Braucht man Kinder zum Glück?

Braucht man Kinder zum Glück?

Keine Angst, irgendwann mal allein dazustehen? Und die Entscheidung vielleicht zu bereuen? Jede fünfte deutsche Frau bleibt kinderlos, die Mehrheit aus freien Stücken. Warum „Social Freezing“ die Sache nicht einfacher macht – und wie die Familie der Zukunft aussehen könnte, erfahren Sie hier.

braucht-man-kinder-zum-glueck© RichVintage/iStock
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Amerikaner beschreiben Frauen ohne Nachwuchs neuerdings als „childfree“ (kinderfrei) statt „childless“ (kinderlos). Man möchte ihnen nicht unterstellen, dass sie unvollständig seien, nur weil sie keine Kinder kriegen wollen oder können. Stattdessen wird mit der Wortschöpfung signalisiert, dass alternative Lebensmodelle in Ordnung sind. In Deutschland sieht das anders aus: Kinderlosigkeit ist noch immer ein Anlass zur Skepsis, es sei denn, tragische Umstände haben dazu geführt. Wenn Frauen und Paare absichtlich andere Lebenspläne schmieden oder gar behaupten, sie hörten die biologische Uhr nicht ticken – kann etwas nicht stimmen. Denn, so verklickern es uns Politik und Medien ja immer noch: Früher oder später ein Kind zu bekommen gilt nicht als eine Option von vielen, sondern schlicht als naturgegeben.

Kinderlosigkeit als Nachteil in der Gesellschaft?

Wer sich trotzdem dagegen entscheidet Kinder zu bekommen oder allzu lange wartet, wird es bitter bereuen. Und bis diese Erkenntnis durchsickert, verschafft man Nicht-Müttern schon mal steuerliche Nachteile und überhäuft sie mit Vorurteilen: Neurotisch, selbstverliebt und unweiblich seien sie, egoistisch, konsumorientiert und kinderfeindlich. „Das Image der kinderlosen Frau ist miserabel und überfrachtet mit unzähligen Klischees“, sagt Sarah Diehl, 36, die für ihr Buch "Die Uhr, die nicht tickt“ (Arche, 256 S., 14,99 €) mit Frauen jeglichen Alters und sozialen Milieus sprach, die – wie sie selbst – freiwillig auf das Muttersein verzichten. Dass Diehl und die anderen sechs Millionen „Verweigerinnen“ zwischen 25 und 45 Jahren ein ebenso erfülltes Leben führen könnten, wird ausgeblendet. „Ebenso wie die Tatsache, dass es gerade das überladene deutsche Mutterideal sein könnte, das viele Frauen davon abbringt, Kinder zu bekommen“, sagt die Autorin.

Bizarr, wenn man sich vor Augen führt, dass Deutschland in Sachen Nachwuchs derzeit auf Platz 200 von 222 rangiert, jede fünfte Frau also schon kinderlos bleibt – die Mehrheit gewollt. Als Voraussetzung für das große Glück sieht die breite Masse den Faktor Familie nicht mehr: Eine aktuelle Forsa-Umfrage der PETRA ergab, dass sich 57 Prozent der Frauen zwischen 25 und 40 Jahren ein glückliches Leben auch ohne eigene Kinder vorstellen können. Unter Akademikerinnen sind es sogar zwei Drittel. Als sehr viel wichtiger empfinden die Deutschen gute Freunde, Gesundheit und einen Job, der ihnen Spaß macht und der sie erfüllt, besagt eine neue Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach. Anstelle der Kleinfamilie etablieren sich andere Modelle. Soziale Elternschaften etwa, also Paare, die öfter mal einspringen, wenn befreundete Eltern Hilfe benötigen. Und Panks: Das sind „Professional Aunts, no kids“, also Singlefrauen, die sich mit hohem Einsatz als coole Tante engagieren.

Sind Kinderlose Schuld am demographischen Wandel?

Die Soziologin Eva Illouz plädiert in ihrem populärwissenschaftlichen Buch „Warum Liebe weh tut“ (Suhrkamp, 467 S., 14 €) gar für die Trennung von Elternschaft und Beziehung. Ihr, zugegeben recht radikales, Konzept sieht vor, dass Frauen ihren Nachwuchs mit Frauen oder Männern aufziehen, die auch einen Kinderwunsch verspüren, aber nicht die Rolle des Partners einnehmen. Als Begründung führt sie an, dass sich Frauen im Rahmen der klassischen Kleinfamilie noch immer vom Wohlwollen des Mannes abhängig machten – und dadurch eher unglücklich würden. Wenn traditionelle Familienmodelle aber schon so offen angezweifelt werden: Warum hält sich das miese Image der Kinderlosen dann immer noch? Es ist die Öffentlichkeit, die es nach wie vor schürt. Wer sich um die Nachkommenschaft nicht schert, bricht den Generationenvertrag – und ist durch seine Gebärunwilligkeit außerdem Schuld an der demografischen Schieflage des ganzen Landes.

