

Trends scheinen Ihnen nicht wichtig zu sein. Alle anderen (und ich auch) mussten sich in diesem Sommer mit diesen Problemen herumschlagen: Brauche ich eine Culotte? Macht sie nicht zu kurze Beine? Was ziehe ich dazu an? Sollte ich mir nicht doch lieber eine Flared Jeans zulegen...? Oder ein Paar dieser Palazzo-Pants? Kann ich damit Rad fahren? Was denn nun? Seufz! So ist das nämlich: Wer sich für Mode interessiert, wird ständig mit neuen Ansagen bombardiert. Mal sollen die Hosen eng sein, dann wieder weit, die Sonnenbrillen rund mit rosa Gläsern oder groß und verspiegelt, die Taschen Hippie-fransig und beutelig, ohne Pop-Art-Clutch geht es aber auch nicht. Puh. Kein Tag vergeht, an dem auf Instagram oder Facebook nicht irgendein Teil zum ultimativen Must-have hochgejubelt wird. Und: Die Kollektionen bei H&M, Zara & Co wechseln schneller, als man „Gibt’s das auch in meiner Größe?“ fragen kann. Selbst die High- End-Labels belassen es nicht mehr dabei, im Winter und im Sommer neue Entwürfe zu präsentieren, sondern jagen dazwischen die sogenannten „Cruise Collections“ (Zwischen- kollektionen, die ursprünglich mal für reiche Kunden eingeführt wurden) in die Läden. Es scheint, als würde sich das Modekarussell immer schneller drehen. Doch irgendwann kommt der Moment, an dem man sich fragt: Kann ich nicht mal ein paar Runden aussetzen?
Für 73 Prozent der befragten Frauen unserer PETRA-Umfrage sind Trends nicht so wichtig. Das sind sicher die Glücklichen, die ihren Stil gefunden haben. Spätestens ab vierzig, das habe ich früher immer gedacht, kommt jede Frau automatisch dahin. Dann spart sie auf einen Burberry-Trenchcoat und surft nicht mehr nachts mit irrem Blick durch die Onlineshops. Sie weiß einfach, dass ihr cremefarbene Seidenblusen am besten stehen und sie keine Crop Tops mehr braucht, nur weil Alexa Chung darin herumläuft. Ehrlich gesagt warte ich immer noch auf den Tag, an dem ich mich in diese Frau verwandele. Mein Kleiderschrank (aktuelles Lieblingsteil: Pulli mit Comicprint) ruft nicht „Ich bin angekommen im Leben“, sondern: „Wo geht’s zur Junggesellinnenparty?“ Ganz klar: Ich gehöre zur Kategorie Modeopfer. Bin schnell zu begeistern, shoppe fröhlich drauflos und stelle dann fest: Doof, ich habe ja gar kein passendes Oberteil zu dem Rock. So entstehen ungeahnte Folgekosten. Und das alles nur, damit die Freundinnen oder die Kolleginnen „Wow!“ rufen. Ist doch so! Wir ziehen uns ja nicht modisch an, um Männer zu beeindrucken – oder kennen Sie einen Mann, der sagen würde: „Rock über Hose? Das sieht echt granatenstark aus!“? Ständig allen Trends hinterher zu sein ist anstrengend. Insgeheim wären wir natürlich alle gerne Kate Moss oder Inès de la Fressange, Frauen, die mit traumwandlerischer Sicherheit wissen, was ihnen steht. Und die keine Experimente mit Hosenröcken oder Röcken über Hosen machen müssen.

