Glück für Fortgeschrittene

Glück für Fortgeschrittene

Mannometer, jetzt reicht’s auch mit dem positiven Denken. Die angestrengte Suche nach dem Dauerhoch können wir uns ab sofort sparen – denn wer verbissen guten Gefühlen hinterherjagt, enttäuscht sich am Ende nur selbst. PETRA-Autorin Verena Carl über die neuesten Erkenntnisse der Happiness-Forschung – und warum es manchmal sogar gut ist, mies drauf zu sein.

Frau im Regen© iStockphoto/Thinkstock
Frau im Regen

Eigentlich ist Arnold Retzer ein umgänglicher Mensch. Das Thema Glück allerdings, das bereitet dem Heidelberger Psychologen und Autor ziemlich schlechte Laune. Anders gesagt: „Miese Stimmung“. So jedenfalls heißt sein neues Buch, Untertitel: „Eine Streitschrift gegen positives Denken“. Denn wenn Retzer eines nicht leiden kann, dann sind es populäre Glaubenssätze wie: „Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst“ oder „Jeder ist für sein Glück allein verant- wortlich“. Alles Humbug, findet Retzer: „Indem wir permanent versuchen, gute Stimmung zu erzeugen, erzeugen wir schlechte. Weil wir so größenwahnsinnig sind, dass wir glauben, wir hätten Erfolg und Glück selbst in der Hand. Weil wir zwangsläufig an unseren eigenen Ansprüchen scheitern – und uns auch noch dafür schämen.“

Ganz konkret: Wer trotz aller Anstrengungen Single bleibt, wer bei der Jagd nach der coolen Maisonettewohnung jedes Mal von Mitbewerbern ausgestochen wird – der hat nach dieser Logik nicht nur Pech, sondern ist schlicht zu blöd fürs Glück. Dann hat er eben nicht fest genug daran geglaubt, war innerlich zu negativ. Doppelt bitter. Retzer hält es lieber mit den alten Römern: Deren Göttin Fortuna verteilte Glück nach dem Zufallsprinzip. Und nicht an den, der am lautesten schreit.

Bastelanleitung füs Glücklichsein? - Gibt es nicht.

Retzer schwimmt mit seinen Thesen gegen den Strom, aber dort schwimmt er nicht allein. In den letzten Jahren wurde zunehmend Kritik laut an selbst ernann- ten Propheten, die uns unfehlbare Bastelanleitungen für das Glück versprechen. Die uns vorgaukeln, wir müssten unsere Wunschliste nur beim Universum abgeben oder uns eben mal so richtig anstrengen, um happy zu werden. Egal, ob wir uns nach dem richtigen Mann sehnen, einem erfüllenderen Job oder genü- gend Geld für die neueste It-Bag.

Auch die Psychologin und Autorin Ilona Bürgel warnt ihre Klienten vor der „Glücks-Falle“: „Wir wissen heute, dass ständiges Streben nach Höhepunkten eher frustriert. Stattdessen sollten wir auf die vielen täglichen kleinen Glücksmöglichkeiten achten“. Arnold Retzer nennt das „die Banalität des Guten“. Er erklärt: „Wer nur die Extreme der Skala im Auge hat, Glücksrausch und Verzweiflung, übersieht das Angenehme in unserem Alltag.“ Klar: Wenn wir ständig dem Endorphin-Kick der ersten Verliebtheit hinterherjagen, können wir die Normalo-Nummer nach ein paar Beziehungsjahren kaum schätzen. Dabei macht die auch glücklich – nur nicht auf die himmel-schreiende, extreme Art.

Klingt logisch – allerdings auch ernüchternd. Kuscheln statt Leidenschaft, Schwarzbrot statt Sushi, Adiletten statt Louboutins – sollen wir etwa alle zu Asketen werden und stillschweigend hoffen, dass Fortuna uns zufällig ein Glückslos in die Hand drückt? So nun auch wieder nicht, sagt der Psychotherapeut Michael Waadt. Er praktiziert in München eine ungewöhnliche Methode für Glückssucher: die so genannte Akzeptanz-Commitment-Therapie (ACT), die in den letzten Jahren vor allem in der englischsprachigen Welt populär geworden ist. Eine Denkrichtung, die eine Portion buddhistische Gelassenheit mit aktivem Handeln verbindet.

Auf der einen Seite geht es darum, Angst und andere düstere Gesellen nicht zu verdrängen und sie auch nicht mit positiven Glaubenssätzen zuzuschütten, sondern ihnen Raum zu geben. Nicht weil wir uns selbst quälen sollten, sondern weil wir gar nicht um sie herumkommen, sagt Waadt: „Unsere Gedanken und Gefühle können wir nicht willentlich steuern, und wenn wir versuchen, sie zu übertönen, werden sie umso mächtiger.“

