

Nun, meine Füße kenne ich inzwischen bestens. Mein linker kleiner Zeh ist länger als der rechte. Burgunderroter Nagellack platzt schneller ab als der in Cherry-Pink. Und meine Füße frieren selbst im Sommer, wenn das Blut aus ihnen verschwindet, weil sie bereits eine halbe Stunde in die Luft ragen. Was ich treibe? Ach, ich stopfe mir aus Spaß regelmäßig ein Kissen unters Becken und mache eine Kerze gegen die Wand. Nein, natürlich nicht. Aus Spaß ist längst der totale Ernst geworden. Während meine Freundinnen von Fünf-Sekunden-ohne-Verhütung-Sex schwanger werden oder zumindest ziemlich bald nach Absetzen der Pille, drehe ich monatsweise durch, weil die ungebetene Tante Rosa wieder eintrudelt. Und: Ich überlasse nichts mehr dem Zufall.
Dabei wollten wir es entspannt angehen. Wie die meisten Paare, die sich ein Kind wünschen. Und bei denen alles mit einem romantischen Satz anfing: „Schatz, lass uns ein Baby machen!“ Das erste Mal ohne Sicherheitsvorkehrungen hat etwas Magisches. Doch dann folgt Warten und Lauschen auf den Körper: Ist mir schon schlecht? Ziept hier irgendwas? Die Natur wird’s schon richten! Dachte ich! Doch Zyklus um Zyklus, in dem sie ihren Job nicht erledigte, wurde ich zunehmend seltsamer. Frauen tun wunderliche Dinge, wenn sie ihrem Babyglück nachhelfen wollen. Es gibt Tausende davon. Ihr Treffpunkt ist das Internet, wo sie einander (mit ihren Tipps) wahnsinnig machen – in dutzenden einschlägigen Foren. Nach drei negativen Schwangerschaftstests kann es passieren, dass man eine von ihnen wird.

Mein Beine-hoch-nachdem-Sex-Spleen
Da begann auch mein Beine-hoch-nachdem-Sex-Spleen, obwohl der Nutzen in der Web-Community umstritten war. Als nächstes probierte ich diese obskure Teemischung aus: Himbeerblätter und Beifuß. Superdünger für Eizellen! Das schwor eine der Userinnen, die das Rezept vom Heilpraktiker der Tante ihrer Kollegin hatte. Ich trank die Plörre wochenlang – und bekam Übung darin, im Flieger, im Einkaufszentrum, im Kino heißes Wasser für den Aufguss zu organisieren. Ich kaufte mir ein digitales Thermometer mit zwei(!) Nachkommastellen, da es bei der Temperaturmethode auf Feinheiten ankomme. Wenn das Gerät 0,32 Grad mehr als am Vortag anzeigte, wurde ich euphorisch und orderte meinen Freund vom 500 Kilometer entfernten Seminar nach Hause. Glücklicherweise nahm er das alles mit Humor, auch wenn er murrte, weil er keine heißen Bäder und sein Notebook nicht mehr auf den Schoß nehmen durfte.
Er sollte keine Strahlung abbekommen, ich verzichtete auf Halbfett-Milchprodukte, die den Eisprung vereiteln können. Doch Nachwuchs bekamen die anderen. Ich fühlte mich, als würde mir der Eintritt zu einem exklusiven Club verwehrt. Am Ende unseres Kinderwunsch-Jahres ging ich traurig und erschöpft zum Frauenarzt. Ich legte ihm die vorbildlich geführten Temperaturkurven vor, in der Hoffnung, er könne den Haken erkennen. Er guckte zwei Sekunden darauf, lächelte väterlich und meinte: „Es gibt hier nur ein Problem, und das ist ihr Kopf.“ Im ersten Moment eine zutiefst unbefriedigende Diagnose. Dann begriff ich: Ich habe mich und meinen Körper extrem unter Druck gesetzt, weil ich so unbedingt schwanger werden wollte. Ich entsorgte das Thermometer, die Ovulationstests, die letzten Teekrümel, erteilte mir Rechercheverbot – und lebte endlich wieder! Zwei Monate später geschah das Wunder. Es ist heute 18 Monate alt und erinnert mich jeden Tag daran, dass man die allerbesten Dinge des Lebens nicht erzwingen kann.