
So ganz genau will man es nicht wissen. Wie ein Schmetterling möchte man von Trend zu Trend flattern, sich mit bunten, lustigen – und vor allem neuen – Kleidern umgeben, durch die Moden gaukeln, sorglos und frei. Und, hey! Sind das nicht Naturprodukte, die wir da an unsere Haut lassen? Baumwolle, Seide und Kaschmir, das sind doch natürliche Stoffe! Gut, letzte Woche hat man etwas über Chemikalien in Klamotten gelesen, auch mal eine Reportage über die Arbeitsbedingungen in einer Kleiderfabrik in Pakistan – aber was hat das schon mit dem Jeanshemd zu tun, das man gestern im Sale geschossen hat? Ähm, alles.

Über 6000 Giftstoffe in der Fashionwelt
Natürlich tun wir uns als Mode- und Trendmagazin besonders schwer mit dem Thema, andererseits ist das noch lange kein Grund, so zu tun, als würde es uns nichts angehen oder das Problem schlicht nicht bestehen. Dass sich das Monster einfach in Luft auflöst, wenn man sich ganz feste die Augen zuhält – die Nummer hat leider noch nie so gut geklappt. Und so nehmen wir die Hände herunter, gucken uns das Monster mal an – und stellen fest, dass die ganze Geschichte mit unseren eigenen Wünschen anfängt. Ein angesagtes Jeanshemd soll ja nicht nur gut aussehen, es muss noch viel mehr können. Es darf beim ersten Waschen nicht einlaufen. Oder plötzlich fleckig sein. Sich verformen oder gleich ausfransen oder sich in Wohlgefallen auflösen.
Natürlich wollen die Textilhersteller all diesen Wünschen gerecht werden – und das ist ohne den Einsatz von Chemikalien schlichtweg nicht möglich. Nein, nicht alle sind giftig, aber alleine die Zahl macht schwindlig: Circa 6000 verschiedene Zubereitungen von Hilfs- und Ausrüstungsmitteln listet der Textilhilfsmittelkatalog auf. In ihnen stecken etwa 400 bis 600 Inhaltsstoffe, Farbstoffe nicht mitgerechnet. Und diese Zahl spiegelt auch wider, welche komplexen Vorgänge und Produktionsstufen hinter der Kleiderproduktion stecken: Garnherstellung, Nähen, Färben, Veredelung, dazwischen mehrmaliges Waschen, Transport, um nur einige zu nennen. Bis das Teil im Laden hängt, wurde es mehrmals mit Chemie behandelt. Die spielt übrigens im Outdoor-Segment eine besonders große Rolle, weil sie all die High-Performance-Features garantiert, die heute auch U-Bahn fahrende Großstädter schätzen.
Die Wirkungen von Giftstoffen
Greenpeace startete im Jahr 2011 die „Detox“-Kampagne, in deren Rahmen der Einsatz von Chemie bei der Kleider- und Textilherstellung geprüft und dabei versucht werden soll, Marken dazu zu bewegen, giftfrei zu produzieren. Wer annimmt, dass nur die bösen Discounter giftige Textilien vertreiben, die unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt wurden – falsch gedacht. Insgesamt zeigten die Studien von Greenpeace in den letzten Jahren, dass ein hoher Preis keine Garantie für eine saubere Produktion ist. Manfred Santen, Chemieexperte von Greenpeace, sagt: „Ob etwas billig oder sündhaft teuer ist: Die gefundenen Chemikalien sind sich in beiden Fällen sehr ähnlich und kommen in einer ähnlich hohen Belastung vor.“ Und über welche Stoffe reden wir da genau? Meist handelt es sich bei ihnen zum Beispiel um Nonylphenolethoxylate (NPE). NPE kommen in Reinigungsmitteln vor und finden während der Herstellung beim Waschvorgang ihren Weg in die Kleidung. Sie schaden zwar nicht direkt der Gesundheit, aber: „Sobald wir ein Kleidungsstück in die Waschmaschine stecken, landet das NPE im Abwasser und baut sich zu Nonylphenolen ab. Die wirken hochtoxisch auf Wasserorganismen und haben eine immense Wirkung auf das Ökosystem“, sagt Manfred Santen. Per- und polyfluorierte Verbindungen sorgen dafür, dass Wasser und Schmutz von der Kleidung abperlen, allerdings können sie zu Hormonstörungen und Leberschäden führen. Und dann braucht es noch Substanzen, die verhindern, dass die Kleidung während der unendlich langen Transportreisen schimmelt.