Wir haben uns für einen Traumjob beworben und fürchten uns vor dem Vorstellungsgespräch? Statt sich positive Glaubenssätze vorzubeten („Ich bin stark und selbstbewusst“), kann es sinnvoller sein, sich klarzumachen, was genau die Angst auslöst. Und zu überlegen: Was hat mir in vergleichbaren Situationen geholfen? Genauso wichtig ist das Annehmen des Negativen ist es, sich die eigenen Werte bewusst zu machen und danach zu leben. „Commitment“ bedeutet, sich einer Sache mit ganzem Herzen verschreiben. Dabei muss man nicht an Gandhi oder Mutter Teresa denken – auch eine Madonna taugt zum Vorbild. Nein, nicht die aus der katholischen Kirche. Waadt: „Es ist absolut in Ordnung, zum Beispiel nach Genuss zu streben, nach intensiver Sexualität. Oder auch nach Reichtum.“

Wichtig ist es, dabei die eigenen Beweggründe zu hinterfragen. Beispiel Geld: Warum ist es mir wichtig, viel zu verdienen? Träume ich von Fernreisen an exotische Orte? Geht es mir eher um den Wunsch, von anderen respektiert zu werden? Und: Wie kann ich solche Sehnsüchte schon in meinem aktuellen Leben erfüllen?

Reicht es, einen Thai-Kochkurs zu belegen oder mir einen Job zu suchen, in dem meine Leistung mehr geschätzt wird als an meinem jetzigen Arbeitsplatz? Waadt ist überzeugt: „Wer seinen Werten gemäß lebt, wird glücklich – denn diese Werte lassen sich nicht erst am Ziel verwirklichen, sondern schon auf dem Weg dorthin.“ Reich werden kann man später immer noch. Auch wenn Waadt keine Garantie darauf geben mag: „Glück kann man nicht erreichen – man kann es nur zulassen. Es bewusst einladen.“

Der Berliner Journalist Christoph Koch hat es auf die aktive Weise probiert. Er wollte wissen: Gibt es ihn vielleicht doch, den garantierten Weg zum Glück, die Überholspur für die gute Laune? Im Laufe eines Jahres hat der 37-Jährige fast alles getestet, was den Kick bringen könnte – von Lachyoga bis zu chemischen Glückspillen, von selbstlosen Hilfsprojekten bis zu feuchtfröhlichen Männergesprächen. Dabei hatte Koch zu Beginn seines Selbstversuches gerade geheiratet, „der glücklichste Moment meines Lebens“. Ist das Wohlbefinden dann überhaupt noch steigerungsfähig? Doch, fand Koch: Da geht noch was.

„Ich bin eher ein latent schlecht gelaunter Mensch, und ich wollte herausfinden: Lassen sich die Ausschläge auf der Wohlfühlkurve doch um ein paar Grad nach oben verschieben?“ Da stimmen Wissenschaft und Selbsteinschätzung überein: Jeder Mensch hat einen anderen „Setpoint“ fürs Glück, ein individuelles Glücksmaß: Aus einem Melancholiker wird nie eine Stimmungskanone und umgekehrt. Selbst unerwartete Segnungen oder herbe Schicksalsschläge bringen unser Lebensgefühl kaum dauerhaft ins Schwanken – das zeigen zahlreiche Untersuchungen.

Christoph Koch glaubt, dass er mit seiner Grund-Grantigkeit das Lebensgefühl vieler widerspiegelt: „In der westlichen Welt geht es uns seit Jahrzehnten laufend besser – wir verdienen mehr, sind gesünder, leben länger. Dennoch sind wir permanent unzufrieden, weil wir immer jemand vor der Nase haben, dem es noch besser geht, der den noch cooleren Job hat, den tolleren Partner, das aufregendere Leben.“

Das Protokoll des Selbstversuches ist in Buchform erschienen und liest sich so amüsant wie verblüffend. Dabei hat der moderne Glücksritter sich selbst am allermeisten überrascht. „In zahlreichen Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass Meditation und ähnliche Techniken einen positiven Effekt auf die Stimmung haben. Aber das hat bei mir überhaupt nichts gebracht“, erzählt Koch.

Dafür entdeckte er das Glück des Helfens: Er übernahm ein Ehrenamt in einem Seniorenheim. Eine zeitraubende Angelegenheit, aber weil sein Engagement ihm viel zurückgab, blieb er bis heute dabei. Ebenfalls weit oben auf der Hitliste seiner Kicks: Gärten anlegen in den Slums von Detroit, Schaukeln in öffentlichen Parks aufhängen. Und, ja: Auch Liebe und Sex waren für den frisch gebackenen Ehemann nicht ganz unwichtig. Apropos Glück in der Liebe: Ist es nicht manchmal auch ihre Kehrseite, die wir insgeheim genießen? Das große Heulen, das uns erfasst, wenn wir mit unserer besten Freundin gemeinsam eine Flasche Rotwein leeren, uns von den Männern unverstanden fühlen und uns nach dem dritten Glas dabei ertappen, wie wir schwülstige Songtexte mitsummen?

Denn so sehr wir uns danach sehnen mögen, bis zum Anschlag happy zu sein: Der gepflegte Weltschmerz, die schöne Melancholie – manchmal ist es doch gerade das, was uns im Moment so richtig glücklich macht.

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