
An der Grundschule hatte ich ein bretthartes Sixpack. Darauf hätten Sie drei Wochen alte Bergsteigerunterhemden wieder frühlingsfrisch waschen können. Echt wahr. Mein Problem: Solange daran nicht ein Tamagotchi baumelte, interessierte sich wirklich niemand auf dem Pausenhof dafür. Mich übrigens eingeschlossen. Heute bin ich 29 und habe ein kleines Bäuchlein. Im Sitzen hängt es über dem Gürtel wie ein nasser Sack, den jemand zum Trocknen über den Gartenzaun geworfen hat.

Man kann sagen, mein Körper und ich sind nicht die dicksten Kumpel. Und schuld daran ist Daniel Craig. Bevor er James Bond wurde, war alles gut. Na ja, fast. Dass ich den Bartwuchs einer japanischen Frühgeburt habe, ärgerte mich schon damals. Ich hatte aber gehört, dass häufiges Rasieren den Wuchs anregen soll. Da ich keinen Rasierapparat besaß, schmierte ich mir jeden Morgen die Enthaarungscreme meiner Mutter auf die Oberlippe. Das Zeug brannte furchtbar. Aber abgesehen davon ging es mir wirklich gut. Und dann kam der 29. November 2006, der Tag, der meine Welt veränderte: 44 Jahre lang war der Agent ihrer Majestät ein schlanker Kerl, der höchstens etwas mehr Brusthaar besaß. Und dann steigt da plötzlich dieser britische Bodybuilder aus dem Meer, mit mächtigem Bizeps und mickrigem Körperfettanteil – und stahl mir vor Annette die Show. Das war das erste Mal, dass ich merkte: „Hoppla. So was will ich auch.“ Aber da hatte ich schon seit zehn Jahren kein Sixpack mehr. Nichts ist schmerzhafter als zu wissen, dass Frauen einen nicht sexy finden. Das hat Annette natürlich nie gesagt. Aber wenn ich zweieinhalb Stunden lang auf der Leinwand den neuen Audi R8 angucke und danach wieder in meinen Skoda Fabia steigen muss, stecke ich doch auch nicht während der Fahrt den Kopf aus dem Fenster und rufe: „Yippie!“ Sie beschweren sich, dass Ihnen die Kerle immer nachgaffen? Wir können gern tauschen.

Laut einer Studie des Modelabels Björn Borg haben 53 Prozent der Deutschen am liebsten im Dunkeln Sex, weil sie sich dann selbstbewusster fühlen. James Bond hat mich zu einem von ihnen gemacht. Oh Gott, ich klinge vermutlich gerade wie ein Jammerlappen. Bitte entschuldigen Sie. Ich genieße es einfach, endlich mal alles sagen zu können. Unter meinen Freunden ist das Thema tabu. Obwohl jeder von Ihnen in einem Gym angemeldet ist. Männer haben selbstbewusst zu sein und sich so zu mögen, wie sie sind. Egal wie hoch der BMI ist. Das Wort BMI dürfen sie eigentlich gar nicht kennen. Und beim Fußballspiel den Kumpel schon gar nicht fragen, ob er nicht auch ein Bier mit weniger Kalorien im Kühlschrank hat. Na ja. Jedenfalls bin ich mittlerweile wieder solo. Ein untersetzter Single ist wie ein Grönländer bei den Olympischen Sommerspielen: chancenlos.

Charakter ist alles? In der Theorie vielleicht. Aber beim Feldversuch hechelt ihr doch den durchtrainierten Herren hinterher wie Waldi der Wiener. Hab ich nicht recht? Oder wie oft haben Sie sich einem speckigen Glatzkopf an den Hals geschmissen, weil er auch nach fünf Bier noch so geistreich über die Apologie des Platon referieren konnte oder es schaffte, dass Ihnen vor Lachen der Weißburgunder aus der Nase schoss? Eben. Aber das ist okay. Bloß dass es halt für Männer wie mich die Partnersuche extrem erschwert, wenn man eine Bar betritt und lediglich von Kerlen ausgespäht wird. Sie haben richtig gehört: von Kerlen. Große, behaarte Jungs, die gucken, ob der andere vielleicht noch größer und behaarter ist. Ist der Kerl dort hinten am anderen Ende des Tresens kräftiger? Hoffentlich nicht. Was für eine Demütigung, wenn die Begleitung notiert, dass wir sie nicht beschützen könnten. Ich fühle mich dann jedes Mal wie eine männliche Rundschwanzseekuh aus einer Tier-Doku, die vom Alpha-Tier der Herde rund gemacht wird und am Ende das Rundschwanzseekuh-Weibchen natürlich nicht bekommt. Echt saupeinlich, wenn die ganze Gruppe sieht, dass man schwächer ist.

