
Auf Knien hocken sie vor der Wanne, die Gummihandschuhe bis zum Ellenbogen hochgezogen, und tauchen das Leder immer wieder ins Farbbad. Wann stimmt der Ton? Sieht die Schattierung endlich gut aus? Nächtelange Experimente mit teurem Nappa, nur für eine Jacke. Am Ende sind die Finger schwarz, trotz der Handschuhe, und die Augen rot. Nützt ja nichts, die Musterstücke für ihre Biker-Batik-Jacken machen Jesko Wilke und Maria Poweleit noch immer selbst. "Wir haben diesen Look ja auch erfunden", sagen die beiden Designer des jungen Labels Glaw. Es braucht gute Ideen und absoluten Einsatzwillen, um mit einem eigenen Label aufzufallen. Viele Teenager träumen davon, sehen sich Entwürfe skizzieren und Stoffe drapieren.

Wenige finden einen guten Studienplatz, und von denen kapitulieren so einige, wenn sie im ersten Praktikum den Alltag erleben: Der ist kaum kreativ. Ein Modelabel ist ein Unternehmen. Einkauf, Produktion, Vertrieb und Marketing, Preisbildung, Warenwirtschaftssystem – gehört alles dazu. Wen das abschreckt, der schlüpft lieber als Kreativer bei einem großen Modehaus unter. Die zwei von Glaw räumten gleich nach dem Studium Ecken ihrer Wohnungen frei, um ihre erste Kollektion zu entwickeln. Sie hatten sich vorher schon oft zusammengetan, um nicht allein zu sein, wenn sie mal wieder die Nacht durcharbeiten mussten. An der Esmod Berlin, der Dependance der Internationalen Kunsthochschule für Mode, zu studieren, fanden beide ideal, gerade wegen des strammen Programms. "Das war die beste Vorbereitung auf den harten Alltag." Die Schinderei zahlt sich aus, jetzt, nach zwei Jahren. Mit ihren Jacken sind Glaw bekannt geworden, aber sie entwerfen auch Spitzenkleider und hauchdünne Blusen. Eine eigene Mischung aus hart und zart, die sie in diesem Sommer erstmals im Showzelt der Berliner Fashion Week gezeigt haben. Kritiker loben ihre Ideen, im Onlineshop kostet eine typische Biker-Batik-Lederjacke fast 1000 Euro. Klingt glamourös, aber ist das schon der Durchbruch? "Leben können wir von unserem Label noch nicht", gesteht Wilke.

Wäre auch ein Wunder, meint Thomas Bentz vom Modelabel Achtland. "Es dauert eben fünf Jahre, bis es so weit ist." Bentz und sein Partner Oliver Lühr sind ebenfalls 2011 an den Start gegangen – auch Achtland wirft noch nichts ab. "Wir haben einen konservativen Businessplan geschrieben, und der passt", sagt Bentz gelassen. Er ist der Manager des Duos, hat einen Wirtschafts-Master in London gemacht. Dort lernte er auch Lühr kennen, der am berühmten Central Saint Martins College Modedesign studiert hatte. Die beiden wurden erst ein Paar, dann wollten sie gemeinsam etwas auf die Beine stellen. "Dass es Mode wird, war klar", sagt Bentz. Die Aufgaben teilen sie sich nach ihren Fähigkeiten, aber: "Es ist nicht so, dass Thomas die Peitsche schwingt und ich mit Tüchern durch die Gegend tanze", sagt Lühr. Oft sei er, der Kreative, sogar der Rationalere und Sparsamere. Vom College hat er sein kreatives Selbstbewusstsein mitgebracht. "Das brauchst du unbedingt, wenn du ein Label gründest", so Bentz. "Du musst wissen: Das ist der Look, den ich schaffen will. Der hat eine Berechtigung."
Modedesign ist ein Geschäft
Dass die Welt Achtland braucht, fand auch Christiane Arp, als sie 2012 eher zufällig die erste Kollektion sah. Arp, Chefredakteurin der deutschen "Vogue", lädt regelmäßig während der Fashion Week Modeeinkäufer in den "Vogue" Salon ein, um ihnen persönlich eine Auswahl von jungen Designern zu empfehlen. "Sie schickte ihre Gäste spontan auch zu uns", erzählt Bentz. Beim nächsten Salon waren sie mit dabei. "Ein Qualitätssiegel", sagt Lühr. Einkäufer zum Ordern zu bewegen, das ist die größte Hürde auf dem Weg zum wirtschaftlichen Erfolg. Mögen sich die Medien noch so begeistern für avantgardistische Schnitte und ungewöhnliche Materialien – die Menschen, die auf Messen und Modewochen nach Kleidern für ihre Geschäfte suchen, haben andere Kriterien: Verkauft sich das? Sie schauen erst mal: Liefert ein Label regelmäßig starke Kollektionen? "Bis zu sechs Kollektionen lang beobachten sie nur“, sagt Bentz. So lange müssen sie durchhalten. Kaum Geld, aber motiviert bleiben, während die Konkurrenz wächst und die Medien schon die Nächsten hypen.
2000 junge Modedesigner strömen jährlich auf den Markt, aus 180 Modeschulen in Deutschland, sagt Mara Michel, Geschäftsführerin des Verbands Deutscher Mode- und Textildesigner. Die Modeindustrie in Deutschland stellt pro Jahr nur rund 200 neue Leute ein. Bleiben 1800, die die Wahl haben: einen anderen Job suchen, als Freelancer arbeiten oder selbst ein Label gründen. Ein Drittel wählt den letzten Weg, doch nur zehn Prozent haben damit Erfolg. Die zeigen ihre Kollektionen zweimal im Jahr auf Messen und den Schauen der Berliner Fashion Week. Viele Labelgründer lassen sich auch in der Hauptstadt nieder, denn diese unterstützt junge Modemacher. Sie investiert in Förderpreise für gute Ideen und überzeugende Businesspläne, vergibt Gratis-Slots für Modenschauen, bringt jede Saison mehr als 20 Designer nach Paris in den Berlin Showroom, wo die wichtigen Einkäufer hinkommen. Achtland ist auch dabei.

