Happy Birthday, Antwerpen!

Happy Birthday, Antwerpen!

Gratulation! Die renommierte Modeakademie in Antwerpen feiert ihren 50. Geburtstag. Wir warfen einen Blick in die heiligen Hallen des Fashion-Tempels und machten danach noch einen Rundgang durch die Stadt.

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Modemuseum

Kein lautes Klackern von Absätzen, kein Schmuck, keine Neon-Farben. Stattdessen trägt man Slipper, Sneaker – und am liebsten Schwarz. Im Antwerpener Modeviertel ist Understatement angesagt. Na ja, nicht überall. In einem Schaufenster in der Nationalestraat stapeln sich goldfarbene Holzstühle zu kippeligen Türmen, die aussehen, als würden sie jede Sekunde umfallen. Davor steht eine Schaufensterpuppe in einem Bleistiftrock, auf dem ein Greifvogel Jagd auf Wörter macht. Dazu eine Jacke in zartem Rosa, weißgoldene Pumps und goldene Statementkette. Schlicht ist anders.

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Reise-Tipps: PanoramaBlick auf das Museum aan de Stroom (deutsch: Museum am Fluss), das kurz MAS genannt wird

Vielleicht ist das die modische Art, das Jubiläum der Modeakademie in der flämischen Hafenstadt zu feiern, denn schließlich handelt es sich um den Flagship-Store des Designers Dries Van Noten, eines der berühmtesten Absolventen der Akademie. Mode hat in Antwerpen Geschichte: Seit 350 Jahren gibt es die Kunstakademie; seit 50 Jahren das Modedepartment der Akademie. Zusammen mit dem Modemuseum und dem Flanders Fashion Institute bildet es die ModeNatie, den Dreh- und Angelpunkt belgischer Mode.

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Reise-Tipps: StofflichAnja Schwerbrock, eine deutsche Designerin in der Kloosterstraat.

Wobei man sagen muss, dass man erst in den 80er-Jahren auf die kleine Stadt an der Schelde aufmerksam wurde. In dieser Zeit eroberten sechs Absolventen der Akademie die Modewelt, die "Antwerp Six". Zu ihnen gehörten außer Van Noten auch Ann Demeulemeester, Walter Van Beirendonck, Dirk Bikkembergs, Marina Yee und Dirk Van Saene. Doch es blieb nicht bei den sechs Ausnahme-Talenten: Bis heute versorgt die Königliche Akademie der Schönen Künste die Fashion-Szene mit Designern wie Veronique Branquinho, Bernhard Willhelm, Christian Wijnants oder Haider Ackermann. Angefangen haben sie alle in einem imposanten Altbau im Zentrum der City – und in der Hoffnung, einmal Kollektionen zu entwerfen, die um die Welt gehen.

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Reise-Tipps: Faltenwurf Auch von innen sehenswert: das Museum aan de Stroom

Einer, der diesen Weg schon beschreitet, ist Cedric Jacquemyn. Nach seinem Abschluss blieb der Absolvent in Antwerpen und gründete sein eigenes Label. Heute verkauft Cedric seine Herrenkollektionen in Berlin, Paris, Schanghai, Perth und Tokio – und in Antwerpen natürlich. Die Entwürfe des 25-Jährigen sind dunkel, fast mystisch, seine Schnitte extravagant. Schlanke Silhouetten, fließende Naturfasern, inspiriert von der rauen, unwirtlichen isländischen Natur, die ihn auf Reisen faszinierte. Cedric greift einen Bügel vom Kleiderständer und legt ein dunkelgraues Top aus der neuen Kollektion auf den Tisch, ärmellos, grobes Design, einzelne Fäden fallen bis zur Taille herunter. Lavafelder zum Anziehen. Kreativität, das bedeutet, sein Innerstes nach außen zu kehren und Gefühle in Stoff auszudrücken.

Die Akademie fördert Kreativität

Cedric erzählt: "In der Akademie wollen sie, dass du in dich horchst, fühlst, wer du bist und was dir wichtig ist." Und Emotionen sind nicht immer heiter, klar und bunt: Wer sich in den Unterrichtsräumen der ModeNatie umsieht, entdeckt finstere Skizzen, düstere Entwürfe, Jacken, die bis über die Nase reichen, eine übergroße schwarze Weste aus Federn, Figurinen laufen dunkle Rinnsale aus Nase und Mund. Doch daneben finden sich auch clownartige Stücke: bunte Puffärmel, grün karierte Leggings, Kragen in Form von Füßen. Auf den Tischen stapeln sich Stofffetzen und halb fertige Entwürfe in einem Meer aus Stecknadeln. Die Akademie ist ein avantgardistischer Kokon, in dem ein jeder Student seine unnachahmliche stilistische Handschrift entwickelt – und entwickeln muss, um sich von den anderen zu unterscheiden.

Es geht um die Suche nach dem Extremen, dem Außergewöhnlichen, nicht um das Tragbare. Eine schwierige Aufgabe. Davon weiß der Student Dimitri Arvanitis ein Lied zu singen. "Es ist kein Zuckerschlecken, meine Familie habe ich seit sieben Monaten nicht mehr gesehen, gutes Zeitmanagement ist wichtig", sagt der schlanke in Schwarz gekleidete Mann mit dem gestutzten Vollbart. "Wer ist bereit, am Wochenende bis vier oder fünf Uhr morgens an der Nähmaschine zu sitzen, wer hat die Kraft dafür, wer will es unbedingt?" Der deutsche Student ist in seinem vierten Jahr, dem letzten. Nur wenige schaffen es so weit.

