
Aller Anfang ist schön. Wenn die blaue Wolle für den neuen Pullover so frisch leuchtet wie das Meer an einem Sommermorgen; wenn der Pilateskurs, den man just begann, noch so aufregend erscheint, dass man hinrennt. Aber dann, irgendwie, ist die Lust an beidem auf einmal verloren gegangen, wie ein Haargummi, das man gestern noch in der Tasche hatte. Dem blauen Pullover fehlen die Ärmel, er wird sie auch nie bekommen. Und Pilates, na ja, irgendwie war es immer netter, sich mit jemandem in der Zeit auf einen Kaffee zu treffen. Entspannt doch auch, oder? Dann blickt man sich um und entdeckt, dass das halbe Leben aus Anfängen besteht. Der Hot-Iron-Kurs und das Bogenschießen – zwei Versuche. Die Glyx-Diät, die Steinzeit-Diät, die Wasweißich-Diät – gefühlte dreitausend Anläufe. Der glücklose Versuch, Tomaten auf dem Balkon zu ziehen. Ganz zu schweigen von dem einen oder anderen beruflichen Aufbruch und den drei angefangenen Lebensentwürfen, die in der Schublade des Schicksals schimmeln. Wäre alles nicht so schlimm, wenn nicht ab und zu jemand vorbeikommen würde, der alles durchzuziehen scheint. So wie die gewisse Freundin, die uns ab und an zum Abendessen einlädt: Gekonnt serviert sie einen Salat mit selbst gezogenen Tomaten – „Beim dritten Versuch hat es super geklappt!“ –und erzählt, dass sie seit einem Jahr läuft und sich bald zum Halbmarathon anmeldet. Vielen Dank. Dann läuft man vor Neid bananengelb an und denkt darüber nach, warum man selbst so ein dilettantischer Anfänger bleibt.
Das Ziel: Ähm, warum wollte ich noch mal stricken lernen?
Aber hey, hat nicht schon Platon gesagt, der Beginn sei auch der wichtigste Teil der Arbeit? Na bitte. Bleibt aber nur ein schwacher Trost, wenn man lieber beharrlich sein möchte. Alles eine Charakterfrage? Auch. In der Psychologie spricht man von zwei Typen, vom „Starter“ und „Finisher“. Die „Starter“ sprühen vor Ideen, toben sich kreativ aus, hüpfen von einem Einfall zum anderen und bekommen nichts zu Ende gebracht. Die „Finisher“ ziehen hingegen alles konsequent durch, lose Enden sind ihnen ein Graus. Aufgeben? Kommt für einen „Finisher“ nicht infrage. So wollen wir auch werden – zumindest ein bisschen! Fragt sich nur, wie. Vielleicht hilft dabei einer der folgenden Punkte – vorausgesetzt, Sie lesen zu Ende …
Geben wir es zu, Frauen sind nicht immer berühmt für ihre klaren Ziele – und das macht ein Durchhalten nicht gerade leichter. Dr. Ilona Bürgel, Diplom-Psychologin und Coach: „Oft fangen wir etwas an, weil wir etwas darüber gelesen haben, wir gerade Lust dazu haben oder unsere Freundin es auch macht – ohne zu wissen, wohin es eigentlich führt.“ Bevor man also zur Stricknadel greift oder sich beim Französischkurs anmeldet, sollte man sich sehr klar vor Augen führen, wie das Ziel aussieht. Dabei hilft es, das Ergebnis zu visualisieren. Stellen Sie sich das Resultat konkret als Bild vor – wie sieht der Pulli aus, wozu tragen Sie ihn? Und wer sich dabei ertappt, nur stricken zu wollen, weil es gerade mal wieder in Mode gekommen ist, kann es von vornherein lassen. Eine miese Idee wieder zu verwerfen ist manchmal doch die schönste Sache der Welt.
Die Entscheidung: Soll ich nicht doch lieber …
Herrlich, alles so schön bunt hier. In unserem modernen Leben können wir jederzeit frei zwischen zahllosen Optionen wählen – vom Beruf bis zur Marmelade. Kleiner Nachteil: Irgendwann weiß man nicht mehr, wofür man sich nun entscheiden soll. Gucci oder Prada? Gärtnern oder Schneidern? Bio oder billig? Spaghetti pomodore oder Tomate-Mozzarella? Demonstrieren gehen oder Kochen lernen? Mallorca oder Schweden? Und wie es mit zwei Alternativen so ist – wählt man die eine, entscheidet man sich gegen die andere. Das lähmt manche von uns bis zur Entscheidungsstarre, andere hingegen legen sich einfach monatlich ein neues Hobby und eine andere Stilrichtung zu und ärgern sich über ihre Inkonsequenz. Da hilft nur eins: Ab aufs Sofa mit einem Tee und sich überlegen, was man wirklich möchte. Manchmal besteht das Ergebnis auch darin, dass es super ist, mal wieder mit einem Tee auf dem Sofa zu sitzen.
