
Die Billig-Masche
Discount, Outlet, Megastore: Wer modisch auf dem neuesten Stand bleiben will, wird davon nicht arm. Denn Mode kostet heutzutage kein Vermögen. Doch jeder gesparte Euro hat auch eine Kehrseite: Die Arbeitsbedingungen in den produzierenden Ländern verschlechtern sich zusehends. Schmerzlich spürbar wird das für uns Europäer spätestens dann, wenn Unglücke passieren, wie der Fabrik-Einsturz in Bangladesch Ende April 2013. Zudem kann die Verträglichkeit der Kleidung mit unserer Haut von den Herstellern nicht sichergestellt werden, weil bei der Produktion häufig giftige Chemikalien benutzt werden.
Mit unserem Konsum gefährden wir die Umwelt, andere und uns selbst - das ist kein Geheimnis. Die Frage ist: Wie viel wollen und können wir aus eigener Kraft verändern?
"Zu Anfang hieß es, Grün sei eine Blase, die früher oder später platzt", sagt Bloggerin und Buchautorin Kirsten Brodde im Petra-Interview. Die Aktivistin veröffentlicht auf ihrem Blog www.gruenemode.de regelmäßig aktualisierte Grüne Listen mit zertifizierten Shops und Labels, die sozial und ökologisch verträgliche Mode anbieten. Inzwischen könne sich der Selbstverständlichkeit, sauberer zu produzieren, kaum ein Unternehmen mehr entziehen, sagt sie. Die konventionelle Modebranche kenne die richtige Richtung.
Maßstäbe für grüne Mode
Nachhaltige Mode bedeutet, dass sie fair (also unter guten Bedingungen für die Arbeiter) sowie ökologisch (also mit möglichst geringer Belastung für die Umwelt) hergestellt wird. Eine "grüne" Blue Jeans zum Beispiel kann aus Bio-Baumwolle bestehen oder aus Hanf, die Waschungen müssen ökologisch sein, Effekte müssen mit Laser- oder Ozontechnik und nicht etwa mit Sandstrahlung erzeugt werden. Diejenigen, die die Jeans fertigen, müssen fair bezahlt sein. "Eine gut sitzende Öko-Jeans zu finden, ist einfacher geworden", sagt Kirsten Brodde. "Im Internet gibt es beispielsweise den 'Good Jeans Guide' von GetChanged.net. Die Grünen Listen auf meinem Blog nennen auch etliche Jeans-Label wie Nudie oder Koi. Es gibt auch farbige Öko-Jeans, ewa von Monkee Genes." Die folgenden Nachhaltigkeits-Zertifikate werden von der Aachener Stiftung Kathy Beys zu den derzeit wichtigsten gezählt:
- Fairtrade: achtet auf soziale Standards sowie Nachhaltigkeit und unterstützt Betriebe in der dritten Welt. Jedoch ist die Baumwolle nicht immer aus biologischem Anbau.
- Global Organic Textile Standard (GOTS): hat einen ökologischen Anbau, der eine minimale Schadstoffbelastung garantiert. Die Textilprodukte sind größtenteils aus biologischer Landwirtschaft. GOTS ist eine der sichersten Zertifizierungen.
- Naturtextil IVN: ist das sicherste Siegel mit den höchsten Standards. Der biologische Anbau garaniert 100% Naturfaser. Es wird sich an die sozialen Standards gehalten und es entsteht weniger Abfall.
- Bluedesign Standard: hat sehr strenge Richtlinien und Anforderungen im Bereich der Menschenrechte, Arbeitsnormen und des Umweltschutzes. Bluedesign wurde vom ÖkoTest mit gut bewertet.
- Naturland-Siegel: hat das zentrale Ziel der Nachhaltigkeit, des Klimaschutzes und des Umweltschutzes. Das Siegel hat eine strenge Kontrolle, achtet jedoch nicht so stark auf soziale Richtlinien.