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Reise-Tipps: HistorieFashion-Fotos im Modemuseum

Eine radikale Auslese

Etwa 700 Leute haben in Dimitris Jahrgang den Aufnahmetest gemacht, davon wurden gerade mal 70 aufgenommen. Jetzt sind noch 14 Studenten übrig. Eine radikale Auslese. Einige werden es in die großen Häuser schaffen, "andere bleiben in Antwerpen, arbeiten tagsüber an ihren Kollektionen und abends in einer Bar". Dimitri hält einen Bügel mit einem violetten Mini-Pelzrock in die Höhe, einzelne rosa gefärbte Fellbüschel stechen hervor. "Nein", der Rock sei keineswegs für Frauen gemacht, sagt er und streichelt über den Pelz, "das tragen meine Männer." Unterstützung bekommen die jungen Designer vom Flanders Fashion Institute, das Aufträge vermittelt, Workshops organisiert und die Nachwuchstalente zu den Modenschauen nach New York und Paris schickt. Und auch die erfahrenen Designer setzen sich für die nachfolgende Generation ein, geben Workshops, stehen als Paten zur Seite. Raf Simons etwa, Chefdesigner von Dior, ist für die Studenten per Mail erreichbar.

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Reise-Tipps: LustvollZum Jubiläum: schrille Ausstellungsstücke im MoMu.

Es ist nicht elicht, etwas neues zu entwerfen

Letztes Jahr hat Dries Van Noten einen Studenten direkt nach der Abschlussshow in sein Team rekrutiert. Ein Glückstreffer. Und Dimitri durfte zwölf Silhouetten für die diesjährige Abschlussshow der Akademie entwerfen, sie erinnern an bunte Tiere: eingefärbte Fuchspelze und Springbockfelle, natürliche Materialien künstlich aufgemotzt, simple Schnitte, zumeist mit einem Twist, einem überraschenden Detail. Es sei nicht leicht, etwas Neues zu entwerfen. "Wir leben im 21. Jahrhundert – es ist alles schon mal da gewesen." Ob er nach seinem Abschluss in Antwerpen bleibt, ist ungewiss. Wen es nicht zum Studieren in die Stadt zieht, der kommt zum Shoppen. Während der Stock-Sales im Frühjahr und Herbst kann man in den Outlets hervorragend nach heruntergesetzten Schmuckstücken stöbern. Hochkarätige Designer wie Stephan Schneider und Christoph Broich verkaufen dann ihre auslaufende Kollektion mit Rabatten bis zu 90 Prozent.

Shopping-Paradis Antwerpen

Exklusive Modeschnäppchen, die es nicht nur in den Geschäften der Designer, sondern auch in Pop-up-Stores zu kaufen gibt. Die verstecken sich oft an ungewöhnlichen Orten, wie dem Huis Happaert, einem eleganten Stadthaus aus dem 16. Jahrhundert in der Happaertstraat. Noch immer ist in der Modestadt altes Handwerk gefragt, wie in der Ganterie Boon in der Lombardenvest. Das holzvertäfelte Innere des 1884 eröffneten Handschuhgeschäfts versprüht historisches Flair, in den Holzregalen stapeln sich grüne abgewetzte, handbeschriftete Kartons, in denen Hunderte von Handschuhen aufbewahrt werden. Einfarbige schlichte Modelle für jeden Tag, die gelochte Variante zum Cabrio-Fahren, extravagante Varianten in Schlangenleder-Optik. Die Manufaktur ist über die Grenzen Belgiens hinaus für ihre Handschuhe aus Peccary-Leder bekannt, eine begehrte Rarität, die in stundenlanger Handarbeit mit bis zu 2000 Stichen genäht wird. Kostenfaktor: 100 Euro aufwärts.

Wer Geld sparen will, atmet einfach den Duft der Mode ein, den diese Stadt an unerwarteten Stellen versprüht. In dem Antiquitätenladen Tante Brocante in der Kloosterstraat stehen neben Milchkannen und Hirschgeweihen ein Dutzend französische Schneiderpuppen, aufgereiht wie Zinnsoldaten. Sie alle ziert der Stempel "Couture – Faubourg Saint Honoré", es handelt sich um Originale von der weltweit wichtigsten Einkaufsstraße in Paris. Wenige Häuser weiter bekommt die Liebe zur Mode einen selbstmörderischen Zug: Etwa zwanzig unbekleidete Schaufensterpuppen stehen auf den Fenstervorsprüngen eines dreistöckigen Hauses – ohne Arme und Beine. Kunst für Fashionfreunde. Und in der St. Andreaskirche in der Sint-Andriesstraat schmückte Ann Demeulemeester die Madonna mit einem hellen paillettenbestickten Gewand mit schwarzen Fransen und Federkragen. Antwerpen halt. Erlaubt ist, was anders ist. Und das hoffentlich noch sehr lange.

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