
Es sollte ihr großes Comeback werden. Anfang 2012 kehrte Jil Sander als Kreativdirektorin zu ihrem über 40 Jahre zuvor gegründeten Label zurück. Wenn andere in Rente gehen, legen Frauen wie Jil Sander noch einen nach. Nicht einmal zwei Jahre später war es dann aber schon wieder vorbei. Im Dezember 2013 verließ die Designerin zum dritten Mal in Folge ihr 1968 eigens gegründetes Label. Diesmal sei es nicht, wie in der Vergangenheit, aufgrund von Differenzen mit der Geschäftsleitung geschehen sondern aus privaten Beweggründen. Warum sie erneut das Handtuch warf, gab die pressescheue Designerin nicht preis, es wird jedoch gemunkelt, dass sie sich um ihre gesundheitlich angeschlagene Lebenspartnerin kümmern wolle. In jedem Fall ist für die inzwischen 70-Jährige dieses Mal vermutlich das endgültige Ende der Karriere erreicht.

Ihr Label macht auch ohne sie weiter. Ein Team aus Designern kreierte die aktuelle Kollektion, die jetzt auf der Fashion Week in Mailand gezeigt wurde. Die geraden Schnitte in leichten Pastellfarben wurden mit Applaus belohnt, die Besinnung auf die Ursprünge der Marke von Kritikern gelobt. Doch was sind eigentlich die Ursprünge der Marke?
Sanders Anfänge
Bevor Sander ihre lange und erfolgreiche Karriere als Designerin startete, beeindruckte die gelernte Textilingenieurin vor allem als Modejournalistin. Ihren Anfang hatte sie sogar bei uns in der PETRA Redaktion. Mit gerade mal 24 Jahren wagt sie dann den ersten Schritt in Richtung Selbstständigkeit und eröffnet im Hamburger Stadtviertel Pöseldorf ihre eigene kleine Modeboutique, wo sie Labels wie Thierry Mugler und Sonia Rykiel in Kombination mit eigens entworfenen Kreationen verkauft. 1973 ist ihre erste Kollektion in ihrer Boutique verfügbar. Zur Enttäuschung der jungen Geschäftsfrau hält sich die Kauffreude ihrer hamburger Kunden vorerst sehr in Grenzen. Es dauert knapp drei Jahre, bis sie sich dann, trotz aller anfänglichen Schwierigkeiten, mit ihrem berühmten Zwiebellook einen internationalen Namen in der Modebranche macht. Kurze Zeit später erweitert sie als eines von wenigen Labels ihre Firma um eine Kosmetiklinie und tritt für Werbezwecke der Jil Sander Woman pure Linie mit ihrem eigenen Gesicht in Erscheinung. Eine ganz neue Form der Werbung. Die Designerin wurde sofort zum Sinnbild der jungen Marke und jeder kannte plötzlich die Frau, die hinter dem Unternehmen steht, was die Beziehung zwischen Marke und Kunden immens stärkt. Mehrere Male kann sich ihr Label nur durch die Einnahmequellen der sehr erfolgreichen Beautylinie über Wasser halten. Viele Firmen folgen der Idee Sanders und mittlerweile führt fast jede bekannte Modefirma auch eine zusätzliche Kosmetiklinie.

Pariser Chic und Sanders Visionen
Während ihr Ansehen gerade Anfang der 90er Jahre in Deutschland immer mehr anwächst, trifft ihre Mode in Paris eher auf Ablehnung. Luxuriöse, auffällige Mode und vor allem Diors New Look werden gefeiert und dankbar angenommen, Sander hingegen kann mit ihren viel zu strengen und schlichten Entwürfen nur wenig Begeisterung beim Pariser Publikum wecken. Sie ist mit ihrem Stil der Modewelt 10 Jahre voraus. Während es den Meisten darum geht, die Frau gekonnt als elegante Dame zu inszenieren, beschäftigt sich Sander längst mit der Emanzipation der Frau. Die Marke Jil Sander soll der Frau eine Hilfe auf dem Karriereweg sein und ihr Auftreten zielstrebig und selbstbewusst wirken lassen. Die damalige Herrenmode wird schnell zur Inspirationsquelle und so werden Herrenstoffe bald zum festen Bestandteil in ihren Kollektionen. Vor allem der Hosenanzug gehört seit Sander in jeden weiblichen Kleiderschrank. Immer mehr adaptiert sie Elemente der Herrenschnitte in ihre Entwürfe, ohne diesen dabei die Weiblichkeit zu nehmen. Gekonnt kreiert sie kreative und dynamische Schnitte, die dem weiblichen Körper eine Form geben sollen, ohne zu behindern oder einzuschränken. Ihre Mode steht bis heute für ein modernes Körpergefühl, das Ausstrahlung und Attraktivität verleiht.
Internationaler Durchbruch
Mit dieser Einstellung gelingt ihr 1992 auf der Mailänder Fashion Week endgültig der internationale Durchbruch. Schnell vergleicht man ihre Linienführung mit der Giorgio Armanis und allgemein gilt ihr Stil nun als puristisch und frei von allen überflüssigen Details. Diese Schlichtheit wird zusätzlich durch unauffällige Farben unterstrichen. Glasklare und zeitlose Schnitte werden zu Jil Sanders Markenzeichen. 1999 verkauft sie dann 75 Prozent ihrer Firma an den Prada-Konzern, zieht sich dann nach Differenzen zwischen ihr und der Konzernleitung aus dem Geschäft zurück und verlässt 2000 erstmals ihre eigene Firma. Was folgt sind Jahre des Auf und Abs. Von 2003 bis 2004 kehrt die Designerin ein erneutes Mal zurück und kündigt dann ihren endgültigen Rücktritt an. Nach einer längeren Auszeit meldet sich die mittlerweile gealterte Designerin 2012 abermals zurück, nur um Ende 2013, nach mehreren tollen Kollektionen, wieder das Amt nieder zu legen.
„Coco-Sander & Queen of cashmere“
Zielsetzung ihrer Arbeit war es immer, gutes Design in höchst qualitativer Form für wenig Geld anzubieten. Es sollte eine schlichte Mode sein, die sich durch besonders moderne Schnitte vom Rest abhebt. Heute bezeichnet man diese damals fast schon revolutionäre Mode als minimalistisch und puristisch. Jil Sander musste jedoch früh feststellen, dass Qualität ihren Preis hat und konnte ihre Ursprungsidee, preiswerte Mode zu entwerfen, bis zum Höhepunkt ihrer Karriere nicht mehr beibehalten. Viele krönten sie aufgrund ihres hohen Qualitätsanspruchs und dem Willen ihren Visionen nachzugehen, zur Kaschmir-Queen oder deutschen Coco Chanel. Die zeitlose Mode Sanders wurde zu einem prägenden Element der deutschen Kultur und auch heute noch steht ihr Name für ein sehr schlichtes, aber umso moderneres Label. Im Laufe ihrer Karriere hat sie herausragende Leistungen erbracht und mit ihren Visionen die Modewelt immer wieder bereichert. Fest steht: Wir können stolz auf eine Modemacherin sein, die uns bis heute an ihren Ideen hat teilhaben lassen! Und wer weiß, vielleicht meldet sich Sander wie in vergangener Zeit dann doch noch einmal zurück.