
Haben Sie auch eine von diesen schicken dänischen Lampen an der Decke hängen? Sind Sie süchtig nach Kommissarin Lund und ihren Strickpullis? Träumen Sie von einem schicken Abendessen im Noma, einem der besten Restaurants der Welt? Und stöbern Sie stundenlang in dem hippen Laden mit den dänischen Modelabels? Kein Zweifel: Sie haben sich mit dem Kopenhagen-Virus infiziert. Und der ist hochansteckend: In jüngster Zeit herrscht ein regelrechter Hype um die dänische Hauptstadt und das einzigartige Design, das ihre Kreativen hervorbringen. Wie machen die das bloß? Warum ist alles so cool, was aus Kopenhagen kommt? Nun, manches haben uns die Dänen eben einfach voraus: ihr ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das Erbe der großen Mid-Century-Designer, die tollen Designschulen – und nicht zuletzt ihre entspannte Lebensart.

Erwiesenermaßen sind die Dänen das glücklichste Volk der Welt, und Kopenhagen steht auf der Liste der lebenswertesten Städte immer weit oben. Mit gutem Grund: So schaffen es die Dänen zum Beispiel problemlos, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Sie legen großen Wert auf Nachhaltigkeit: Statt sich im Stau schwarz zu ärgern, radeln sie lieber durch ihre grüne Stadt und freuen sich über die gute Luft. Zum Business-Meeting kommen sie nicht in High Heels, sondern in bequemen Sneakers – und sehen tipptopp darin aus. Die relaxte Mentalität unseres kleinen Nachbarlandes prägt auch die Trends, die dort geboren werden. Und der spezielle, nordische Chic trifft offenbar einen Nerv: Dänische Mode ist so beliebt wie nie zuvor, und Kopenhagen mausert sich mehr und mehr zur Fashion-Metropole. Namen wie Baum und Pferdgarten, Wood Wood oder Bruuns Bazaar klingen wie Musik in den Ohren der Modejünger. Kein Wunder, die Entwürfe sind lässig, verschiedene Stile werden wie selbstverständlich miteinander kombiniert.
Besonders im Möbeldesign hat Dänemark eine langstehende Kultur
Dieses besondere Stilgefühl saugen die Dänen schon mit der Muttermilch auf, meint die dänische Modestylistin Dorothea Gundtoft. Sie hat zahlreiche Gespräche mit Designern geführt und als Buch ("Fashion Scandinavia: Contemporary Cool", Thames & Hudson, 256 S., 18,95 Euro) veröffentlicht. Bei ihren Interviews fand sie heraus, dass die Kreativen aus Kopenhagen sich noch heute von den Design-Ikonen der 50er- und 60er-Jahre inspiriert fühlen. Damals erlebte das dänische Design seine goldene Ära: Die Architekten Arne Jacobsen, Finn Juhl oder Hans J. Wegner verschrieben sich der Möbelgestaltung und wurden mit ihren modernen Klassikern wie dem "Ei", der „Ameise“ oder dem "Pfau" weltberühmt. Bis heute kommt keine Wohnzeitschrift ohne ihre zeitlosen Lampen, Stühle oder Vasen aus. "Wir Dänen wachsen auf mit diesem großartigen Design, und das prägt uns", so Gundtoft.

Inspiriert von Meistern
Wer als Kind seine Frühstücksflocken mit Arne-Jacobsen-Besteck isst und seine Hausaufgaben auf einem Bürostuhl von Verner Panton macht, der geht eben auch später keine stilistischen Kompromisse ein. Davon sind auch Rikke Baumgarten und Helle Hestehave überzeugt – sie sind die kreativen Köpfe hinter dem Label Baum und Pferdgarten. "Moderne Designer wie Juhl oder Wegner legten großen Wert auf Handwerkskunst und Qualität als Teil eines einfachen und funktionalen Lebens", sagen die Designerinnen. „Die meisten dänischen Kreativen sind beeinflusst von dieser Art zu denken und zu arbeiten.“ Auch sie selbst haben sich einiges von den alten Meistern abgeschaut – etwa ihre Vorliebe für Kontraste und ungewöhnliche Materialien. Ihr Vorbild, der Designer Finn Juhl, kombinierte einst für seine organisch geformten Sofas und Sessel Teakholz mit Leder oder Stoff, was in den 50ern einer Revolution gleichkam.
Das wertvolle Erbe der dänischen Design-Ikonen hatte allerdings auch eine Kehrseite: Lange taten sich die nachfolgenden Generationen mit den übergroßen Idolen schwer und konnten sich nur langsam aus ihrem Schatten befreien. Doch inzwischen hat sich vor allem in Kopenhagen eine neue, selbstbewusste Designszene entwickelt, die gerne experimentiert und Traditionen infrage stellt. In Sachen Interior geben Jungstars wie Louise Campbell oder Kasper Salto die Richtung vor. Sie zeigen sich wagemutiger als ihre Vorgänger und haben ganz neue Materialien für sich entdeckt. So entwarf Campbell etwa den "Prince Chair" aus Neopren und Filz mit zahlreichen Cut-outs. Der Sessel wurde vom Designshop Hay in Produktion genommen und ist inzwischen sogar im New Yorker MoMA zu bewundern. Kasper Salto lässt sich für seine Objekte von Formen und Farben der Natur inspirieren. Für den Möbelhersteller Fritz Hansen hat er unter anderem den "NAP"-Stuhl kreiert, der schon heute als Klassiker gilt.