„Baby-Schock! In zwölf Generationen sind wir ausgestorben“, rechnete die „BILD“-Zeitung aus. Und der „Spiegel“ prophezeit, Deutschland werde ein „Land ohne Lachen“. Schuld seien die Frauen, nicht das System, will man uns weismachen – und treibt einen Keil in die Gesellschaft: auf der einen Seite die verantwortungsvolle, fleißige und aufopferungsvolle Mutter – auf der anderen die einsame Kinderlose als Sinnbild der Entsolidarisierung. Ein immenser Druck baut sich auf: Frauen, die keine eigenen Kinder möchten, horchen ein ums andere Mal in sich hinein, zweifeln ihre eigene Entscheidung an und springen auf Trends wie „Social Freezing“ an. Die Technik, Eizellen für später einzufrieren, ermöglicht, sich offiziell alles offenzuhalten. Andererseits wird aber nur die Spanne verlängert, in der wir keine klare Entscheidung treffen – und rechtfertigen müssen wir uns zehn bis 15 Jahre länger. Und: Wird die Generation der beruflich erfolgreichen Frauen als Mütter „50 plus“ körperlich und seelisch überhaupt mit Kleinkindern klarkommen?

Ewiges Streitthema Kind

Frauen mit Kinderwunsch wiederum geraten auf andere Weise in Zugzwang: Die „neue Weiblichkeit“ sieht nicht etwa vor, dass sie gleichberechtigt und gelassen durchs Leben gleiten, sondern dass sie sich neben der Mutterrolle gern noch im Job überarbeiten dürfen. Fakt ist, dass Männer ihren Kindern durchschnittlich noch immer nicht mehr als zwölf Minuten am Tag widmen; dass jede zweite Frau nicht mit einem Entgegenkommen ihres Arbeitgebers rechnen kann, wenn sie um ein flexibleres Modell ringt; und dass sich der Streit zwischen Eltern zu 52 Prozent an der Aufgabenverteilung aufhängt. Bislang wurde „die Entscheidung für eine eigene Familie selten von einer sachlichen Einschätzung getragen“, so Sarah Diehl. Im Mittelpunkt standen Liebe und emotionale Bereicherung. Nun aber geht der Trend zwangsläufig dahin, dass Frauen sich schon im Vorfeld mit der Überforderung, der Zerrissenheit und dem schlechten Gewissen, den fehlenden Kitaplätzen und überzogenen Ansprüchen an die moderne Mutterrolle auseinandersetzen.

Weil wir uns ernsthaft fragen müssen, ob wir dem „You can have it all“- Versprechen der Politik Glauben schenken können. Aus gutem Grund sind wir eher geneigt, unseren Freundinnen, Kolleginnen und Nachbarinnen zu glauben, die – ebenso wie Diehls Interviewpartnerinnen – bestätigen, dass Kinder in unserer Leistungsgesellschaft nicht nur Quell unendlicher Glückseligkeit sind – auch wenn sie ob ihrer Knappheit gern dazu stilisiert werden. Was soll man als Mutter nicht alles leisten, damit man selbst und der Spross bestehen können? Und wie wenig Raum bleibt umgekehrt noch für Liebe, Intimität und Gelassenheit? Die Statistik jedenfalls spricht das Glück eher den Kinderlosen zu: Einer Langzeitstudie der Universität Princeton zufolge sind diese im Durchschnitt deutlich zufriedener als Eltern, stehen wirtschaftlich besser da, unterstützen sich in der Beziehung besser und pflegen ihre Freundschaften sorgfältiger.

Jeder soll für sich die richtige Entscheidung treffen

Demgegenüber leiden laut einer Studie der Florida State University signifikant mehr Eltern als Kinderlose an Depressionen. Die Euphorie über den Nachwuchs nimmt nach den ersten Lebensjahren nachweisbar ab. Anders verhält es sich mit dem Selbstbild von Müttern: Den Nachwuchs erst einmal im Arm haltend, sind 76 Prozent der Überzeugung, dass die Familie ihr Glück komplettiert. Tauschen will fast keiner. „Trotzdem erscheinen uns die Lebensentwürfe der anderen oft verlockender als die eigenen, und sei es nur für einen kurzen Moment“, schreibt Sarah Diehl. „Wir neigen dazu zu vergleichen und unsere Entscheidungen auf ihre Richtigkeit hin abzuklopfen.“ Dabei übersieht man leicht, dass die Bedürfnisse, nach denen wir unsere Leben gestalten, nie universell, sondern immer sehr persönlich sind. Diehl: „Wir sollten sie nicht bewerten oder gegeneinander ausspielen, sondern respektieren.“ Jeder von uns habe nur dieses eine Leben, und jeder von uns habe Angst, falsche Weichenstellungen vorzunehmen. Fest steht: „Kinder sind weder Garanten für Glück noch Quell ständiger Sorge, weder Krönung noch Kitt für eine Beziehung“, so Diehl. Sie sind menschliche Wesen mit ganz eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen, die Eltern sehr viel abverlangen. Deshalb sollte es – so schreibt Diehl, und wir stimmen ihr zu – jedem freigestellt sein, ob er Zufriedenheit mit oder ohne sie zu erreichen glaubt. Was am Ende zählt, ist der Rückblick auf ein Leben, von dem man sagen kann, dass es erfüllt war.

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