Ich weiß nicht genau, wie es bei Rundschwanzseekühen ausschaut. Aber bei uns Männern ist es neu, dass wir uns Gedanken um unseren Körper machen. Zumindest habe ich noch nie gelesen, dass James Dean jedes Mal fix und fertig war, wenn er morgens aus dem Badezimmer kam, weil er den Anblick seiner kraftlosen Schultern nicht ertrug. Männer glänzten 150 000 Jahre als Ernährer. Dann kamen Bofrost und Alice Schwarzer – und plötzlich fehlt ein Stuhl für uns in dieser neu geordneten Gesellschaft. Also versucht der moderne Mann sich zu profilieren, indem er sein Erscheinungsbild aufbläst. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schätzt, dass 13,5 Prozent aller Jungs zwischen 14 und 17 Jahren Essstörungen haben. Dazu gehört eine radikale Diät und eine krankhafte Besessenheit von Muskeltraining. Meine Ernährung schaut folgendermaßen aus: Ich mixe mir einen Proteinshake, dessen Rezept mir ein ehemaliger Mr. Universum verraten hat: 5 rohe Eier, 250 g Haferflocken, 1 Banane, 1 EL Distelöl, 250 ml Milch, 3 EL Eiweißpulver, 250 g Magerquark. Das Zeug kippe ich dreimal am Tag runter. Immerhin: so ein kleiner Würgreiz am Morgen macht ungemein munter. Dazu verfolge ich einen strengen Trainingsplan und weiß alles über seitliche Bauchmuskeln und das richtige Stretchen des Trizepsmuskels. Wenn ich drei Tage nicht im Fitnessstudio war, ist mein Gewissen so schlecht wie das von Tiger Woods.

Und jetzt fragen Sie sich sicher, wieso ich noch ein Bäuchlein habe. Ganz einfach: Ich gehe acht Tage am Stück ins Fitnessstudio. Dann regnet es und ich lasse es ausnahmsweise mal ausfallen. Und dann noch mal. Und noch mal. Dann packt mich das schlechte Gewissen, und ich denke mir: „Ach, das wird doch eh nie etwas!“ – und greife gefrustet zur Colaflasche und der Packung Storck-„Riesen“. Ein paar Tage später laufe ich zufällig am „Abercrombie & Fitch“-Store bei mir ums Eck vorbei, sehe die Frauenschlange davor – und gehe wieder ins Fitnessstudio. So läuft das jetzt seit sechs Jahren. Aber so geht es wohl den meisten Männern. Fitnesstrainer Jörn Giersberg sagt: „Männer kommen zu mir mit dem Ziel, in kurzer Zeit und mit wenig Aufwand Muskeln aufzubauen.“ Noch schneller und müheloser geht’s bei Herrn Dr. Afschin Fatemi. Beruf: Schönheitschirurg. „Vor 15 Jahren war jeder zehnte Patient von mir männlich. Heute ist es jeder fünfte. Sie sehen immer mehr Vorbilder mit schönen Körpern in den Medien“, berichtet er. Der häufigste Wunsch seiner Patienten: „Einmal Fettabsaugen an Bauch und Hüfte, bitte.“
Neulich habe ich im Fernsehen eine Folge „Mad Men“ geguckt und beschlossen, dass ich gern in den USA der 60er leben würde. Damals, als noch alles schwarz-weiß und Ketterauchen männlich war. Denn ich rauche wirklich sehr viel. Weil ich aber keine Zeitreise machen kann, freue ich mich stattdessen auf mein Leben als Rentner in 40 Jahren. Rentner müssen keinen ausgeprägten Musculus pectoralis haben, damit Oma Margot sie zum Tanztee auffordert. Und einen Bart auch nicht.
Männertypen durch die Jahrzehnte. Stimmen Sie hier ab, welcher der heißeste ist!