
Das Märchen von Intuition und Intelligenz
Es war einmal ein ganz klares Gefühl. Es wohnte in unserem Bauch, meldete sich bei wichtigen (und oft bei unwichtigen) Entscheidungen, brummte mal zustimmend oder knurrte erbost, wenn ihm etwas nicht passte. Das Bauchgefühl war um Längen smarter als der Kopf. Der musste nämlich immer alles abwägen, nachdem er ewig Fakten gesammelt hatte. Der Kopf sortierte, rechnete, kalkulierte, ja, er ließ sich auch von anderen beeindrucken und plapperte alles nach. Der Bauch hingegen gab einfach unreflektiert seinen Senf dazu, egal was andere sagten. Ein sehr kluger Bauch. Schade nur, dass wir irgendwann zwischen Kindheit und Erwachsensein vergaßen, auf ihn zu hören. Weil die Stimmen in unserem Kopf immer lauter wurden, weil es hieß, dass Logik eine prima Sache wäre – und weil man uns beibrachte, dass es nicht sehr intelligent sei, wichtige Entschlüsse dem Bauch zu überlassen.
Der Haken an der Sache: Irgendwann lagen wir um vier Uhr morgens hellwach im Bett. Weil wir nicht schlafen konnten, da eine Entscheidung anstand. Für oder gegen einen Mann. Einen neuen Job. Einen Umzug. Was auch immer. Und anstatt kurz mal in sich hineinzulauschen, was der Bauch zu sagen hat, sich dann umzudrehen und weiterzuschlafen, lagen wir über Stunden wach, bis der Wecker klingelte. Im Kopf rauschte ein Tornado von Stimmen, die mit uns schimpften, sich stritten, vehement widersprachen, die so laut tönten, dass wir den Bauch und seine glasklare leise Stimme gar nicht mehr hörten. Und das tun wir bis heute nicht.

Inner Coaching - Das Finden zu sich selbst
So weit das Märchen von der Intuition und der Intelligenz. Schade nur, dass es kein Märchen ist, sondern beinharte Realität. Mit sehr realen Nächten, in denen wir wach liegen und grübeln. Schlimm, oder? Denn: „Gerade in belastenden Situationen bräuchten wir Zugang zu etwas, was in jedem von uns schlummert – zu unserer Intuition“, sagt die Therapeutin und Buchautorin Anna E. Röcker. („Eine Tankstelle für die Seele: Inner Coaching – Mit inneren Bildern die Psyche stärken“, Kösel, 224 Seiten, 19,99 Euro). Logik, Intelligenz, Raffinesse, alles prima – aber: „Alles, was wir brauchen, ist dieser leise, aber unfehlbare Guide, mit dem wir uns sicher durchs Leben navigieren können.“ Die Frage ist nur, wie man seine innere Stimme wieder zum Erklingen bringt. Von Röcker stammt ein neuer Ansatz zur Selbsthilfe, das sogenannte Inner Coaching. Die Idee dahinter: Der beste Berater steckt in uns selbst. Im tiefsten Innern wissen wir selbst am besten, was gut für uns ist. Und: Beim Inner Coaching lernen wir, unsere Intuition zu schulen und mit dem Tornado in unserem Kopf umzugehen.