Der Berliner Boom ist Glück und Unglück zugleich für die Designer. So sieht es Leyla Piedayesh, die 2005 ihr Label Lala Berlin gründete und ihre Mode mittlerweile international verkauft. Damals gab es wenig Förderung, aber auch wenig Konkurrenz. "Es kommt drauf an", sagt Piedayesh ziemlich oft, wenn sie gefragt wird, was junge Modedesigner tun sollten. "Sie müssen sich fragen: Wo liegt mein Talent?" Auch Piedayesh musste sich eines Tages entscheiden: weiter Tücher und Strickteile entwerfen oder richtige Kollektionen rausbringen und dafür Designer einstellen? Sie wählte Letzteres. "Ich kann ja nix", kokettiert sie. Immerhin hat sie BWL studiert, was ihr heute enorm hilft. Mit ihren Kreativen bespricht sie Kollektionsideen, aber ihre Hauptaufgabe ist heute das Management. 20 Leute führen, Liquiditätspläne aufsetzen: Wer nicht flüssig ist, geht Pleite. "Ich leite ein Unternehmen in der Modeindustrie, das braucht so und so viele Mitarbeiter, und dafür brauche ich so und so viel Umsatz." Einnahmen und Ausgaben müssen sich einspielen. Und wehe, ein Kunde bricht weg. Das kommt vor, auch Piedayesh blieb in der Anfangsphase mal auf 500 Mützen sitzen. Erst hatte der Kunde geordert, dann hieß es: Er nimmt die Mützen doch nicht! "Also hab ich mich damit ins Auto gesetzt und eine Vertriebstour gemacht", erzählt sie.

Die Kosten für die Produktion selbst aufzubringen, noch bevor ein Teil verkauft wurde, ist hart, gerade für die Anfänger. Viele versuchen, durch Nebenjobs das nötige Geld reinzuholen. Hien Le zum Beispiel, der Berliner Designer, der im Juli zum zweiten Mal mit seiner Show die Defilees im Zelt der Mercedes Benz Fashion Week eröffnete. Er entwirft auch für andere Firmen – jenseits der Modebranche. In seiner Firma macht der 34-Jährige alles selbst, das Kreative und das Wirtschaftliche. Achtland-Designer Lühr mag sich nicht vorstellen, alleine zu arbeiten. Schon wegen der Momente, wenn ein Musterteil aus der Produktion kommt. "Wenn ich es zum ersten Mal am Bügel sehe, denke ich oft: Gott, ist das hässlich!" Diesen Schreck auszuhalten ist einfacher, wenn man zu zweit ist. Und oft rät Bentz, der Manager, den nicht so gefälligen Stücken eine Chance zu geben. Dann verbannen sie sie für eine Woche aus ihrem Blickfeld. "Danach gewöhnen wir uns dran, und am Ende mögen wir sie besonders gern."

Wo der Zweifel liegt, da geht’s lang, das haben die beiden mittlerweile gelernt. Entwerfen, erschrecken, lieb gewinnen. "Durch diesen Prozess müssen wir durch", sagt Bentz, denn die Kleider, die sie besonders schwierig finden, laufen bei den Kunden immer am besten. "Wir fragen uns deshalb ständig: Ist dieses Kleid zu schön?", sagt Bentz. Wenn sie sich gar nicht daran reiben, fliegt es aus der Kollektion. So wirken Kreativität und Geschäftssinn perfekt zusammen: im Herausfinden, wie viel Mut der Markt verträgt. Am Ende, sagt Bentz, zähle doch nur eins: "Achtland darf kein teures Hobby sein. Wir wollen tolle Produkte erschaffen – und sie verkaufen."