Trend ist für mich ein schmutziges Wort“, erklärte Anna Wintour kürzlich in einem Interview. Stimmt ja auch. Was wird uns nicht alles als „trendy“ verkauft? Crossfit-Training, die Wandfarbe „Elephant’s Breath“, veganes Essen. Wie soll man seinen eigenen Geschmack finden, wenn irgendwelche Marketingstrategen alles mit „Trend“ bestempeln? Was ja nichts anderes heißt als: „Wenn du da nicht mitmachst, bist du so was von out!“ Und wir shoppen weiter. Der Durchschnittskonsument besitzt heute viermal so viel Kleidung wie vor 30 Jahren. Ein Grund dafür ist nicht nur, dass wir in immer kürzeren Zeitabständen neue Styles vor die Nase gesetzt bekommen, sondern auch die Preispolitik: Ein T-Shirt kostet heute nicht mehr als ein Beutel Kartoffeln. Das ist so wenig, dass der Kunde viel häufiger shoppen geht als nötig. Denn gerade die Schnäppchenjagd führt zu Erfolgserlebnissen – und die setzen Glücksgefühle in uns frei. „Fast Fashion“ wird dieses Phänomen genannt. Was dahintersteckt – Ausbeutung von billigen Arbeitskräften, eine miserable Ökobilanz –, ist wohl allen bekannt.
Warum drehen wir trotzdem immer weiter an dieser Spirale? Weil es inzwischen gar nicht mehr nur um das Besitzen geht. Das Stöbern nach neuen Trends, online wie offline, ist eine angesagte Freizeitbeschäftigung geworden – Konsum als Unterhaltung. „Viele Menschen verwechseln die Suche nach neuen Sachen mit der Suche nach sich selbst“, erklärt die Psychologin April Lane Benson, die zu dem Thema Kaufzwang forscht. „Shopping wird zu einer schnellen Hilfe bei verschiedensten Problemen.“ Aber selbst diejenigen, die nur alle halbe Jahre mal eine Runde durch die Läden drehen, haben es nicht einfach. Den dritten dunkelblauen Blazer kaufen, nur weil man auf Nummer sicher gehen will? Auch langweilig.
Doch wie unterscheidet man zwischen einem echten Modetrend und einem kurzfristigen Hype?
Das fragten wir Jessica Weiß von Journelles.de. „Wenn auf Bildern im Netz plötzlich alle eine bestimmte Chloé-Tasche tragen, dann kann man davon ausgehen, dass es sich um einen Hype handelt“, so die Berlinerin, die seit acht Jahren über Mode bloggt. „Echte Trends setzen sich auf der Straße durch. Wie der Turnschuh, der sich in den letzten Jahren wieder in der Mode etabliert hat.“ Jessica Weiß hat seit Juli mit jouur.de ein eigenes Label am Start. Als Kreativdirektorin macht sie sich Gedanken über die Halbwertszeit ihrer Designs. „Wir haben versucht, Klassiker zu entwerfen, die langlebig sind und Trends überdauern. Natürlich können wir nicht mit dem ständigen Wechsel der großen Labels mithalten. Das wollen wir auch nicht.“ Weiß hat schon viele Trends kommen und gehen sehen: „Da fängt man an zu realisieren: Das Rad wird nicht mehr neu erfunden. Ich finde es aber immer noch spannend zu beobachten, wie Trends, die ein Revival erleben, neu interpretiert oder aufgenommen werden.“ Jetzt beginnt wieder die Zeit, in der die Fashionistas vor den Cafés sitzen, die „September Issues“ mit der neuen Herbst-Winter-Mode durchblättern und sich Dinge fragen wie: „Brauche ich einen Pullover, der aussieht, als hätte ihn eine Designerin mit Liebeskummer nach drei durchsoffenen Nächten gestrickt und wieder aufgeribbelt?“ Die Antwort ist: Jein. Ja – Mode soll überraschen und Spaß machen. Und trotzdem müssen wir lernen, gewissenhafter mit unseren Ressourcen umzugehen. Dazu gehört, dass wir uns fragen: Steht mir das wirklich? Oder will ich vielleicht nur Geld auf den Kopf hauen, um mich für eine anstrengende Arbeitswoche zu belohnen? Wer unsicher ist, der kann sich Hilfe bei „Curated Shopping“- Diensten holen, wo Profis auf den Kunden zugeschnittene Outfits zusammenstellen. Falls es Sie interessiert – ich habe mir eine Culotte zugelegt. „Schick!“, fanden die Kolleginnen. „Du siehst aus wie ein Clown“,sagte meine Tochter. „Hol mich in dieser Hose bloß nicht von der Schule ab.“