Erster Schritt: Hören Sie sich genau an, was in Ihrem Kopf so herumwirbelt. Gern wird Kritik laut. Denn was wir richtig gut können, ist, uns Selbstvorwürfe zu machen. „Wenn du dich besser organisieren würdest, wüsstest du jetzt, wie es weitergeht“, heißt es dann. Oder: „Selbst schuld, mach halt mehr Sport!“ Aber anstatt wie sonst gegen den Sturm anzuschreien, nehmen wir die Sätze nur zur Kenntnis. Gehen Sie ein bisschen auf Distanz. Wie ein Beobachter, der dem bunten Treiben zusieht, rät Röcker. Nach dem Motto: Wer seinen Feind beobachtet und akzeptiert, der entwaffnet ihn. Dann folgt der zweite Schritt. Röcker: „Hören Sie sich an, was die kritische Stimme Ihnen zu sagen hat. Vielleicht geben Sie ihr einen Namen. Häufig entsteht daraus ein Dialog, der die Wahrheit ans Licht bringt.“ Vielleicht kommt man sich selbst auf die Schliche, woher die Vorwürfe stammen. Ob es dafür einen Auslöser gab. Vielleicht fängt man als Nächstes an, mit der Stimme zu verhandeln. Macht einen Vorschlag zur Güte. Ob man die Sache auch anders sehen kann. Die Sätze, die da so gnadenlos in der Seele stürmen, lassen sich nämlich auch umformulieren. Sie sind nicht in Stein gemeißelt. Und so wird aus „Das geht doch wieder schief“ ein positives „Ich pack das schon“. Aus „Krieg ich wieder nicht hin“ ein „Ich mach mein Ding“. Und lästige Fragen verwandeln sich in ein „Ja, ich hab es verdient.“
Intuition im Alltag
Unter Bauchgefühl verstehen wir das Kribbeln im Bauch bei Vorfreude, Bauchschmerzen bei einem Gedanken, ein seliges Grinsen auf dem Gesicht, wenn etwas gefällt, spontane Einfälle, ein Geistesblitz unter der Dusche – das sind diese Momente, in denen sich die Intuition deutlich zeigt. Aber wie bekomme ich sie mit, wenn sie sich leise äußert? Genau für diese Fälle haben Experten wie Anna E. Röcker Übungen entwickelt. Als besonders wirksam hat sich die Visualisierungstechnik erwiesen, der dritte Schritt: Anstatt ein Problem zu zerdenken und in alle Einzelteile zu zerpflücken, sucht man sich einen ruhigen, schönen Ort (oder stellt ihn sich vor) und lässt die Gefühle, die ein bestimmtes Thema auslöst, einfach aufsteigen. Um dann Bilder zu visualisieren, die diese Gefühle widerspiegeln. Oder, wenn das nicht gleich klappt, bewusst zu inszenieren. Eine Brücke etwa, wenn wir vor einer Entscheidung stehen, oder uns selbst sitzend auf einer Düne mit Blick aufs Meer, wenn wir unsere Gedanken ordnen möchten. Vorstellungsbilder helfen dabei, die Dinge klarer und aus einer neuen Perspektive zu sehen. Mit etwas Übung laufen irgendwann ganze Filme vor dem geistigen Auge ab. Indem man ein Problem oder einen Konflikt bildlich betrachtet und dadurch bewusster erlebt, zeigen sich Auswege. Klingt magisch, oder? Im Übrigen müssen Sie sich jetzt nicht zweimal täglich unter den Schreibtisch setzen und den Sylter Sandstrand visualisieren. Manchmal reicht es nämlich auch einfach, morgens nicht gleich wie ein Duracell-Hase aus dem Bett zu springen, sondern noch fünf Minuten liegen zu bleiben. Morgens, kurz nach dem Aufwachen, wenn man noch nicht ganz da ist, haben wir eine sehr gute Verbindung zu unserer Intuition, weil sich der rationale Teil unseres Gehirns noch nicht „hochgefahren“ hat. Darum lohnt es sich, die Snooze-Taste zu drücken und diesen halb wachen Zustand zu genießen. Und ganz ehrlich? Selbst wenn aus diesem halb wachen Zustand nichts Sinnvolles oder Hilfreiches entsteht – auch kein Problem. Manchmal will auch ein Bauch einfach mal fünf Minuten länger rumliegen.