Neuer Stil - auch in der Mode
Auch die dänische Mode hat sich neu erfunden: War sie lange Zeit für gedeckte Farben und modern-minimalistische Schnitte bekannt, sieht man auf den Laufstegen der „Copenhagen Fashion Week“ nun auch knallige Bonbontöne und ausgefallene Kreationen. Designer wie Henrik Vibskov, Stine Goya oder Anne Sofie Madsen haben sich mit ihren Kollektionen einen internationalen Ruf erarbeitet. Das Besondere an ihren Arbeiten: Die dänischen Designer zehren zwar von ihren kulturellen Wurzeln, aber sie mixen traditionelle mit modernen Elementen und geben ihnen so einen ganz neuen Twist. "Besonders die jungen Modemacher erweitern die Grenzen der dänischen Ästhetik und stellen sich damit dem internationalen Wettbewerb", so Dorothea Gundtoft.

Ein Grund dafür sind auch die ausgezeichneten dänischen Designschulen. Zwar haben sie noch nicht den Ruf eines Londoner Saint Martins College, das weltweit als Kaderschmiede gilt. Doch die Modejournalisten haben längst auch ein Auge auf die Kopenhagener Absolventen geworfen. "Die Ausbildung an den dänischen Designschulen ist sehr marktbezogen und praktisch orientiert", sagt Nina Peter, Redaktionsleiterin beim Deutschen Mode-Institut DMI in Köln. Ihrer Ansicht nach sind die Themen Mode und Design in Dänemark generell stärker verankert als in Deutschland. Und um dänische Mode auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen, wurde eigens das Danish Fashion Institute gegründet. "So können sich auch kleine Labels leichter etablieren", so Nina Peter.

Christian Gregersen, Chef der Kopenhagener Modemesse "Gallery", freut sich seit Jahren über steigende Besucherzahlen und sagt: "Die dänischen Designer tun, was sie für richtig halten. Ihnen wird nicht von einem Verkaufsleiter erzählt, wie ihre Mode auszusehen hat." Der weltweite Erfolg von dänischen Filmen oder der neuen nordischen Küche stärke auch das eh schon ausgeprägte Selbstbewusstsein der Designer. "Sie wagen es, sie selbst zu sein", so Gregersen. Und weil die Wirtschaft in Dänemark vergleichsweise stabil sei, blieben viele Talente im Land.

Die Selbstsicherheit der Kreativen speist sich auch aus der für Dänemark so typischen offenen Gesellschaft. Hier darf jeder sagen, was er denkt, Praktikanten können sich genauso einbringen wie der Geschäftsführer. Sogar das Design selbst ist demokratisch: Statt auf Luxus setzen die Dänen lieber auf erschwingliche Qualität. Jeder soll in der Lage sein, sich wirklich gutes Design zu leisten, so der Anspruch. Die dänischen Kreativen entwerfen ihre Mode nicht für einen kleinen Kreis von Vermögenden, sondern für Menschen, die einen Job und Kinder haben, die mit dem Rad durch die Stadt flitzen – und dabei ihr Stilbewusstsein nicht vergessen.

Genau diese Mischung aus Entspanntheit und Exklusivität ist es, die wir am dänischen Design so lieben. Und dann ist da noch ein weiterer Punkt, der nicht unerwähnt bleiben soll: Dänische Mode entspricht viel eher unseren Proportionen als die winzigen italienischen Größen, mit denen die meisten von uns schon leidvolle Erfahrungen gemacht haben. Skandinavische Kleidungsstücke hingegen sorgen für deutlich mehr Erfolgserlebnisse in der Umkleidekabine. So gesehen ist es gar nicht schlimm, wenn wir uns alle vom Kopenhagen-Virus anstecken lassen. Wer möchte gegen so viel Coolness schon immun sein?
Design Made in Denmark
Baum und Pferdegarten: Seit der Gründung 1999 eines der kreativsten dänischen Labels: unter baumundpferdgarten.com.
By Malene Birger: Die Mode von Malene Birger ist zwar sophisticated, aber immer tragbar. Sehenswert ist auch ihr Bildband „Life and Work“ mit vielen Interior-Inspirationen: unter bymalenebirger.com.

Henrik Vibskov: Ist er nun Künstler oder Designer? In jedem Fall macht Henrik Vibskov kunstvolle Mode: unter henrikvibskov.com.
Anne Sofie Madsen: Die junge Designerin entwirft Mode für starke und feminine Frauen: unter annesofiemadsen.com.
Ole Lynggaard: Das dänische Familienunternehmen kreiert bereits seit 1963 traumhaften Schmuck. Präsentiert wird er von Model Helena Christensen: unter olelynggaard.com.
Hay: In dem Designshop in der City von Kopenhagen verfällt jeder dem Kaufrausch: Bei den Möbeln und Deko-Objekten würde man am liebsten gleich in den Shop einziehen: unter hayshop.dk.
Fritz Hanse: Hier gibt es die dänischen Möbelklassiker von Jacobsen und Wegner ebenso zu kaufen wie brandneues Design: unter fritzhansen.com.