Damit wäre man auch schon beim eigentlichen Kern des Problems. Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland keinerlei Regelungen gäbe. Die Verwendung von NPE ist beispielsweise in der EU stark beschränkt. Doch was macht das schon aus, wenn hierzulande sowieso kaum Kleidung hergestellt wird? Über 800 000 Tonnen Textilien importiert Deutschland jedes Jahr. Das meiste kommt aus Ländern, in denen es kaum gesetzliche Regelungen für den Einsatz von Chemie gibt: China, Indien, Bangladesch, die Türkei. Bei importierter Ware greifen jedoch keinerlei EU-Regelungen, die den Chemiegehalt einschränken. Und so landet die vergiftete Mode auch in deutschen Kleiderschränken – wobei, klar, die Hauptleidtragenden die Einwohner der Produktionsländer sind.
Kampagnen gegen giftige Chemikalien
Für Manfred Santen konzentrieren sich alle Bemühungen daher auf die Frage, ob und womit man die chemischen Helfer ersetzen kann, um dieselbe gewünschte Wirkung zu erzielen. Er ist überzeugt, dass es möglich ist, aber er bleibt realistisch. „Gerade für den Outdoor-Bereich ist es durchaus eine Herausforderung. Die Firmen selbst sind ja auch nicht glücklich über die Situation“, sagt er. Andererseits brauche es jemanden, der auf die Unternehmen Druck ausübe. „Wenn die sich nicht anstrengen, finden sie auch keine Alternativen. Wer jedoch mehr in Forschung investiert, stößt auf Lösungen.“ Immerhin: Die Aussichten in Sachen „Detox“ sind nicht schlecht; im Rahmen der Kampagne haben sich inzwischen 23 Labels dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2020 giftfrei zu produzieren, darunter Marken wie Adidas, Primark, Valentino und H&M. Wer schon heute modischen Chic mit grünem Gewissen kombinieren will, wird beim Londoner Label Chinti & Parker fündig, dessen Sweatshirts bereits an Cara Delevingne und Reese Witherspoon gesehen wurden. Die Marke verwendet für ihre Kollektionen Bio-Baumwolle und Garne aus Bambus, für dessen Anbau keine Pestizide eingesetzt werden. Auch die Faser „Seacell“, die aus Algen gewonnen wird, kommt bei Chinti & Parker zum Einsatz. Und dass ein Riese wie H&M nun bereits seit einigen Saisons mit seiner „Conscious“-Collection Mode aus Bio-Baumwolle, Bio-Seide, recycelten Materialien und Naturfasern wie Hanf anbietet, macht ebenfalls Hoffnung. Das Unternehmen Qmilch wiederum stellt Fasern aus Rohmilch her, die normalerweise in den Abfall wandern würde. Diese Milchfasern ergeben ein seidiges Material, das sich als „Milchseide“ bereits einen Namen in der Industrie gemacht hat. Selbst aus dem Bananenbaum lassen sich Fasern gewinnen, die später mit etwas Baumwolle zu einem Mischgewebe verarbeitet werden. In der Industrie findet fraglos ein Umdenken statt. Allerdings sollten noch andere einen Schalter in ihren Köpfen umlegen. „Der Kunde trägt eine große Verantwortung“, sagt Santen. Und da heißt das Zauberwort „Fashion Detox“. Das bedeutet nicht im Sinne einer Radikaldiät, allem zu entsagen. Dafür würden wir auch nicht plädieren wollen. Es heißt, bewusst über die bunte Mode-Wiese zu flattern. Nicht jede stylishe Plastikblume anzufliegen, sondern lange auf einem edlen Klassiker sitzen zu bleiben und sich darüber zu freuen. Auch mal durch Secondhandläden zu trudeln. Das klingt vielleicht nicht besonders sexy – aber aus dem Alter, in dem man sorglos und mit leerem Hirn durch die Gegend gaukelte, ist man eh raus.