
Sobald der Nachwuchs im Haus ist, liegt das Sexleben von Eltern vorerst auf Eis. Die Sexlosigkeit beginnt meist schon in der Schwangerschaft und zieht sich durch das Kleinkindalter durch. Dabei braucht es keine Zauberei, um als Elternpaar ein sinnliches Liebesleben zu haben. Sexual- und Paarberaterin Vivien Schadewaldt verrät, wie Eltern es schaffen, wieder ein lustvolles Liebes- und Sexleben zu führen.
Petra: Wie viel Sex als Eltern ist normal?
Vivien Schadewaldt: Ich empfehle Paaren, die unsicher sind, wie häufig Sex als Eltern normal ist, auf ihr Bauchgefühl zu hören. Das ist der beste Indikator, wenn es um das eigene Liebesleben geht. Verlangensunterschiede sind ganz natürlich. Das gilt auch für vorübergehende Unlust und das Bedürfnis lieber zu kuscheln als wilden Sex zu haben.
Die Quantität von Sex ist lange nicht so entscheidend für eine gute Beziehung wie die Qualität. Laut einer Studie der Psychologin Amy Muise von der University of Toronto reicht es aus, wenn Paare einmal in der Woche Sex haben, um eine glückliche Beziehung zu führen. Wer weniger Sex hat, ist laut Studie unzufriedener. Aber wer es öfter krachen lässt, ist nicht automatisch glücklicher.
Petra: Sind Kinder wirklich ein Liebeskiller für Paare?
Vivien Schadewaldt: Die Hürden, um guten Sex zu haben – oder überhaupt welchen – sind für Elternpaare ein wenig höher. Es gibt weniger Räume, Zeiten und Settings, in denen man miteinander intim werden kann. Die spontane Lust auf Sex kollidiert mit dem Familienalltag. Aus dem Liebesnest ist ein Familienbett geworden und statt einer heißen Date Night fallen viele Paare abends müde auf die Couch. Guter, lustvoller Sex als Eltern benötigt Planung und die Akzeptanz, dass sich das Liebesleben verändert hat. Elternpaare erleben eine Art Erotik 2.0.
Petra: Es gibt viele Mythen rund um Elternbeziehungen: Welche stimmen und welche nicht?
Vivien Schadewaldt: Ein Mythos, der mir häufig begegnet, ist der, dass glückliche Paare nicht streiten. Das ist schlichtweg falsch, denn eine gute Streitkultur rettet Beziehungen. Der Streit muss konstruktiv sein. Das bedeutet, dass Paare respektvoll miteinander umgehen, auf ihre Sprache achten und auf persönliche Angriffe verzichten. Es geht darum, eine offene und ehrliche Diskussion zu führen, um zu verstehen, woher Meinungsverschiedenheiten kommen, und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Harmonie sorgt für mehr Lust aufeinander.
Was ich auch für einen klaren Mythos halte, ist die Aussage, dass Eltern keine Zeit mehr für Sexualität und die Pflege ihrer Beziehung haben. Ich empfehle Paaren in diesem Fall, ihre Paarbeziehung zu priorisieren und konsequent Dinge zu streichen, die nicht wichtig sind. Die ganze Familie profitiert von einer glücklichen Elternbeziehung. Eltern sollten lernen, Dinge und Themen abzugeben und outzusourcen, ohne sich schlecht zu fühlen.
Petra: Wann können Eltern nach der Geburt des Kindes wieder Sex miteinander haben?
Vivien Schadewaldt: Sobald sie wieder Lust darauf haben. Hebammen und Gynäkologen empfehlen, auf Sex während des Wochenbetts, in der Zeit des Wochenflusses, zu verzichten. Gemeint ist damit aber Sex im Sinne von vaginaler Penetration, da das Infektionsrisiko durch eventuelle Geburtsverletzungen hoch ist. Alle anderen Arten von Sex, die gut tun und Spaß machen, sind „erlaubt“. Ich empfehle, mit erotischen Ganzkörpermassagen zu beginnen oder Intim-Massagen wie Lingam- und Yoni-Massagen auszuprobieren. Besonders Frauen lernen so ihren Körper nach Schwangerschaft und Geburt langsam wieder kennen und entdecken ihn lustvoll mit dem Partner neu.
Petra: Was kann man tun, wenn man unterschiedlich viel Sex will?
