendwann schwer genervt war. Einmal meinte er grinsend, dass wir doch mal über einen Frauenurlaub nachdenken sollten – wir könnten ja nach Lesbos fahren. Das traf mich, weil ich selbst längst verunsichert war. Schon zwei Tage ohne Juliane kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte, und quälte mich mit Selbstzweifeln.
Nein, ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich mich in meine beste Freundin verliebt hatte. Zu groß war die Angst, zur Außenseiterin zu werden. Dass Juliane auf Männer steht, das war von Anfang an klar. So wie ich ja eigentlich auch. Ich versuchte krampfhaft, mich zusammenzureißen und Juliane bewusst wie eine normale Freundin zu behandeln. Das fiel mir wahnsinnig schwer, weil Juliane meine Liebe ständig befeuerte, indem sie mich vor anderen Männern demonstrativ berührte. Mal lag ihre Hand zwischen meinen Oberschenkeln, dann küsste sie mich vor Kollegen direkt auf den Mund. Ich war jedes Mal wie versteinert. Glücklich und zugleich in Panik. Aber die Zärtlichkeiten fanden nur statt, wenn andere Männer zuschauten. Wenn wir zu zweit waren, war Körperkontakt tabu.
Irgendwann kapierte ich, dass sie sich durch ihr Verhalten nur bei anderen Männern interessant machen wollte. Ich war enttäuscht und versuchte, Abstand zu ihr zu gewinnen und mich nicht mehr so oft mit ihr zu treffen. Sie rief mich auch immer seltener an und zog bald mit anderen Freundinnen um die Häuser. Juliane war die erste und letzte Frau, in die ich heimlich verliebt war. Inzwischen habe ich mich geoutet und stehe dazu, dass ich Frauen liebe.
Isabell, 31, aus Bremen
Ein Verhältnis zwischen Kantine und Konferenzraum – dafür bin ich eigentlich gar nicht der Typ. Und das Foto auf seinem Schreibtisch hatte ich natürlich sofort gesehen, ein akkurat gerahmtes Bild von seiner Frau und seinen zwei Kindern. Also hielt ich mich von ihm fern und versuchte, gegen meine Zuneigung anzusteuern – dabei fand ich ihn sofort attraktiv. Als er dann bei einem Mittagessen im Kollegenkreis erzählte, dass er sich wegbewerben wolle, wurde mir ganz anders. Den ganzen Nachmittag fühlte ich mich schlecht, konnte mich nicht mehr konzentrieren. Irgendetwas trieb mich dazu, ihm eine Mail zu schreiben. Ich fragte ihn, ob er mir ein paar berufliche Fragen beantworten könne. Er schrieb sofort zurück. Von da an hatten wir fast täglich Mailkontakt. Anfangs ging es um den Job, bald wurde es privat. Als er mir erstmals an einem Sonntag eine SMS schickte, war ich selig. Das Gefühl, dass er auch im Kreis seiner Familie an mich denkt, gab mir die Sicherheit, dass ich ihm etwas bedeute.
Dann kam die Weihnachtsfeier – ein Klassiker. Wir tanzten eng umschlungen. Sein Atem auf meiner Wange, seine Hände auf meinem Rücken, es war wunderschön. In dieser Nacht hat er zum ersten Mal mit mir geschlafen. Wir waren einander so nah, blieben die ganze Zeit wach. Mir gingen tausend Dinge durch den Kopf. Die Trennung von seiner Familie, unsere Zukunft mit gemeinsamen Kindern. Dass er am nächsten Tag zu seiner Frau zurückmusste, verdrängten wir einfach. Von da an schufen wir uns eine Art Parallelwelt. Jeden Morgen trafen wir uns zum Frühstück in seinem Büro, wenn noch niemand sonst da war. Hinter dem Rücken der Kollegen berührten wir uns an den Händen. Ich mochte das Versteckspiel, fand die fragenden Blicke der Kollegen aufregend.