- Öko-Tex Standard 100: verbietet gefährliche Substanzen, hat aber keine Sozialstandards oder eine Garantie für biologische Verarbeitung oder biologischen Anbau. Lediglich das fertige Produkt wird überprüft, nicht aber der Anbau oder die Herstellung.
- Öko-Tex Standard 1000: ist eine Verbesserung des Öko-Tex 100. Herstellungsbedingungen werden überprüft und die Richtlinien für Umweltschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz, Verbot der Kinderarbeit und nationale Gesetze werden eingehalten.
- Öko-Tex Standard 100plus: achtet auf soziale Bedingungen am Arbeitsplatz und produziert ökologisch. Die Anforderungen entsprechen Öko-Tex Standard 100, die Produktionskette muss aber den Anforderungen von Öko-Tex Standard 1000 entsprechen.

Grüne Labels
Das Angebot ökologisch und ethisch einwandfrei produzierter Mode ist groß, und es wächst weiter. Bei der Mercedes-Benz Fashion Week Spring/Summer 2014 sah das Publikum die grüne Seite der Designermode auf Schauen des Showfloor Berlin, des Lavera Showfloor, beim GREENshowroom und bei der Ethical Fashion Show. Auch Kirsten Brodde hat sich in Berlin umgeschaut und festgestellt: "Selbst im großen Zelt am Brandenburger Tor gibt es mittlerweile Grüne Mode zu sehen, und etliche kleine Labels zeigen ihre Neuheiten in eigenen Showrooms."
Die Designer geben sich redlich Mühe, den Look ihrer Öko-Mode auf einen grünen Zweig zu bringen. Denn das Müsli-Image haftet in manchem Kopf noch immer an der Öko-Bewegung: Unter Bio-Klamotten stellen sich viele noch die dröge Hanfhose mit dem jutesackförmigen Oberteil vor. Dass es auch anders geht, zeigen Designerinnen wie Anne Gorke. Sie ist schon lange auf dem Pfad der Grünen Mode unterwegs und hat dabei Erfolg. Bei der Berliner Fashion Week zeigte sie ihre Kollektion für Frühjahr/Sommer 2014: Sommerlich-leicht, viel Seide, Kleider in Khaki, Rose, Creme und Dunkelblau.

Grüne Shops
Und die Fachgeschäfte? 40 bis 50 grüne Conceptstores gibt es in Deutschland. Laut Brodde machen diese es den Kundinnnen leicht: "Sie können getrost alles vom Bügel nehmen. Es ist auf Herz und Nieren geprüft, absolut salonfähig und erschwinglich." Wer nicht in einer größeren Stadt lebt und einen solchen Laden nicht um die Ecke hat, kann sich die grüne Mode via Internet kommen lassen. So bietet der Webshop Armedangels beispielsweise Outfits für das gute Gewissen. Die Konsumentin kann direkt nachverfolgen, aus welchem Land ihr Kleidungsstück stammt und aus welchen Materialien es besteht.
Doch es geht nicht nur darum, was wir konsumieren, sondern auch wie viel. Solange wir große Mengen Klamotten kaufen, die wir in rasantem Tempo wieder einmotten, werden Mensch und Natur nicht entlastet. Für Kirsten Brodde gilt deshalb das Credo der britischen Modeschöpferin Vivienne Westwood: „Kauft weniger, dafür bewusster und sorgt dafür, dass die Sachen lange halten."

Dr. Kirsten Brodde ist Autorin und Aktivistin für Grüne Mode. Wir trafen die Expertin zum Gespräch, um sie nach den aktuellen Entwicklungen zu befragen.

Frau Dr. Brodde, was tragen Sie heute?
Eine helle Sommerhose von Alchemist, die pflanzlich gefärbt ist mit einem geflochtenen Gürtel aus Bio-Kork von ekn. Dazu ein graues Batik-Shirt von Wunderwerk und bunt-gestreifte Sneaker aus Recycling-Material. In zehn Jahren – so stelle ich mir vor – werde ich vielleicht zum Interview kommen und mir ein besonderes Teil für den Anlass geliehen haben, was ich mit einem Basic T-Shirt aus meinem eigenen Kleiderschrank kombiniert habe. Oder ich komme mit einer Jeans, die mir das Modelabel gleich mit einem Repair-Kit verkauft hat und die ich selber schon x-mal geflickt habe, dazu eine klassisch geschnittene Bluse, die aus übrig gebliebenen Stoffen gemacht wurde.