Was für eine sensationell bescheuerte Idee mit dem Multitasking. Wer hat sich die bloß ausgedacht? Irgendwann waren Frauen der Meinung, sie müssten alles gleichzeitig tun. Telefonieren, kochen, wickeln, klar, alles kein Problem, eigentlich steckt in jeder von uns eine Krake mit acht Armen und zwei Gehirnen. Fast richtig. Und schade, dass dieser Über-Anspruch auch andere Nachteile hat. Dr. Ilona Bürgel: „Wir sind kaum noch in der Lage, uns zu konzentrieren, sind nicht mehr fokussiert und springen mit unserer Aufmerksamkeit.“ Hand aufs Herz, wer von uns ist noch in der Lage, einen kurzen Text durchzulesen, ohne an den Einkauf oder das Fernsehprogramm zu denken? Die Lösung klingt hinterhältig einfach: Atmen und eins nach dem anderen tun. Den Yogakurs noch einmal besuchen. Wirklich probieren, eine Minute lang nur „Yoga, Yoga, Yoga“ zu denken. Ob Sie danach erleuchtet über dem Boden schweben, wissen wir nicht, aber immerhin hilft es dabei, sich einen langen Atem anzutrainieren.
Die Selbstvertrauensfrage: Hilfe, ich kann das eigentlich gar nicht!
Spätestens bei der zehnten Masche schleicht sich ein kleiner garstiger Gedanke ein und nagt unaufhaltsam am Selbstbewusstsein: „Ich kann das nicht. Ich bin ein Strick-Loser. Der Pulli wird voll hässlich.“ Weil niemand von uns mit einem Superego geboren wird –Heidi Klum einmal ausgenommen –überfallen uns regelmäßig Zweifel am eigenen Können und damit am Ergebnis unseres Tuns. Dazu leben wir in einer Welt, in der nur das Endprodukt zu zählen scheint. Nach wie vor ist es verpönt, Dinge einfach aus Spaß zu machen – das dürfen nur Kinder. Zum Sport gehen wir, um nicht komplett zu verfetten, wir kochen mit Bioprodukten, um die Welt zu retten, arbeiten, um Geld zu verdienen. Deswegen muss der blaue Pulli modisch ganz weit vorne sein, biologisch abbaubar und politisch korrekt. Denken wir zumindest. Falsch! Muss er gar nicht! Werten Sie nicht alles, was Sie tun. Sie sehen hinterher damit aus wie Grobi aus der Sesamstraße? Das ist doch piepegal. Es reicht allemal, dass die Stricknadeln ein beruhigendes Geräusch machen, wenn sie aneinanderklackern.
Glückwunsch! Im Überfordern sind Frauen richtig gut, da kann uns kein Mann etwas vormachen. Während die Handwerker um uns herumtoben, die Katze der Nachbarn versorgt werden möchte und die Kinder quengeln, beschließen wir, dass dies ein grandioser Zeitpunkt ist, um endlich Klavier spielen zu lernen. Schließlich muss man auch etwas für sich tun und nicht nur an andere denken! Natürlich scheitert man mit Bravour und geißelt sich für sein Unvermögen, dass man es nicht schaffte, in zwei Wochen zu Frédéric Chopin zu mutieren. Katze und Kinder schnurren zwar satt und zufrieden, die Handwerker sind auf Linie gebracht, aber was zählt das schon, wenn man bereits am mühsam erkämpften Egotrip scheitert. Einfach mal einen Fehler eingestehen? Kommt gar nicht infrage. Es ist viel komfortabler, sich endlos über sich selbst zu ärgern, als den Zacken, der aus der Krone fiel, einfach mit Pattex wieder anzukleben und erhobenen Hauptes weiterzuschreiten. Dr. Ilona Bürgel: „Dabei handelt es sich noch nicht einmal um einen Fehler, man hat nur etwas falsch eingeschätzt. Wir dürfen uns auch irren. Das ist ein Punkt, bei dem man lernen kann, großzügiger mit sich zu sein.“
Schlimm ist nicht das Aufgeben, sondern das Festhalten am falschen Ziel
Passionierte Dauerstarter wiederum plagen sich permanent mit einem schlechten Gewissen herum, weil sie eine Sache mal wieder nicht durchgehalten haben. Wie schwer wir es uns machen! In jedem Fall trifft eine Tatsache zu: Das Leben ändert sich ständig. Wir verändern uns stetig. Und es ist wichtig, immer etwas Neues zu beginnen, Dinge auszuprobieren und Unbekanntes zu wagen. An einigen Plänen scheitern wir, andere ergeben von Beginn an keinen Sinn – und an den persönlich bedeutsamen Vorhaben sollten wir in Zukunft festhalten, ohne uns im Wirrwarr der Möglichkeiten beirren oder ablenken zu lassen. Aber der allerbeste Gedanke bleibt doch, in einem blauen Grobi-Pullunder und einer goldenen Krone mit Klebespuren an den Zacken über die Straße zu gehen und zu wissen, dass man es zumindest versucht hat.