Vivien Schadewaldt: Es ist normal, dass eine Person in einer Beziehung mehr Lust hat als die andere. Das variiert und ist kein Grund, die Beziehung infrage zu stellen. Als Elternpaar erreichen Verlangensunterschiede ein höheres Level, wenn etwa ein Partner – meist die Mutter – vom mentalen Overload betroffen ist. Mental Overload ist die Überbelastung durch unsichtbare Denk- und Care-Arbeit. Rotiert ein Elternteil permanent, während der andere die Füße hochlegt, gibt es verständlicherweise ein großes Ungleichgewicht in Sachen Lust.
Unterschiedliches sexuelles Verlangen in der Beziehung ist kein Problem, wenn das sexuelle Ungleichgewicht die Partnerschaft nicht belastet. Paare sollten den Grund für die Verlangensunterschiede herausfinden, sich im Alltag bewusst berühren und die Lust aufeinander entfachen sowie die vielen Facetten von lustvollem Sex erforschen. Mein Tipp: Jeder übernimmt die volle Verantwortung für die eigene Sexualität.
Petra: Wie bekommen Paare wieder mehr Lust aufeinander?
Vivien Schadewaldt: Ich empfehle Elternpaaren, sich regelmäßig zum Sex zu verabreden. Liebemachen nach Termin klingt nicht lustvoll? Ganz im Gegenteil, denn wenn Paare regelmäßig intime Momente teilen, merkt sich der Körper das und reagiert mit Erregung. Der Trick dabei ist, die beste Zeit zu finden. Für Eltern gibt es wenig Zeit für intime Zweisamkeit, und jetzt soll man auch noch die „beste“ finden? Ja – zum Beispiel am Morgen.
Besonders Männer lieben Morgensex, denn zu dieser Tageszeit ist ihr Testosteronspiegel am höchsten. Der sinkt im Laufe des Tages. Während die Frau schlaftrunken ist, hat der Mann Lust. Hat man am Abend mehr Zeit und Gelegenheit, nutzt man die. Das Gleiche gilt, wenn das Baby Mittagsschlaf macht. Sex und die Lust aufeinander sind wieder erlernbar, wenn man „es“ nur regelmäßig macht.
Petra: Was sind die besten Orte für Sex als Eltern?
Vivien Schadewaldt: Bei vielen Elternpaaren ist die Dusche – und das Bad allgemein – der neue Sex-Hotspot geworden. Das gilt auch für den Küchentresen und das Auto. Sex findet kaum noch im Bett statt, weil es sich hier meist der Nachwuchs gemütlich gemacht hat oder diese Location als heiliger Schlafplatz gilt. Wichtig ist, dass Paare möglichst ungestört sind.
Petra: Was kann man tun, wenn man Angst hat, erwischt zu werden?
Vivien Schadewaldt: Zum einen sollten Eltern einen Zeitpunkt für intime Zweisamkeit wählen, indem das Kind fest schläft. Zum anderen ist es ratsam, das Schlafzimmer abzuschließen. Großen Kindern kann man Mama-und-Papa-Zeiten erklären, in denen man ungestört sein will. Passiert es doch und das Kind steht plötzlich in der Tür, sollten Paare die Ruhe bewahren und keine Panik bekommen. Am besten erklärt man die Situation altersgerecht und beantwortet die Fragen des Kindes, ohne neue aufzuwerfen! Eltern sollten auf lange Erklärungen verzichten, aber darauf vorbereitet sein, dass das Kind je nach Alter mit tiefergehenden Fragen auf sie zukommt.
Petra: Können Elternpaare Sexualität wieder lernen, wenn sie eingeschlafen ist?
Vivien Schadewaldt: Definitiv ja! Sexualität – nicht Sex – ist ein Grundbedürfnis. Die gemeinsame Sexualität als Paar lässt sich wieder beleben. Dazu braucht es natürlich die Bereitschaft beider Partner. Alleingänge funktionieren nicht. Eltern sollten in allen Belangen als Team agieren, besonders aber in ihrer Paarbeziehung. Ich empfehle Paaren, sich in ihrer neuen Rolle als Eltern „kennenzulernen“ und ihre Liebesbeziehung nicht aus den Augen zu verlieren. Sex soll glücklich machen, ein Quell der Kraft sein und nichts, was man tun muss, weil „es mal wieder Zeit ist“ oder weil der Partner erwartet.
Über Vivien Schadewaldt
Vivien Schadewaldt ist zertifizierte Sexual- und Paarberaterin für Eltern und unterstützt (werdende) Eltern in Coachings und Workshops auf ihrem Weg in ein erfülltes Liebesleben. Zudem ist sie Redakteurin beim Magazin „Sinneslust“ und Co-Host des Podcasts „Bedtime Talk“.