In jedem Fall werden wir alle kreativer mit Kleidung umgehen und auch anders konsumieren. Der Viel-und-Billig-Chic heutiger Tage liegt dann hinter uns.
Wie sind Sie zum Thema Grüne Mode gekommen?
Eher zufällig. Ich arbeitete als Redakteurin des Greenpeace Magazins und sollte Geschichten für eine Modestrecke im Heft finden und schreiben. Auf Recherchereisen in Produktionsstätten sah ich, wie dreckig die Textilindustrie war und dass die Branche versuchte, wegzugucken oder einen Schleier über die Missstände in Färbereien oder Nähbetrieben zu legen. Das Thema hat mich bis heute nicht mehr losgelassen, zumal die Grüne Mode heute salonfähig ist – nicht mehr nur für liebenswürdige Spinner, sondern für jedermann.
Ärgert Sie die Ignoranz vieler Menschen, wenn es um nachhaltigen Konsum geht?
Ich bin schon eine notorische Weltverbesserin und dabei durchaus missionarisch – insofern bin ich für meine Mitmenschen oft unbequem – fragen Sie mal meine Kinder! Aber ich lasse es nicht bei Appellen, sondern behalte mich selbst im Blick. Ich habe zuerst am eigenen Leib überprüft, ob man von Kopf bis Fuß auf "öko" umstellen kann, ohne einen Kredit aufzunehmen. Meine Freundinnen finden übrigens, ich sei besser angezogen als früher. Und seit ich statt Fashion-Polizistin auch grüner Einkaufsscout bin, werde ich auch wieder eingeladen.
Sie haben sich bei der Mercedes-Benz Fashion Week Spring/Summer 2014 in Berlin umgesehen. Wie bewerten Sie die grünen Trends, die dort präsentiert wurden?
Vor einigen Jahren konnte man noch alles angucken, inzwischen ist es ein Modemessen-Marathon, denn neben den spezialisierten grünen Modemessen wie dem Green Showroom oder der Ethical Fashion Show gibt es auch auf der Premium, der Bread and Butter, selbst im großen weißen Zelt am Brandenburger Tor grüne Mode zu sehen, und etliche kleine Labels zeigen ihre Neuheiten in ihren eigenen Showrooms. Während der Berliner Modewoche kommen wir beim Bloggen kaum noch hinterher und liefern Berichterstattung im Akkord.
Generell gilt: Alles, was über Sweat- und Jersey-Materialien geht, ist oft noch eine Herausforderung – manche Materialien fehlen den grünen Designern einfach noch. Es mag verrückt klingen, aber ich habe mich während der Julihitze auf der Berliner Modewoche in ein paar kniehohe dunkelrote Gummistiefel von Grand Step verliebt, die mich jetzt gerade trocken durch das Hamburger Schauerwetter tragen.
Welche Prognose geben sie ab: Setzen sich katastrophale Arbeitsbedingungen in den produzierenden Ländern, Skandale um Giftstoffe in der Kleidung und ähnliches fort? Oder glauben sie an die politisch herbeigeführte Wende?
Man sollte einfach zweigleisig fahren, anders einkaufen und sich engagieren, etwa die „Detox“-Kampagne von Greenpeace unterstützen. Und klar brauchen wir veränderte politische Rahmenbedingungen. Ich hätte als kritische Konsumentin gerne eine Verbraucherschutzministerin im Rücken, die politisch die richtigen Entscheidungen trifft, was derzeit nicht der Fall ist. Aber Politiker und Unternehmen haben feinnervige Antennen dafür, was Wähler und Kundinnen wollen. Insofern ist es wichtig, auch mit anderem Konsum ein Signal zu setzen.