Übung 1 - Der liebste Ort
Wie man mithilfe eines Fantasie-Platzes seine Intuition weckt. Keine Angst, wir schicken Sie weder zum Schlangenbeschwörer noch in die Höhle eines Schamanen. Vertrauen Sie Ihrem persönlichen Guru. (Sie können ihn aber auch Intuition nennen). Die Intuition ist leider bei vielen verschüttet und hat den Dienst eingestellt. Damit diese Kraft wieder aktiv wird, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Beim sogenannten Inner Coaching lernen Sie zuerst mal, sich richtig tief zu entspannen. Dazu steuern Sie entweder in Ihrer Fantasie Ihren Lieblingsort im Garten, am Fluss, vielleicht am Meer an. Wählen Sie den Ort sorgfältig aus. Schließen Sie für zehn Minuten (mindestens zwei-, lieber dreimal am Tag) die Augen und beamen Sie sich an diesen schönsten Ort, den Sie kennen oder sich vorstellen können. Mit allen Details, bitte! Welche Farbe hat der Himmel, wie ist der Boden beschaffen (Sand, Wiese, Fels?), wie riecht es, welche Gegenstände, Tiere oder Pflanzen gibt es da? Sehen Sie den Ort plastisch vor sich? Sehr gut! Er wird von jetzt an Ihr innerer Place to be, eine Art Startpunkt. Oder ein Ort, um mal richtig runterzukommen ...

Übung 2 - Kreative Visualisierung
Wie man mit der Methode „Seeblick“ den Kopf frei pustet. Stellen Sie sich mal vor, Sie schauen in einen See, und dieser See ist das Problem, die Angst vor einem wichtigen Gespräch. Ein Streit mit einer Kollegin. Ihr Gefühl, immer verantwortlich zu sein ... Jetzt versuchen Sie, bis auf den Grund des Sees zu schauen, durch alle Trübungen und Wellen hindurch, bis nach ganz unten. Was Sie dort vorfinden, ist der Kern des Problems, das gefühlsmäßig Unangenehmste. Der Grund des Sees. Und den sehen Sie sich in Ruhe an. Sie blicken dem Feind ins Auge, dem Gedanken, den man lieber verdrängen will, weil er nicht zu unserem Selbstkonzept passt. Stellen Sie sich jetzt ein paar Fragen. Was ist so unangenehm daran, wenn Sie das Gespräch führen werden? Irgendwann meldet sich die Intuition, vielleicht als kleiner Stich im Magen. Mit ihr der Gedanke, um den alles kreist. In etwa: Ich darf nicht versagen! Und die Lösung: Was ist so schlimm, wenn ich mal versage? Schauen Sie sich den Satz wie ein Bild an, das an der Wand hängt, ohne zu werten. Etwa zwei Minuten lang sprechen Sie sich den neu formulierten Satz innerlich vor, horchen Sie in sich hinein. Und wenn schon, denken Sie plötzlich, schlimmer wird’s nicht werden! Klappt schon! – Ein befreiendes Gefühl. Genießen Sie es.
Übung 3 - Gelassener werden
Wie man sich mit seinem größten Kritiker anfreundet. Setzen oder legen Sie sich entspannt hin. Stellen Sie sich vor, Sie betreten einen leeren Kinosaal. Auf der Leinwand läuft Ihr Lebensfilm. Und Sie kommen genau zur richtigen Szene: Das, was Sie gerade besonders beschäftigt, Ihr Anliegen, Ihr Problem, wird gespielt. In Reihe 15 sitzt Ihr größter Kritiker. Setzen Sie sich auf den Sitz daneben. Und dann lauschen Sie, wie er oder sie das Ganze bewertet. Nehmen Sie alle Bemerkungen zur Kenntnis. Könnte hinter dem ein oder anderen ein guter Rat stecken, etwas zu streng formuliert? Wenn Sie genug haben, stehen Sie auf und setzen sich in die letzte Reihe. Aus dieser Distanz verliert das ganze Szenario seinen Schrecken – Ihr Kritiker sitzt nun weit genug weg. Den Film lassen Sie eine Weile laufen. Machen Sie die Augen wieder auf, und atmen Sie tief durch.