Er dagegen hatte ständig Angst um seinen Ruf. Mich quälte nur die Angst, dass er doch bei seiner Familie bleiben würde. Immer hatte ich das Gefühl, schon ein paar Schritte weiter zu sein als er. Ich dachte darüber nach, in welchen Stadtteil wir ziehen könnten, als er noch an einen Flirt glaubte. Nach einem Jahr konnte er sich endlich durchringen, seiner Frau zu sagen, dass er sich in mich verliebt hatte.
Doch drei Tage später kriegte er Panik. Er teilte mir beim Mittagessen mit, dass er sich ein Leben ohne seine Kinder nicht vorstellen könne und bei seiner Familie bleiben wolle. Ich war so unglaublich wütend, fühlte mich gedemütigt und verraten. Ich bin wie ferngesteuert ins Büro gerannt und habe allen erzählt, dass wir seit fast zwei Jahren eine Affäre haben. Ich dachte, wenn alle im Job es wissen, kann er nicht mehr zurück in seine verlogene Familienwelt. Genützt hat das alles nichts. Er ließ sich versetzen, damit wir nicht mehr rückfällig werden. Nie wieder will ich so verletzt werden. Von verheirateten Kollegen bin ich für alle Zeiten geheilt.
Christine, 27, aus Hamburg
Acht Jahre war ich seine Geliebte. Vor unseren Freunden spielte ich die lustige Chris, auch wenn mir zum Heulen war – weil niemand wissen durfte, dass ich etwas mit dem Freund von Anne habe. Anne, die ja auch zu unserer Clique gehörte. Nachmittags gingen wir alle zusammen ins Café oder ins Schwimmbad: meine Affäre, seine Freundin, ein paar Kumpel und ich. Abends, nach seiner Spätschicht, kam er heimlich zu mir.
52% würden ihren Partner verlassen, wenn er fremdgeht (Quelle: Reader’s Digest)
Unsere Nächte entschädigten mich für vieles: Ich habe es genossen, neben ihm zu liegen, so als wären wir in unserem gemeinsamen Bett. Es fühlte sich richtig an, wir gehörten zusammen. Dass er im Morgengrauen gehen musste – wegen einer Frau, die ich langweilig und so mittelmäßig hübsch fand –, tat mir weh. Ich konnte nie verstehen, dass sie von unserer Liebe nichts mitbekam. Ich dachte, dass man mir meine Gefühle für ihn ansehen müsste. Aber sie war so mit ihrer Eifersucht auf jede Frau beschäftigt, dass ich als eine von vielen möglichen Betrügerinnen nicht weiter auffiel. Ich fand sie einfältig, ein graues Mäuschen, das selbst niemals fremdgehen würde. Wirklich leid tat sie mir nicht – im Gegenteil. Wie konnte sie ihm bloß jahrelang seine Lügen abkaufen?
Dass er mich liebt, daran zweifelte ich nie. Ich wäre auch im Traum nicht darauf gekommen, dass er mich verlassen könnte. Als er mir eines Abends sagte, dass sie heiraten würden, fiel ich aus allen Wolken. Ich war unglaublich schockiert und verletzt. Wir hatten dann monatelang keinen Kontakt, bis er eines Abends wieder vor meiner Tür stand – und ich schwach wurde. Ab da trafen wir uns oft morgens bei ihm. Wenn seine Frau arbeiten ging, stand ich schon hinten im Garten. War sie weg, kam ich rein. Ich lag in ihrem Ehebett, ihre Wohnung war meine Wohnung. Erst nach acht Jahren bekam ich Angst, dass ich mir mein Leben verbaue, weil ich mir die Chance auf eine eigene Familie nehme. Ich brauchte meine ganze Kraft, um ihn zu verlassen. Heute bin ich in einer festen Beziehung und liebe meinen Freund über alles. Und ich bin schwanger! In ein paar Wochen werde ich endlich die Familie haben, um die ich meine Freundinnen immer beneidet habe.